Regionalwahlen in Russland Das System Putin hat ein Problem

Bei der Regionalwahl in Moskau sind viele putintreue Kandidaten gescheitert - obwohl sie gar nicht mehr für die unpopuläre Kremlpartei angetreten waren. Putins System schwächelt, der Kreml muss immer stärker eingreifen.
Wählen in Russland: Hier wird in einem Wahllokal in Sankt Petersburg abgestimmt

Wählen in Russland: Hier wird in einem Wahllokal in Sankt Petersburg abgestimmt

Foto: Dmitri Lovetsky/ DPA

Der Moskauer Chef der Regierungspartei "Einiges Russland" verliert seinen Sitz im Stadtparlament. Die Opposition feierte die Nachricht, dass Andrej Metelskij nun ohne Mandat ist - steht doch seine Niederlage symbolisch für die Schwäche der Kremlpartei in der russischen Hauptstadt.

13 Mandate hat "Einiges Russland" in dem 45 Sitze großen Parlament eingebüßt. Dabei trat offiziell gar keiner der Kandidaten mehr für die Partei an, so unpopulär ist sie inzwischen: Sie nannten sich zum Schein unabhängige Politiker. 15 Kandidaten der tatsächlich vom Kreml unabhängigen Opposition - Mitglieder aus dem Team von Alexej Nawalny wie Ljubow Sobol sowie die Politiker Dmitrij Gudkow und Ilja Jaschin - waren erst gar nicht zugelassen worden.

Gebracht hat das alles nichts: Im Moskauer Regionalparlament sitzen nun 20 Abgeordnete der Opposition: 13 von der Kommunistischen Partei, drei von der linken Partei "Gerechtes Russland" und vier von der liberalen Jabloko. Letztere kann man als Oppositionspartei im westlichen Sinne bezeichnen. Kommunisten und "Gerechtes Russland" werden Systemopposition genannt, weil sie sich in der Duma loyal zum Kreml verhalten.

Deshalb wirkt die Schlagzeile "Partei der Macht verliert Moskau" der wirtschaftsliberalen Zeitung "Wedomosti" etwas verfrüht. Es muss sich erst zeigen, wie sich die Abgeordneten von Kommunisten und "Gerechtes Russland" in dem Regionalparlament verhalten werden. Streben sie eine ernsthafte politische Konkurrenz zu "Einiges Russland" an? Oder nicken sie im Sinne der Moskauer Führung weiterhin alles ab?

Taktisches Wählen gegen Kreml-Partei

Abstimmen in Moskau: Der Oppositionelle Alexej Nawalny

Abstimmen in Moskau: Der Oppositionelle Alexej Nawalny

Foto: Andrew Lubimov/ DPA

Ihren Einzug ins Moskauer Parlament haben die anderen Parteien auch Nawalny zu verdanken. Er hatte dazu aufgerufen, "klug" abzustimmen, taktisch gegen "Einiges Russland" zu wählen. Die Bürger sollten ihre Stimme jenem Kandidaten geben, der die meisten Chancen hatte, gegen den Vertreter der Kremlpartei zu gewinnen (Lesen Sie hier mehr dazu). Diese Strategie ist in Moskau aufgegangen.

"Einiges Russland" ist so unbeliebt wie nie. Gerade einmal ein Drittel der Russen unterstützt heute noch die Partei, auch weil die Wirtschaft stagniert und die Realeinkommen sinken. Wut löste vor allem die unpopuläre Anhebung des Renteneintrittsalters im vergangenen Sommer aus.

Bei den Regionalwahlen im vergangenen Herbst erlitt "Einiges Russland" danach empfindliche Niederlagen: In zwei Regionen regieren nun Gouverneure - was in Russland etwa einem Ministerpräsidenten entspricht - von der rechtspopulistischen LDPR , in einer Region wurde ein Kommunist gewählt. In Chabarowsk im Osten Russlands hält die LDPR-Partei des Gouverneurs nach der Wahl am Sonntag nun auch die Mehrheit im Regionalparlament.

In Moskau, wo der Anteil der westlich orientierten, liberaleren Bewohner höher ist, fällt die Zustimmung für die Kremlpartei noch geringer aus. Auch deshalb entschied man sich, die 15 Kandidaten der Opposition erst gar nicht zuzulassen - aus Angst, dass sie ihre Wahlkreise klar gewinnen könnten.

Im kommenden Jahr steht die Abstimmung zur Duma an. Bekannteren Kandidaten der Opposition wollte man keine Möglichkeit geben, Erfolge zu feiern und noch stärker zu werden. Als Grund für den Wahlausschluss gaben die Behörden an, die Unterstützerunterschriften der Oppositionellen wiesen zu viele Fehler auf.

Das löste Empörung und Proteste aus, fast jedes Wochenende demonstrierten die Menschen den Sommer über. Die Folge waren Polizeigewalt und politische Verfolgung mit hohen Haftstrafen für sechs meist junge Männer . Aus Moskau, das sich mit seinen renovierten Parks und Straßen so gern als Weltstadt präsentiert, gingen hässliche Bilder von schlagenden Polizisten und Demonstranten in Gefängniskäfigen um die Welt.

Die musste der Kreml in Kauf nehmen. Es blieb nur noch das Mittel der Einschüchterung, um die Proteste zu kontrollieren.

Massive Eingriffe in Sankt Petersburg

Doch politisch steht der Kreml vor der wichtigen Dumawahl 2021 vor einem Dilemma. Es fällt ihm immer schwerer, gute Wahlergebnisse für die Kandidaten von "Einiges Russland" zu organisieren. Das Interesse an den Tausenden Abstimmungen in den 85 Regionen war am Sonntag überwiegend gering. In Moskau, wo man eigens Sänger, Animateure, Essensstände und Spieleprogramme organisierte, beteiligten sich gerade einmal gut 21 Prozent der Wahlberechtigten.

Unterstützt vom Kreml: Gouverneur Alexander Beglow in Sankt Petersburg

Unterstützt vom Kreml: Gouverneur Alexander Beglow in Sankt Petersburg

Foto: Dmitri Lovetsky/ DPA

Formal ist die Kremlpartei nach wie vor stärkste politische Kraft, wie auch der Vorsitzende und Premier Dimitrij Medwedew gleich nach Schließen der Wahllokale betonte. Da waren bereits erste Meldungen eingegangen, dass sich alle 16 zur Wahl stehenden Gouverneure von "Einiges Russland" durchgesetzt haben - sieben davon traten als angeblich unabhängig an.

Für seine Wahlerfolge muss der Kreml nach 20 Jahren mit Wladimir Putin an der Spitze aber immer mehr tun:

  • Repressionen gegen die Opposition haben zugenommen. Vor allem gegen die Nawalny-Leute wird vorgegangen. Sie haben inzwischen in den sozialen Medien Millionen Follower.
  • Die staatliche Propaganda verunglimpft wirklich unabhängige Kandidaten.
  • An Wahltagen müssen leitende Beamte und Angestellte der Behörden dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter im Sinne der Macht abstimmen gehen.

Dabei gilt die Regel: Je wichtiger die Wahl, desto größer der Einsatz. Auch am Sonntag gab es nach Angaben der unabhängigen Golos-Wahlbeobachter Hunderte Verstöße, wie etwa das Einwerfen von gleich mehreren Wahlzetteln in die Urnen.

Besonders in Putins Geburtsstadt Sankt Petersburg griff der Kreml massiv ein, um den Wahlsieg des unbeliebten amtierenden Gouverneurs Alexander Beglow im ersten Wahlgang mit mehr als 65 Prozent zu gewährleisten. Nach und nach wurden starke Gegenkandidaten verunglimpft und zum Aufgeben gezwungen , zuletzt gab ein bekannter Regisseur und Kommunist auf. Am Wahltag wurden Wahlbeobachter angegriffen. Zudem gab es Meldungen von Beobachtern, dass Geld und anderes dafür geboten worden sei, für Beglow zu stimmen. Eine Vertreterin von "Gerechtes Russland" schrieb von bis zu 3000 Rubel (rund 41 Euro) und Wodka.

Die Leiterin der Zentralen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, sprach dagegen von einer "geringfügigen Anzahl an Wahlverstößen".

Mitarbeit: Tatiana Sutkovaja
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