Russische Sponti-Truppe "Pussy Riot" Überfallkommando mit Häkelmützen
Die junge Frau, die durch die verschneiten Moskauer Gassen stiefelt, hat ihren Schal weit über Mund und Nase geschoben. Die Mütze ist tief in die Stirn gezogen. Ihr Name, sagt sie, soll nicht bekannt, ihr Gesicht nicht gezeigt werden. "Kater" will sie genannt werden, auf russisch "Kot". Sie biegt nach links um eine Ecke. Der kaum einen Kilometer entfernte Kreml liegt jetzt in ihrem Rücken, Symbol einer autoritären, von Männern beherrschten Staatsmacht, die sie hasst.
Wladimir Putin will nach den Präsidentschaftswahlen am 4. März in den Kreml zurückkehren. Nach einer Verfassungsänderung könnte er Russland dann sechs statt bislang vier Jahre lang regieren.
In einem Hof steigt "Kot", der Kater im Rock, in ein Kellergewölbe herab. Jemand hat hundertfach "Chui" an die Treppenwand geschmiert, das russische Wort für Schwanz. Hinter der Tür schmiegen sich lange Bücherregale an die Wand eines Gewölbes. Die kleine Buchhandlung dient als Hauptquartier von "Pussy Riot". Die Frauentruppe provoziert seit Wochen den Kreml mit medienwirksamen Protestaktionen. Neulich kletterten "Kot", der Kater, und sieben Mitstreiterinnen auf ein Mäuerchen auf Moskaus Rotem Platz.

Die Zaren hatten einst an der Stelle Widersacher hinrichten und Erlasse verlesen lassen. Nun postierten sich "Pussy Riot" gegenüber der roten Mauer des Kremls. Bei minus 20 Grad Celsius trugen sie nur grelle Kleider, neon-farbene Strümpfe und bunte Strumpfmasken. Sie schüttelten Fäuste und Köpfe und sangen Wladimir Putin ein Lied:
"Eine Kolonne Aufständischer marschiert zum Kreml, in den Büros der Geheimdienstler explodieren die Fenster. Hinter den roten Mauern pissen die Schlampen. Riot rufen die Abtreibung des Systems aus. Aufruhr in Russland - Putin pisst sich in die Hose."
Der schrille Protest gegen Russlands Führung dauerte nur wenige Minuten, dann führten Polizisten die vermummten Frauen vor den Augen einiger verwirrter Passanten ab. Über Blogs und Twitter aber verbreitete sich die Nachricht von der kessen Feministinnen-Combo in Windeseile.
"Pussy Riot" haben einen Feldzug ausgerufen: gegen Russlands autoritär regierende Staatsmacht und gegen eine patriarchalisch geprägte Gesellschaft, in der "Frauen vor allem sexy aussehen, ansonsten aber die Klappe halten sollen", wie sie sagen. Darin ähneln sie der Bewegung "Femen", die seit Jahren in der Ukraine mit entblößten Brüsten gegen Prostitution und für mehr Demokratie demonstriert.
"Pussy Riot" haben sich im Herbst 2011 gegründet - ein paar Tage, nachdem Staatschef Dmitrij Medwedew Putin als Präsidentschaftskandidat ausgerufen und verkündet hatte, darauf hätten sich beide schon vor vier Jahren geeinigt. "Wir lassen uns aber nicht für dumm verkaufen", sagt "Kot" von "Pussy Riot". Seither führt die Gruppe einen Guerilla-Kampf für die Emanzipation von Russlands Wählern im Allgemeinen und der Frauen im Besonderen. "Wir sind die Avantgarde der Gleichberechtigung", sagen sie. "Pussy Riot" kennt keine Frontsängerinnen. Jede brüllt so gut sie kann. Die bunten Kleider und Masken tauschen sie untereinander. "Wir könnten jeder sein und niemand", sagt Aktivistin "Kot".
"Pussy Riot" nennt sich selbst eine Punk-Band. Mit Musikkonzerten haben ihre Auftritte aber wenig gemein, sie ähneln eher Überfällen. Die Aktivistinnen streifen dann Sturmhauben oder Häkelmützen mit Sehschlitzen über und brüllen ihren Zorn auf die von Macho Putin beherrschte Politik unters Volk. Je schräger die Töne, desto besser. Als Bühnen dienen ihnen Moskaus Plätze, aber auch Dächer, Baugerüste oder die Boutiquen von Russlands Hauptstadt-Schickeria.
"Putinscher Glamour" nennen sie die High-Society abfällig, reiche Unternehmer und Sternchen aus dem Showbusiness, die sich mit dem System arrangiert haben. Ende November attackierten "Pussy Riot" eine Moskauer Modeschau. Als Journalisten getarnt schmuggelten sie sich unter das Publikum. Dann stürmten sie den Laufsteg und riefen: "Nieder mit den Sexisten, den verfickten Putinisten." Sie steckten Brandpulver an, ließen Stichflammen auflodern und amüsierten sich über das verwirrte Publikum. "Die Idioten in ihren Pelzmäntelchen blieben einfach sitzen wie dumme Kühe. Sie sind so debil, dass sie gar nicht wussten, was sie tun sollen", spottet "Kot".
Sie hat sich auf einen Hocker in der Moskauer Kellerbuchhandlung gesetzt. Die Inhaber sympathisieren mit "Pussy Riot" und gewähren ihnen Unterschlupf. Auf einem Regal lehnt ein Plakat mit dem Erkennungszeichen der Gruppe, einem Venussymbol mit einer geballten Faust in der Mitte. "Töte den Sexisten", steht daneben. "Pussy Riot" lehnen nach eigenem Bekunden Gewalt ab. Sie wollen aber "Druck ausüben, damit sich etwas in Politik und Gesellschaft ändert", sagt "Kot".
An der Kasse des Bücherladens können Käufer Medwedew und Putin als Hampelmänner erstehen. Medwedew hält ein iPad in der Hand, das er so gerne mit sich trägt, um sich als moderner Reformer zu präsentieren. Putin aber gibt es stilecht mit Macho-Sonnenbrille und blankem Oberkörper. Es ist ein spöttischer Kommentar auf Putins Vorliebe, sich für Kameraleute und Fotografen beim Schwimmen, Reiten oder Jagen in Pose zu werfen. "Sein Imponiergehabe", spottet "Kot", "gleicht dem von Schimpansen. Doch seine Zeit läuft ab."