Russland abseits der WM
Zum Anpfiff eine Rentenreform
Was für ein Zufall: Am Tag der weltweit übertragenen WM-Eröffnung ging es in Russlands Parlament unerwartet um eine Erhöhung des Rentenalters. Proteste dagegen werden durch ein Dekret von Putin erschwert.
Ein paar Tage haben die Gegner von Wladimir Putins Rentenreform gebraucht, um sich zu sammeln. Nun kündigte die "Konföderation der Arbeit", ein Zusammenschluss unabhängiger Gewerkschaften mit insgesamt fast zwei Millionen Mitgliedern, eine "aktive Kampagne" gegen die Gesetzesänderung an.
Völlig überraschend hatte die Regierung am Tag der Eröffnung der WM einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise von heute 55 auf 63 Jahre und für Männer von derzeit 60 auf 65 angehoben werden soll.
In der Vergangenheit lösten soziale Kürzungen stets die größten Proteste aus. So etwa die Monetarisierung von Sozialleistungen, die für Demonstrationen im ganzen Land sorgten. Deshalb hatte nicht nur die oppositionelle Presse den Eindruck, die Regierung wolle die WM nutzen, um von unpopulären Reformen abzulenken.
Am gleichen Tag wurde auch noch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent angekündigt. Zumindest die Rentenreform wird zwar von Ökonomen als weitgehend unumgänglich betrachtet. Eine breite Diskussion darüber hat es in Russland jedoch nicht gegeben.
Die unabhängigen Gewerkschaften berichteten, sie hätten mehr als eine Millionen Unterschriften bei einer Onlinepetition gegen die Reformpläne gesammelt. Es würden alle Möglichkeiten zu einem friedlichen Protest erwogen, die während der WM erlaubt seien, heißt es aus dem Verband.
Das Problem: Mit einem Dekret hat Wladimir Putin bereits im vergangenen Jahr vor dem Confed Cup das Demonstrationsrecht für die Zeit der WM stark eingeschränkt. Dadurch können zumindest in den WM-Städten die lokalen Regierungen die Zeit und den Ort solcher Proteste und Kundgebungen festlegen, außerdem ihre maximale Teilnehmerzahl.
Putin versucht sich dennoch schon jetzt aus der Schusslinie zu bringen. Sein Sprecher ließ verlautbaren, der Präsident habe mit der Initiative nichts zu tun. Diese Frage sei vielmehr in der Verantwortung der Regierung unter Dmitrij Medwedew, den Putin jedoch kürzlich als Regierungschef bestätigte.