
Rothemden-Demo in Bangkok Krieg den Konsumtempeln
Sie tanzen und singen zur rockigen Volksmusik, klappern mit ihren Plastikklatschen durch die schwüle Nacht, stehen auf Autodächern und schwenken rote Fahnen. Und immer noch strömen immer mehr Rothemden zum noblen Einkaufszentrum "Central World" in Bangkoks vornehmen Viertel. Sie belagern Häppchen- und Schnittchenstände, die Louis-Vuitton- und Prada-Filialen des neonbeleuchteten Konsumtempels, der prophylaktisch gleich den gesamten (normalerweise umsatzstarken) Samstag geschlossen bleibt. Zehntausende mögen es nun sein, die sich in dieser dritten Protestwoche aufgemacht haben, um die thailändische Regierung zu stürzen.
Die Polizei aber hält sich vornehm zurück, und auch das Militär ist in den Kasernen geblieben. Die Bewohner von Thailands Hauptstadt reagieren gelassen, umfahren das Gebiet in den völlig überfüllten Waggons ihres "Skytrains". Sie haben sich inzwischen beinahe an den Protestrummel gewöhnt.
Noch vor anderthalb Jahren waren es die Gelbhemden, die Anhänger der jetzigen Regierung von Premierminister Abhisit Vejjajiva, die Teile der Stadt lahmlegten, darunter auch den internationalen Flughafen. Nun sind es ihre Gegner in rot.
Der Konflikt ist seit langem bekannt. Vereinfacht ließe er sich folgendermaßen darstellen: Die Gelben, das sind die Freunde des amtierenden Premiers, die Bewohner des Südens, die Clans aus der Hauptstadt, alte Eliten, Militär- und Königstreue. Privilegierte, die die Macht schon aus purem Gewohnheitsrecht für sich in Anspruch nehmen.
Und denen gegenüber stehen nun die Roten, arme Bauern, Tagelöhner, Gefolgsleute des ehemaligen Premierministers Thaksin Shinawatra. Er ist einer aus dem Norden, aus Chiang Mai, ein schillernder Multimillionär, dessen damaliger Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, besonders im Anti-Drogen-Krieg 2003. Thaksin hat sich schamlos bereichert; das ist hinlänglich bekannt. Aber er hat den Armen aus dem bevölkerungsreichen Norden und Nordosten des Landes nicht nur viel versprochen, sondern auch viel gegeben: Krankenversicherungen, Straßen, Stipendien. Seine Vorgänger taten das nicht. Darum wurde der "asiatische Berlusconi" ("Neue Zürcher Zeitung") gewählt. So ist das in einer Demokratie.
Süden gegen Norden, Reich gegen Arm, Tradition gegen Moderne
Im Herbst 2006 wurde Thaksin vom Militär weggeputscht und ins Exil getrieben. Nachdem ein gutes Jahr später in Thailand wieder gewählt werden durfte, wurden seine Anhänger - immerhin Gewinner dieses Plebiszits - mit allerlei Tricks und Straßendemonstrationen erneut aus den Ämtern gedrängt. Das Militär sprang den thaksinfreundlichen Nachfolgeregierungen nicht zur Seite, es putschte gewissermaßen durch Passivität. Die Polizei aber war zu schwach und vielleicht auch führungslos. Das Verfassungsgericht verhielt sich hingegen skandalös einseitig gegenüber den Thaksinistas - das war Ende 2008.
Die Roten schworen hernach Rache und sinnen seitdem nach einem Weg zurück an die Macht. Ein Riss geht spätestens seitdem durch Thailands Gesellschaft. Sehr vereinfacht: Süden gegen Norden, Reich gegen Arm, Tradition gegen Moderne, vielleicht sogar Royalisten gegen Republikaner - aber das weiß niemand so genau. Das Thema ist im Land des gefrorenen Lächelns tabu. Wer es trotzdem öffentlich macht, kann für Jahre hinter Gittern verschwinden.
Nun sind rote Aufmärsche in Bangkok an der Tagesordnung. Sie folgen immergleichen Ritualen. Im Regierungsviertel sammeln sich Tausende von Rothemden und hören aggressive Reden, danach schwärmen sie aus. Seit drei Wochen herrscht nun schon so etwas wie permanente Demo. Und an diesem Samstag legen sie also das Viertel rund um die Einkaufszentren "Central World" und "Siam Paragon" lahm. Diese Einkaufszentren sind wichtigere Wegmarken als Monumente oder Tempel in dieser Stadt, und ohne sie würde sich kaum noch jemand zurechtfinden. Im Inneren, das vollgepfropft ist mit Fressecken, Kinos und Tausenden von Läden, schlägt das Herz dieser Stadt.
Weng Tojirakarn und wie er die Welt sieht
An einem Lautsprecherwagen vor der lahmgelegten Shopping-Mall lehnt einer der Führer der Roten, der Arzt Weng Tojirakarn, ehemaliger Kommunist, Dschungelkrieger in den siebziger Jahren, jetzt Leiter einer kleinen Klinik.
"200.000 Menschen sind auf den Beinen", flunkert er, "was für eine Riesensache, tausend Busse haben wir im Einsatz, mehrere Marschrouten gewählt, unsere Leute sind auf Mopeds und in der S-Bahn und in Autos unterwegs." Tojirakarn staunt. Vor ein paar Tagen sind die Gespräche mit der Regierung gescheitert. Die Opposition will eine sofortige Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Premierminister Abhisit hat angeboten, in neun Monaten wählen zu lassen. Aber nicht mit den Rothemden! "Der will uns doch über den Tisch ziehen", ist sich der Arzt sicher, "wenn unsere Leute erst einmal von der Straße verschwunden sind, hat er bestimmt alles vergessen, was er uns vorher versprochen hat."
Aber wie lange soll das noch so weitergehen?
"Bis die Regierung weg vom Fenster ist."
Und Sie glauben nicht, dass Sie den Bangkokern mit Ihren Dauerprotesten auf die Nerven fallen könnten? Es sind doch schon jetzt nicht die Millionen auf der Straße, die Sie zu mobilisieren angekündigt hatten.
"Aber es kommen doch immer mehr zum Demonstrieren. Die Menschen unterstützen uns, besonders die vielen Armen in dieser Stadt." Als sie neulich literweise gespendetes Blut vor dem Regierungssitz verschüttet haben, kam das nicht überall gut an. Viele fanden es eklig. "Ach sehen Sie es doch als Beweis des Todesmuts: Unsere Leute sind bereit, ihr Leben für unsere Sache zu geben."
Zu sterben?
"Nein, nein, das wollen wir natürlich nicht, kein Blutvergießen, keinen Krieg. Das heißt nur: Wir wären dazu bereit. Theoretisch. Es wird immerhin immer gefährlicher im Land. Die Lage spitzt sich zu." Es gab Anschläge in der vergangenen Woche. "Die Gewalt geht aber von der anderen Seite aus. Im Übrigen ist das hier ein Militärstaat und keine Demokratie."
Und Thaksin? Unterstützt er Sie?
"Er ist ein Freund, klar, aber das hier ist unsere Sache allein. Jeden Morgen setzen wir Anführer uns zusammen und beratschlagen, was wir heute so alles machen. Auch morgen früh wieder. Thaksin hält sich da raus."
Er ist jetzt Wirtschaftsberater des kambodschanischen Präsidenten Hun Sen. Viele Thais werfen ihm Verrat vor, Kambodscha gilt schließlich als Erzfeind.
"Es ist seine persönliche Angelegenheit. Wenn die Kambodschaner Thaksins ökonomische Genialität erkannt haben, kann man es ihnen nicht verübeln. Der Rest ist seine Privatangelegenheit."
Und der König?
"Steht über allem und wird von allen gleichermaßen geliebt. Wir sollten ihn nicht mit der Alltagspolitik behelligen."
Langsam senkt sich die tropische Nacht über Bangkok. Gerade kommt eine wichtige Durchsage aus dem Lautsprecher. Wenn die Demonstranten nicht bis 21 Uhr verschwunden seien, verstießen sie gegen die Verfassung und könnten gewaltsam vertrieben werden. Niemand rührt sich. Noch immer dröhnen die Bässe aus den überlebensgroßen Lautsprecherboxen. Vielleicht kommt es ja jetzt zur Machtprobe, vielleicht im Morgengrauen, munkeln kampferprobte Beobachter. Einige, scheint es, warten nur darauf, sie sollen schon Waffen gesammelt haben. Immerhin: Die Blockade eines Einkaufszentrums - das ist in Bangkok wohl ein übles Vergehen; schlimmer, als wenn bloß ein Parlament oder ein paar Ministerien belagert werden.