Fotostrecke

Rumänien: Häftlinge als Wissenschaftler

Foto: © Bogdan Cristel / Reuters/ REUTERS

Skurriles Gesetz in Rumänien Klub der Knast-Forscher

In Rumänien geht die Justiz hart gegen korrupte Politiker und Geschäftsleute vor. Doch die schreiben sich einfach aus der Haft frei: Dank eines Gesetzes gibt es für jedes publizierte wissenschaftliche Werk Straferlass.

Er sagt von sich, er sei kein Gelehrter und habe "es nicht so mit Büchern". Das Abitur schaffte er nur mit Ach und Krach, einen Studienabschluss nicht. Überhaupt fällt es ihm schwer, einen Gedanken kohärent zu Ende zu formulieren. Er redet gerne viel, springt von Thema zu Thema, schreit und schimpft obszön.

Einst war er Schafhirte. Dann wurde er mit Grundstücksspekulationen zum Milliardär. Er kaufte sich erst den Fußballklub Steaua, dann die Splitterpartei "Neue Generation", ließ sich zum Euro-Parlamentarier wählen, später zum Abgeordneten des nationalen Parlaments: Gigi Becali, 57, exzentrischer rumänischer Unternehmer und Politiker mit kruden rechtsradikal-christlich-fundamentalistischen Ansichten.

Wegen illegaler Grundstücksgeschäfte und Freiheitsberaubung wurde er 2013 zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Im April letzten Jahres kam er vorzeitig frei. Nicht nur wegen guter Führung. Sondern auch, weil er in der Haft insgesamt fünf wissenschaftliche Werke verfasste - und dafür fünf Monate Straferlass bekam. Becalis Forschungsarbeiten bestehen vor allem in Elogen auf seine eigene Person und tragen Titel wie: "Becali und die Politik". Oder "Steaua und Becali" - 260 Seiten, davon mehr als die Hälfte Fotos und Faksimiles, der Rest großenteils Abschriften von Zeitungsartikeln.

188 Häftlinge verfassten insgesamt 411 wissenschaftliche Werke

Der Schafhirten-Milliardär ist nicht allein. In Rumänien schreiben sich viele korrupte Politiker und Unternehmer aus der Haft einfach frei. Sie profitieren von einer Gesetzesregelung, die 2013 eingeführt wurde - ausgerechnet zu jener Zeit, als die rumänische Justiz begann, immer härter gegen Korruption durchzugreifen. Der Regelung zufolge erhalten Häftlinge, die ein wissenschaftliches Werk verfassen, dreißig Tage Straferlass. Seitdem stieg die Zahl der Knastwissenschaftler sprunghaft an.

Nach Angaben der Nationalen Gefängnisverwaltung (ANP) verfassten im Zeitraum 2013 bis 2015 188 Häftlinge insgesamt 411 wissenschaftliche Werke. Davon erschienen allein vergangenes Jahr 331. Die Palette reicht von Titeln wie "Die Finanzkrise der rumänischen Presse" des korrupten Zeitungsverlegers Sorin Rosca Stanescu bis hin zu "Freiheitsübungen" des ehemaligen Ministerpräsidenten Adrian Nastase, der in Rumänien ein Symbol für Korruption ist. Manche prominente Häftlinge verfassten in Rekordzeit zehn Bücher. Gewinn: 300 Tage Straferlass.

Theoretisch sind die Kriterien für wissenschaftliches Arbeiten in rumänischen Gefängnissen streng. Häftlingsautoren müssen einen Hochschullehrer als "Koordinator" nachweisen. Der muss die wissenschaftliche Relevanz des Themas attestieren und die Genehmigung seiner Universitätsleitung einholen. Außerdem braucht der Häftling einen Verlag, der beim "Nationalen Rat für wissenschaftliche Forschung im Hochschulwesen" (CNCSIS) akkreditiert ist.

Kein Problem für Häftlinge mit Vermögen und Beziehungen. Zahlreiche Verlage haben sich darauf spezialisiert, ihre Werke zu publizieren. Rekordhalter ist der Verlag Sitech im südrumänischen Craiova, der 130 Knast-Oeuvres herausbrachte. Er bietet bei mangelnder Qualifikation der Autoren Rundum-Betreuung an, Textlieferung inklusive, wie die Tageszeitung "Adevarul" letztes Jahr dokumentierte.

Auch prestigeträchtige Verlage publizieren Knastliteratur, beispielsweise der rumänische Ableger von C.H. Beck. Dort erschien 2012 das Buch "Rumänien - eine komparative Studie dreier Epochen" von Sorin Ovidiu Vântu, der für Investmentbetrug in Milliardenhöhe verurteilt wurde. Das Buch erwies sich als grobschlächtiges Plagiat. C.H.Beck-Rumänien distanzierte sich bis heute nicht von seinem zwielichtigen Autor. Dem Münchener Mutterverlag, bekannt für seine Akribie bei Sachbuchveröffentlichungen, ist die Angelegenheit peinlich - man werde künftig besser aufpassen, heißt es dort.

Fließbandproduktion dieser Werke ist "nationales Gaunertum"

Vom Geschäft mit der Knastliteratur profitieren auch viele Hochschullehrer. Unter denen, die als Koordinatoren den wissenschaftlichen Wert der Gefängnisschreiberei zertifizieren - angeblich unentgeltlich -, sind sonore Namen: etwa Dan Dungaciu, einer der prominentesten Geopolitik-Wissenschaftler Rumäniens, Dan Voinea, Jurist, Militärstaatsanwalt a.D. und 1989 Ankläger im Ceausescu-Prozess oder Dumitru Miron, Dekan der Fakultät für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Bukarester Elite-Uni ASE. Er zertifizierte unter anderem sieben der zehn Werke, die der Medienmogul Dan Voiculescu binnen anderthalb Jahren im Gefängnis verfasst hat. Voiculescu war einst Devisenbeschaffer Ceausescus und soll sich aus dem Milliardenvermögen des Diktators und seines Geheimdienstes Securitate bereichert haben. Seine Bücher tragen so pompöse Titel wie: "Der vierte Weg" oder "Menschheit - wohin?".

Die öffentliche Empörung über die Fließbandproduktion wissenschaftlicher Werke ist inzwischen groß. Rumäniens bekanntester Literaturkritiker Nicolae Manolescu nennt die Praxis ein "nationales Gaunertum". Die Politologin Alina Mungiu-Pippidi spricht von einer "Transformation der akademischen Welt in eine Form des organisierten Verbrechens".

Angesichts dessen ermittelt nun Rumäniens Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft DNA, unter anderen gegen zahlreiche Hochschullehrer wegen Begünstigung von Straftätern. Das Justizministerium will die Gesetzesregelung per Notverordnung abschaffen. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass das rumänische Parlament der Verordnung zustimmt. Die meisten Abgeordneten zeigten sich in der Vergangenheit solidarisch mit ihren inhaftierten Kollegen und politischen Freunden.

Gigi Becali versteht die ganze Aufregung sowieso nicht. "Wir haben uns doch nur einen kleinen Vorteil verschafft und das Gesetz ausgenutzt", sagte er vor kurzem im Bukarester Fernsehsender B1. Befragt, ob er der Autor seiner Bücher sei, sagte Becali. "Ich verfüge nicht über die Gabe des Schreibens. Dein Instrukteur schreibt die Sache, du kopierst das dann von Hand und gibst das Manuskript ab. Wo liegt das Problem?"

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten