Roma-Sterilisation in Tschechien "Sie haben mir ein Stück meines Frauseins genommen"
Es gab Monate, da spürte Elena Gorolova keine Wut mehr, nur eine Gleichgültigkeit, die sich wie ein schweres Tuch über sie legte. Dann hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. "Es war, als würden die eigenen Gedanken schwer auf der Brust liegen", sagt die 40-Jährige.
Elena atmet tief durch. Vor ihr reihen sich blockweise rote Ziegelbauten auf, abgelebte Mehrfamilienhäuser. In den Treppenhäusern bröckelt der Putz, die zugigen Fenster stammen aus der Vorkriegszeit oder sind einfach zugemauert.
"Dieser Teil von Ostrava-Privoz ist ein Ghetto", sagt Elena Gorolova über den Stadtteil. Ihre Stimme klingt traurig, sie weiß, wovon sie spricht. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie noch hier gelebt. Jetzt ist sie zu Besuch im Viertel, zu Besuch bei Helena Balogova, die in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Die 47-Jährige hat schon seit Jahren keine feste Arbeit mehr gefunden, und was ihr Mann als Hilfsarbeiter verdient, reicht nicht aus, um über die Runden zu kommen. Gerade wurde ihr der Strom abgestellt, die Heizung abgedreht.
Helena Balogova und Elena Gorolova teilen ein gemeinsames Schicksal.
1990 wollte sich Helena Balogova eine neue Spirale einsetzen lassen. Sie hatte bereits vier Kinder. "Vorerst sollte es dabei bleiben", sagt sie. Sie ging zum Frauenarzt ins Krankenhaus. Der untersuchte sie. "Dieses Mal wird eine kleine Operation nötig sein", sagte er ihr. Eine Operation für das Einsetzen einer Spirale? Helena Balogova vertraute ihm blind. Ihr Mann nicht. Doch als er im Krankenhaus ankam, war es schon zu spät.
Eine Unterschrift von der Analphabetin
Helena Balogova wird nie mehr Kinder bekommen können. Bei der Operation wurde sie sterilisiert.
Ihr Mann schrie, schimpfte und fluchte. Der Arzt kam und hielt ihm die von seiner Frau unterzeichnete Einverständniserklärung entgegen. Die Analphabetin Helena Balogova konnte nicht lesen, was sie abzeichnete.
Elena Gorolova und Helena Balogova haben beide eine dunklere Haut als die "slawischen" Tschechen, beide sind Roma, beide wurden im gleichen Jahr sterilisiert - beide wussten nicht, was mit ihnen geschah.
Kurz vor der Geburt ihres zweiten Sohnes sagten die Ärzte Elena Gorolova, es sei erneut eine Kaiserschnittgeburt notwendig. "Es gab weiter keine Komplikation. Erst als ich in den Wehen lag und vor Schmerzen halb verrückt war, da gaben sie mir ein Stück Papier zum Unterschreiben", sagt sie.
Mit der Unterschrift besiegelte sie die eigene Sterilisation. "Niemand hat mich aufgeklärt, was da passiert. Es wurde einfach getan, weil es die Ärzte für richtig hielten: Nach zwei Kaiserschnitten muss es eben eine Sterilisation geben."
Am nächsten Tag erfuhr sie, was passiert war. Mit dürren Worten erklärte ihr ein Arzt, dass sie nie mehr Kinder bekommen könne. Dass der Eingriff nach zwei Kaiserschnitten medizinisch notwendig war. "Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Wort Sterilisation gehört habe", sagt Gorolova. "Niemand hat mich gefragt, ob ich mich sterilisieren lassen will. Es ist mein Körper. Nur ich habe das Recht, über ihn zu entscheiden."
Die 40-Jährige wollte noch Kinder. "Mein Gott, mein Mann und ich, wir hätten noch so gerne eine Tochter gehabt. Mit der Sterilisation hat man mir ein Stück Frausein genommen. Es ist, als würde ein Stück von mir fehlen."
Wegen ihrer ungewollten Sterilisation wandte sie sich an das Sozialamt - und wurde "einfach rausgeworfen", berichtet die Roma. Ihr Fall kam nicht vor Gericht. "Ohnmacht und Wut, ich hab das Gefühl schon gekannt. Die gleichen abweisenden Mienen, die ich in meinem Leben immer wieder gesehen habe, angefangen beim Wohnungsantrag bis hin zu so vielen Kleinigkeiten im Alltag. So ist das, wenn man eine Roma ist", sagt Gorolova.
Als 2003 Otakar Motejl, Ombudsmann des tschechischen Staats, begann, den Fällen von ungewollter und unaufgeklärter Sterilisation nachzugehen, war ihrer längst verjährt. Trotzdem wollte sich Gorolova nie mit dem Unrecht abfinden. Heute arbeitet sie für die kleine Organisation Vzajemne Souziti (Gemeinsam Leben), sucht nach weiteren Frauen mit dem gleichen oder ähnlichem Schicksal, ermuntert sie auszusagen. Frauen wie Helena Balogova. Viele von ihnen leben in ärmlichen Verhältnissen. In der Region Ostrava und in der Stadt selbst haben sich schon rund 60 Frauen ihrer Gruppe angeschlossen. Alle wurden sie nach eigenen Aussagen gegen ihren Willen oder ohne ausreichende Information sterilisiert.
Alle sind sie Roma.
Der aktuellste Fall liegt keine zwei Jahre zurück
Der aktuellste Fall liegt keine zwei Jahre zurück. Eine 40-Jährige beklagt, dass sie von einer Sozialarbeiterin zu einer Sterilisation gedrängt wurde. Sie solle nachweisen, dass sie in Zukunft keine Kinder mehr bekommen könne. Die Sozialarbeiterin soll der Roma gedroht haben, zwei ihrer vier Kinder in staatliche Obhut zu geben, berichtet Gorolova. Jetzt bereitet sich "Vzajemne Souziti" darauf vor, diesen Fall vor Gericht zu bringen. Doch der Betroffenen fällt es nicht leicht, diesen Schritt zu wagen.
2005 veröffentlichte Ombudsmann Motejl in seinem Abschlussbericht 87 ihm gemeldete Fälle erzwungener Sterilisation von den sechziger Jahren bis heute. Er legte dem Gesetzgeber unter anderem nahe, eine bessere Patienteninformation und Fristen zwischen Arztgespräch und Sterilisationen vorzuschreiben sowie finanzielle Wiedergutmachungen für betroffene Frauen zu ermöglichen. "Auch wenn der Staat keine Anweisung gegeben hat, kann eine Verantwortung durch staatliche Billigung und Unterstützung für das Vorgehen der Sozialeinrichtungen gegenüber ihren Klienten erkannt werden, die aus heutiger Sicht unakzeptabel ist", heißt es in dem Abschlussbericht des Ombudsmanns. Rassistische Motive stünden jedoch nicht hinter den Sterilisationen.
Gwendolyn Albert sieht zumindest letzteres anders.
Die Politik der Zwangsterilisierung wird bis heute fortgesetzt
Albert arbeitet für die Organisation Peacework in der Tschechischen Republik und unterstützt die Frauen von Vzajemne Souziti. Seit Jahren setzt sie sich mit Zwangsterilisationen von Roma-Frauen auseinander und findet klare Worte: "In der kommunistischen Tschechoslowakei wurden Sozialarbeiter angehalten, Frauen als ultimative Möglichkeit der Geburtenplanung zu einer Sterilisation zu überreden. Vor allem Arme und Roma-Frauen waren Zielgruppe. Ihre Geburtenrate galt im damaligen Sprachgebrauch als 'hoch und ungesund'."
Die Sozialarbeiter boten Coupons für Möbel oder Geld für eine Einwilligung an, oder sie drohten, die Kinder der Angesprochenen der staatlichen Fürsorge zu übergeben. "Niemand weiß, wie viele Frauen betroffen sind", sagt Albert. "Aber bezieht man die lange Zeitspanne ein und dass es in der gesamten ehemaligen Tschechoslowakei geschah, gehe ich von Hunderten, wenn nicht sogar von tausend Fällen oder mehr aus." 1991 sei Schluss gewesen mit der Politik der Sterilisationen - aber es gebe noch heute Eingriffe ohne Zustimmung der Frauen, sagt sie. "Heute werden Roma-Frauen opportunistisch ohne deren erklärte Einwilligung bei Kaiserschnitten oder gynäkologischen Eingriffen sterilisiert. Rassismus gegenüber den Roma ist in allen Bereichen der tschechischen Gesellschaft weit verbreitet, das Gesundheitswesen bildet da keine Ausnahme."
Warten auf eine Entschuldigung
Elena Gorolova wartet wie die anderen 60 Mitglieder ihrer Gruppe auf eine finanzielle Entschädigung, zumindest eine Entschuldigung vom Staat. "Wir kämpfen mit unserer Gruppe dafür, dass unsere Töchter und Enkeltöchter nicht unser Schicksal erleiden. Jede Mutter soll so vielen Kindern das Leben schenken, wie sie will", sagt sie. "Der Gesetzgeber muss das klar und unmissverständlich fordern."
Und der Staat? In einer im Internet einsehbaren Mitteilung an die Uno ist von "individuellen und isolierten Fällen in der Vergangenheit" die Rede, bei denen gesetzliche Bestimmungen nicht eingehalten wurden. Angekündigt werden eine auf Sterilisationen spezifizierte Gesetzesvorlage und die Einsetzung einer Kommission, um die Vorgehensweise bei Sterilisationen in der Vergangenheit zu untersuchen. "Wohl eher eine Verzögerungstaktik" findet das Albert. "Seit dem Bericht des Ombudsmanns vor fast vier Jahren ist wenig geschehen."
Immerhin musste sich 2007 ein Krankenhaus in Ostrava dafür entschuldigen, 2001 eine damals 21-Jährige bei einer Entbindung sterilisiert zu haben. Eine in erster Instanz ausgesprochene finanzielle Entschädigung konnte das Krankenhaus abwenden - um wenige Wochen war der Fall der jungen Frau strafrechtlich verjährt. Jüngst sprach ein Gericht ein ähnliches Urteil.
Der Frauengruppe von Vzajemne Souziti reichen keine erzwungenen Entschuldigungen. Sie organisiert Treffen, kleine Demonstrationen. Elena Gorolova sagte sogar schon bei der Uno in New York aus.
Eine Sterilisation aus Versehen?
Ihre Gruppe will das Denken ändern - und spricht deshalb auch mit jenen, die ihren Körpern etwas so Kostbares genommen haben. "Vor wenigen Tagen trafen wir uns mit Ärzten in einem Krankenhaus. Wir haben ihnen versucht zu erklären, dass Patienten ihren eigenen Willen haben, Ärzte nicht einfach selbst über alles entscheiden können." Eine Ärztin sei dabei gewesen, "die damals die Vorsorgeuntersuchungen bei meiner letzten Schwangerschaft vorgenommen hatte. Obwohl sie mich damals über die Notwendigkeit eines Kaiserschnitts informierte, sagte sie kein Wort über eine Sterilisation" Sie sei eine unerfahrene Medizinerin gewesen, habe sie dazu nur gesagt.
"Ich hoffe, ja, ich glaube, dass unsere Gespräche etwas bringen", sagt Gorolova. Sie hat gekämpft und viel erreicht. Sie wohnt nicht mehr im Ghetto, sondern in einer kommunalen Mietwohnung in einem deutlich besseren Viertel. Die Wände leuchten frisch gestrichen. Auf dem Boden helles Laminat, eine gemütliche Couch, ein kleiner Hund wieselt herum.
Ihr Mann, ihre Söhne und sie haben alles in Eigenleistung renoviert. Viel Geld zum Leben hat die Familie immer noch nicht. Ihr Gehalt von Vzajemne Souziti ist gering. Ihr Mann, ein Fabrikarbeiter, bezieht derzeit ein bescheidenes Krankengeld. Aber ihr jüngster Sohn schafft es vielleicht auf die Universität, hofft die Mutter. Sie selbst hat den zweiten Bildungsweg eingeschlagen.
"Wir Roma sind Teil der Geschichte Tschechiens, wir leben seit Jahrhunderten hier", sagt sie. "Es ist unsere Heimat."
Gorolova erzählt einen Abriss der Familiengeschichte: Ihr Großvater sei als Roma im KZ gewesen. Ihr Mann habe in der Armee gedient und danach immer hart gearbeitet. Jahrelang habe man zu acht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung gelebt. "Ich habe schon als Teenager in einer Fabrik zu arbeiten angefangen. Wir haben wirklich gerackert und gekämpft, dabei gespart und Stück für Stück ein besseres Leben aufgebaut."
Und dann, sagt sie, wisse man, dass viele Leute auf der Straße wahrscheinlich denken: "Gut so, dass die Zigeuner-Frauen sterilisiert wurden. Die haben zu viele Kinder, aus denen allen nichts wird."