
Philippinischer Präsident Duterte Auf Menschenjagd
Rodrigo Duterte hat einen Traum: Eine Gesellschaft ohne Kriminelle, in der niemand nachts Angst haben muss und Drogen weder verkauft noch konsumiert werden. Mit dieser Vision kam der philippinische Präsident an die Macht , es bleibt sein größte Versprechen an die Menschen im Land. Doch der Preis ist hoch.
Sechs Monate hatte sich Duterte dafür gegeben, die Kriminalität auf den Philippinen auszurotten. Einer davon ist seit seinem Amtsantritt vergangen. Bei seiner ersten Rede vor dem philippinischen Parlament am Montag bekräftigte nochmals: "Wir werden nicht eher ruhen, bis der letzte Drogenboss und seine Unterstützer aufgegeben haben, hinter Gittern sitzen oder unter der Erde liegen, wenn sie es so haben wollen", sagte Duterte unter großem Applaus.
Die Zahlen zeigen jetzt schon, dass er es ernst meint, wenn er von einem "dreckigen Kampf" spricht, bei dem "viel Blut" fließen werde. Bevor Duterte im Mai an die Macht kam, wurden seit Beginn des Jahres 39 mutmaßliche Drogenkriminelle getötet. Seit seiner Wahl sind es nach Angaben der Polizei schon mehr als 72.

Präsident Duterte
Foto: TED ALJIBE/ AFPDie Polizei spielt bei der Erfüllung des Sechsmonatsplans eine zentrale Rolle. Der Präsident erteilte den Beamten einen Schießbefehl. Sie dürfen also schon bei Verdacht auf mutmaßliche Drogendealer feuern, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. "Ich werde das Militär und die Polizei benutzen, ich werde sie nach ihnen [den Drogendealern, Anm. d. Red.] jagen lassen", kündigte er an. Der Befehl lautet: "Tötet sie alle und beendet das Problem."
Den philippinischen Polizeichef Ronald "Bato" Dela Rosa weiß er dabei auf seiner Seite. "Jetzt ist der richtige Moment für eine harte Linie gegen die Kriminellen", sagt er im Interview mit dem SPIEGEL. Die Polizei werde sehr aggressiv gegen die Kartelle vorgehen, das würden die Menschen im Land von ihrem Präsidenten erwarten. "Er ist eben der Anführer mit den 'dicksten Eiern'", sagt Rosa. Vorbild dafür sei das "System Davao".

Polizeichef Rosa
Foto: Francis R. Malasig/ dpaZeugen gibt es nicht
Davao ist eine Stadt auf der Insel Mindanao, in der Duterte als Bürgermeister regierte, bevor er sich für das höchste politische Amt in seinem Land bewarb. Menschenrechtsorganisationen berichten von Todesschwadronen, die dort mehr als 1400 Kleinkriminelle umgebracht haben sollen. Dass auch Duterte in die Morde verwickelt war, kann ihm nicht nachgewiesen werden, aber vieles spricht den Menschenrechtlern zufolge dafür.
Auch die Polizei soll an den Erschießungen beteiligt gewesen sein. In einem Bericht von Human Rights Watch, die 28 dieser Fälle untersucht haben, heißt es: Die Killer hätten ihre Befehle häufig von aktiven oder schon pensionierten Polizisten bekommen, die ihnen Waffen stellten und sie sogar trainierten. Auch die Organisation der Angriffe - oft Drive-by-Shootings von Motorrädern aus - hätten teils Beamte übernommen.
Vor Gericht landen diese Verbrechen nicht. Ein Mitarbeiter der Commission of Human Rights (CHR) in Davao, der einzig verbliebenen NGO in der Stadt, skizziert den Ablauf danach so: "Die Polizei fährt zum Tatort und schreibt einen Bericht. Dieser Bericht hat immer etwas mit Drogen zu tun. Überprüfen kann ihn niemand." Das größte Problem: Für die Taten lassen sich keine Zeugen finden. "Die Verbindung der Killer zur Regierung kann nicht klar nachgewiesen werden", sagt der CHR-Mitarbeiter. "Aber wir können annehmen, dass Duterte sie nicht stoppen wird."

Hausbau in Davao
Foto: ROMEO GACAD/ AFPSystem von innen aufräumen
Doch auch wenn Duterte auf die Polizei im Land angewiesen ist, um seinen Plan umzusetzen, sind auch die Beamten nicht vor Säuberungsaktionen sicher. Korruption innerhalb der Polizei will der Präsident genauso ausmerzen wie Drogendelikte. Polizeichef Rosa erklärte den verordneten Kurs so: "Ich werde das System von innen aufräumen und schlechte Polizisten loswerden. Was helfen mir viele Polizisten, wenn sie korrupt und kriminell sind?"
Um die Schlechten von den Guten zu unterscheiden, wird eifrig denunziert. Rosa: "Ich werde die schlechten Polizisten mithilfe der Gemeinde identifizieren." Duterte selbst prangerte erst vor wenigen Wochen fünf ehemalige und bis dahin noch aktive Polizisten öffentlich und mit vollem Namen an. "Es ist ein goldener Moment für die Polizei", so Rosa. "Wir haben viele gute Polizisten, die nur auf den richtigen Anführer gewartet haben. Die Mächtigen zuvor hatten kein Feuer, sie hatten nicht Dutertes Aggressivität."
Der Polizeichef muss aber auch einschränken: Es könne sein, dass Polizisten nun von dem einen Extrem ins andere wechseln. Wer besonders erbarmungslos gegen die Dealer vorgeht, macht sich selbst weniger verdächtig.
Töten ohne Gerichtsverfahren
Der Druck führe allerdings dazu, dass vor allem Kleinkriminelle verfolgt werden, weil diese einfacher zu finden und auszuschalten seien. Normalerweise würden diese die Polizisten eher bestechen, als sich mit ihnen eine Schießerei zu liefern. Doch nun sterben auch sie bei angeblicher gewalttätiger Gegenwehr; die Polizeiaktionen gelten stets als Selbstverteidigung.
"Statt Recht und Ordnung wird Rechtlosigkeit und Angst im Land herrschen", befürchtet der CHR-Vorsitzende Chito Gascon. Aber an wen sollen sich die Betroffenen oder deren Angehörigen wenden? Wer würde die Verteidigung von mutmaßlichen Drogenkriminellen übernehmen - zumal gar keine Prozesse dazu geführt werden?
Die Internationale Juristenkommission (ICJ) beklagte, die öffentlichen Äußerungen des Präsidenten liefen darauf hinaus, zum Töten ohne Gerichtsverfahren zu ermuntern. Die Philippinen seien aber durch internationale Abkommen verpflichtet, Polizeigewalt und außergerichtliches Töten zu bekämpfen. Duterte weiß das. Er hat früher selbst als Rechtsanwalt gearbeitet.
Wohin sein Kurs führen soll, skizziert Duterte selbst: Er werde "mit dem Ruf eines Idi Amin aus dem Amt scheiden", sagte der 71-Jährige. Er bezog sich damit auf den weithin gefürchteten ugandischen Staatschef, während dessen Herrschaft in den Siebzigerjahren Zehntausende Menschen umgebracht wurden.
Menschenrechtsfragen könnten ihn "nicht schrecken", sagt Duterte.
Zusammengefasst: Der philippinische Präsident Duterte ist bei seinem Kampf gegen die Kriminalität im Land - seinem wichtigsten Wahlversprechen - auf die Polizei angewiesen, die hart durchgreifen soll. Gleichzeitig kündigt er Säuberungsaktionen gegen korrupte Beamte an. Um sich selbst nicht verdächtig zu machen, reagieren die mit vorauseilendem Gehorsam - rechtsstaatliche Prinzipien gelten nicht mehr.