Rüttgers-Reise Zwei Pulheimer in Tokio
Tokio - Bis zur letzten Minute war nicht klar, ob das Treffen überhaupt stattfinden würde. Klaus Luhmer ist 91 Jahre alt und nicht bei bester Gesundheit, in der vergangenen Woche lag der Jesuitenpater noch im Krankenhaus. Das geplante Essen wurde abgesagt, das Treffen fand stattdessen im Gästehaus der Sophien-Universität in Tokio statt, an der Luhmer fast 50 Jahre gelehrt hat. Das Gästehaus ist seit Jahren sein Zuhause, eine Art Wohngemeinschaft für die Pater des Jesuitenordens.
Rüttgers wirkte noch ein bisschen größer als sonst, als er dem schmalen, gebeugten Greis die Hand schüttelte. "Alle wichtigen Leute kommen aus Pulheim", empfing ihn Luhmer und blinzelte vergnügt durch die großen Gläser seiner altmodischen Brille. 1916 ist der Jesuit in dem kleinen Ort bei Köln geboren worden, Rüttgers 35 Jahre später. Per Zufall hatte der Politiker vom ungewöhnlichen Lebensweg seines Landsmannes erfahren und sich vorgenommen, "wenn ich nach Japan reise, dann will ich diesen Mann kennenlernen".
1937 war Luhmer nach Japan gegangen, um dort die Landessprache, Philosophie und Theologie zu studieren. Im Juli 1945 wurde er dort zum Priester geweiht. Einen Monat später, am 6. August, warfen die Amerikaner die Atombombe über der großen Handelsstadt Hiroshima ab.
"Ich habe die Bombe gesehen, auch die unvorstellbare Explosion", erzählte Luhmer, kein Mensch hätte damals geahnt, welche Folgen diese einzige Bombe haben würde. Er lebte damals am Stadtrand und wusste nichts von der gefährlichen Strahlenbelastung und dem Risiko für seine eigene Gesundheit, als er sich einen Tag später aufmachte, um nach Opfern zu suchen und die Toten zu beerdigen. Viele Tage hat er in den Trümmern mit bloßen Händen gegraben - und blieb im Gegensatz zu vielen anderen Helfern gesund.
Dass heute viel größere, noch tödlichere Atombomben wie die von Hiroshima gebaut werden, macht den alten Mann zornig, er war sein ganzes Leben ein Friedensaktivist. "Eine wirklich beeindruckende Persönlichkeit", schildert der studierte Historiker Rüttgers später in kleiner Runde. Beeindruckt haben ihn auch Luhmers Studenten, von denen inzwischen einige selbst als Professoren dort lehren.
Bei der Geburt schon fürs Studium sparen
Während Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen immer noch zu großen Diskussionen über Bildungsgerechtigkeit führen, sind Studiengebühren von 8000 Euro und mehr pro Semester in Japan völlig normal, erfuhr Rüttgers in einem Gespräch mit Studenten. "Wir zahlen gerne, wenn wir dafür ein gutes Studium bekommen", erzählte eine Studentin, die gerade von einem einjährigen Studienaufenthalt aus Köln zurück ist. Dort würde lange nicht so intensiv studiert, wie in Japan: "Wir müssen hier viel mehr arbeiten und werden jeden Tag für unsere Leistung bewertet."
Japanische Familien würden schon bei der Geburt eines Kindes mit dem Sparen für ein späteres Studium beginnen, erklärte Pater Franz-Josef Mohr, Finanzdirektor der 1913 gegründeten privaten Sophien-Universität. Die Einstellung der Japaner sei eine andere als die der Deutschen, die würden erst an den Urlaub und dann an das Studium denken. Die damit verbundenen Kosten, gestand Mohr ein, "halten aber immer mehr Familien davon ab, überhaupt Kinder zu bekommen". Japans Geburtenrate ist so niedrig wie die deutsche.
Rund 400.000 Katholiken leben in ganz Japan, mit seinen 127 Millionen Einwohnern. Die Universität will nicht missionieren, sondern ihre Studenten zur Toleranz erziehen. Die Einstellung der Japaner zur Religiosität amüsiert den alten Pater Luhmer immer noch: "Sie sind Atheisten, gehen aber an den Feiertagen in ihren Schrein und verneigen sich."