Russland-EU-Gipfel Europas Handelsreisende besuchen ihren liebsten Absatzmarkt

Bloß keine Konflikte: Spitzenpolitiker der EU sind an diesem Donnerstag zum ersten Gipfeltreffen mit dem neuen Präsidenten Medwedew ins sibirische Chanti-Mansisk gereist. Heikle Themen wie die Energiepolitik kommen dabei nicht auf den Tisch - die Wirtschaftsbeziehungen zum Westen blühen trotzdem.

Einem Erzübel hat Russlands Präsident Dmitrij Medwedew schon unmittelbar vor dem EU-Russland-Gipfel den Kampf angesagt: dem "nationalen wirtschaftlichen Egoismus". Gemeint ist vor allem die Politik der Bush-Administration, der Medwedew vorwirft, sie habe die eigene Wirtschaft lange Zeit auf Kosten anderer "übermäßig aufgepumpt" und damit die internationale Finanzkrise provoziert.

Gemeint ist aber auch der Wunsch der Europäer, Russland möge die Energiecharta unterzeichnen und seinen westlichen Partnern Zugang zu seinen Gasröhrennetzen gewähren. Da wird es keinen Konsens geben, auch wenn beide Seiten im westsibirischen Chanti-Mansisk sich an diesem Donnerstag gegenseitig eine "strategischen Partnerschaft" zusichern.

Russland schottet seine Energiebranche mit bisweilen ruppigen Methoden gegen vermeintlich zu gewichtige ausländische Investoren ab, wie zuletzt im Fall BP. Das ist eine Strategie des "nationalen Egoismus", den die Kremlpartei - die jetzt "Einiges Russland" heißt - vor einigen Jahren für ihre Funktionäre in Schulungen wörtlich sogar zum Lernziel erklärte. Um Konflikte auszuklammern, schlägt Medwedew vor, den neu zu verhandelnden Vertrag über die Beziehungen zwischen Russland und der EU als "Rahmenabkommen" zu formulieren, das "nicht mit absolut konkreten Dingen beschwert" werden sollte.

Dass beide Seiten, Russen und Europäer, dennoch von enger werdenden wirtschaftlichen Beziehungen profitieren, zeigt ein Blick auf die Statistik: Allein von Februar 2007 bis Februar 2008 stiegen die Ausfuhren der EU-Länder nach Russland von 11,6 Milliarden Euro auf 15,3 Milliarden - um 33 Prozent also. Der Warenaustausch zwischen der EU und Russland betrug im vergangenen Jahr rund 200 Milliarden Euro.

Die Russen liefern mehr als ein Viertel des in der EU verbrauchten Gases. Sie kaufen europäische Konsumgüter wie Autos, Waschmaschinen, Fernseher, Stereoanlagen und Kosmetika in einem solchen Umfang, dass die Deutsch-Russische Außenhandelskammer in ihrem neuen Jahresbericht zu dem Schluss gelangt, Russland bleibe "auf Jahrzehnte hinaus einer der weltweit besten Absatzmärkte".

Wo die Bilanzen so gut sind, muss sich die Moral mit Fußnoten begnügen. Da kann es sich Präsident Medwedew leisten, in einem Interview mit Reuters zu verkünden "unser Fernsehen" sei "reif, qualitativ gut und interessant zu sehen". Das ist menschlich verständlich, denn kaum einer kommt im Kreml-gelenkten Fernsehen so oft vor und so gut weg wie Russlands Präsident - den russischen Premier und Medwedew-Ziehvater Putin einmal ausgenommen.

Über die russischen Medien, so Medwedew mit einem Hauch Putinscher Ruppigkeit, beklage sich doch nur "ein Haufen politischer Loser", die dort nicht jeden Tag vorkämen. Ging es ihm darum, übertriebene Erwartungen an eine "Liberalisierung" der Meinungsfreiheit zu dämpfen, darf der präsidiale Auftritt als gelungen gelten.

In eher alten und ganz alten Bahnen bewegt sich ein Vorschlag Medwedews, ein "kollektives System der Sicherheit" zu schaffen, um das "primitive Blockdenken" zu überwinden. Völlig unklar ist, was damit gemeint ist. Die "kollektive Sicherheit" gehörte schon zu sowjetischen Zeiten zu den Evergreens der Moskauer Diplomatie. Sollen etwa Estland oder Lettland oder Polen mit Russland einen Pakt über gegenseitigen Beistand für den Fall einer äußeren Aggression schließen? In den drei betreffenden Hauptstädten wird man über solche Vorschläge bestenfalls verächtlich die Stirn runzeln. Und eine neue Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nach dem Vorbild von Helsinki 1975 könnte nur wiederholen, was jene beschloss: dass die staatlichen Grenzen unverletzlich sind.

Eine Konfrontation wegen Abchasien will man vermeiden

Doch Russland zieht in drei Regionen Nutzen gerade aus ungeklärten Gebietskonflikten: in Transnistrien auf dem Territorium Moldaus und in Abchasien und Südossetien auf dem Gebiet Georgiens. Dort agiert Moskau als Schutzmacht international nicht anerkannter Republiken. Die Lage dort, eine Folge des Zerfall der UdSSR, ist kompliziert und einstweilen vom Konferenztisch aus nicht zu beeinflussen.

Zwar hat George W. Bush bei seiner Europa-Reise Kanzlerin Merkel inständig gebeten, so ein Sprecher des Weißen Hauses, "Russland zu drängen, seine provokativen Aktionen in den separatistischen Regionen zurückzunehmen und Georgiens territoriale Integrität zu respektieren". Doch da müssen Interessen der USA an ihrem Schützling Georgien wohl hinter deutschen Exportinteressen zurück stehen. Weder Deutschland noch die gesamte EU sind geneigt, wegen eines Gebietes wie Abchasien, das weniger Einwohner hat als Bochum, sich auf eine Konfrontation mit Moskau einzulassen. Dies umso weniger, als man im Auswärtigen Amt weiß, dass im Kaukasus georgische Hardliner ähnlich gern zündeln wie russische.

So kann man offene Worte zum inneren Zustand des russischen Partners weniger auf dem EU-Russland Gipfel vernehmen, als in den kritischen Teilen russischer Printmedien. Die Zeitschrift "Expert", Medwedews Reformversprechen in Sympathie verbunden, konstatiert in ihrer jüngsten Ausgabe: "Das Hauptproblem besteht heute darin, dass der Staat sich in keiner Weise selbst beschränken will. Er will sein Geld nicht für Infrastrukturprojekte ausgeben". Die staatlich gesteuerte russische Rohstoffbranche verwandle sich "in eine wirtschaftliche Metropole, für die der Rest des Landes eine Kolonie ist". Dies sei, so das Blatt, ein Symptom einer "herannahenden Krise".

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