Putin auf Konfrontationskurs Väterchen Frost

Putin auf Konfrontationskurs: Väterchen Frost
Foto: SERGEI KARPUKHIN/ REUTERSGleich in den ersten Sätzen wurde Russlands Präsident grundsätzlich. Da gab er seinen Zuhörern aus Staatsduma, Föderationsrat und Gouverneuren zu verstehen, dass er keineswegs vorhat, sich dem Druck des Westens zu beugen. Damit war die Linie für Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation vor der politischen Elite des Landes im Georgjewski-Saal des Kreml vorgegeben. Auch wenn er im Ton teilweise konzilianter auftrat als zuletzt, präsentierte sich der Präsident außenpolitisch unnachgiebig - und inszenierte sich als Wahrer konservativer Werte und als Streiter für Wahrheit und Gerechtigkeit.
Den Konflikt um die Schwarzmeerhalbinsel Krim nannte Putin die "historische Vereinigung der Krim und Sewastopols mit Russland". Die Begründung dafür fiel geschichtsmächtig aus. Die Krim, so der Präsident, habe "besondere Bedeutung", als "geistige Quelle für die vielgesichtige, aber monolithische russische Nation und den russischen Staat".
Denn dort, in Chersones im Südwesten der Halbinsel, sei der Fürst Wladimir getauft worden. Das war im Jahr 988 - in der vom orthodoxen Glauben geprägten Geschichte der Russen ein Schlüsselereignis. Russland, so verteidigte Putin sein militärisches Vorgehen auf der Krim, sei dabei "für Wahrheit und Gerechtigkeit" eingetreten.
Imperiale Sicht
Dieses Verständnis von Wahrheit ("Prawda"), mit dem sich Putin in Gegensatz zu westlichen Auffassungen von Völkerrecht begibt, wurzelt in der Zarenzeit. Nicht mehr die Anpassung an westliche Werte, die noch bei seinem Vorgänger Boris Jelzin politische Linie war, sondern ein imperiales Verständnis nationaler Interessen ist jetzt in Moskau die leitende Doktrin.
Dabei betonte Putin ausdrücklich, er vertrete "konservative Werte" und berief sich auf den Philosophen Iwan Iljin (1883 bis 1954), den er schon lange verehrt. Damit vollzieht Putin einen offenen Bruch mit dem Liberalismus, der ihn noch bis in die ersten Jahre seiner Präsidentschaft teilweise beeinflusste.
Iljin, in seiner Jugend zunächst Anhänger der linken Sozialrevolutionäre, dann konstitutioneller Monarchist und Slawophiler, wurde 1922 von den Bolschewiki ins Exil gedrängt. Der Philosoph hielt die westliche Demokratie für eine "Sackgasse", befürwortete ein autoritäres System und war überzeugt, dass die "westlichen Völker die russische Eigenart nicht verstehen und nicht dulden". Ziel des Westens sei "die Zerstückelung Russlands".
Moderate Töne zur Ukraine-Krise
An diese Ansichten Iljins knüpfte Putin in seiner Rede an, als er westlichen Politikern vorwarf, sie hätten schon während des Krieges in Tschetschenien beabsichtigt, Russland "nach jugoslawischem Szenarium zu zerlegen". Dabei bekannte sich Putin zur "Liquidierung von Terroristen" in Tschetschenien angesichts eines aktuellen Überfalls von Untergrundkämpfern auf das Pressehaus in der tschetschenischen Landeshauptstadt Grosny.
Zum bewaffneten Konflikt in der Ukraine äußerte sich Putin weniger schroff als in den vergangenen Monaten. So verwendete er nicht mehr den Begriff "Neurussland" für den Südosten der Ukraine und schwieg über die von Russland unterstützen Aufständischen in den "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk. Stattdessen sprach er von einer "Tragödie in der Ukraine" und verzichtete auf seine umstrittene These vom Frühjahr, Russen und Ukrainer seien im Grunde "ein Volk".
Wohl nicht zufällig plädieren selbst Rebellenführer in Donezk und Luhansk, wie von unsichtbarer Hand angestoßen, in den letzten Tagen für einen Waffenstillstand. Putins für seine Verhältnisse dezente Aussagen deuten darauf hin, dass er Spielraum für eine diplomatische Regelung des Konflikts gewinnen will. Einen leichten Dämpfer gab er radikalen Nationalisten mit seinem Hinweis, Russland werde "nicht zur Selbstisolation oder Fremdenfeindlichkeit" übergehen. Das Land bleibe "offen für die Welt".
Die "reale staatliche Souveränität" aber sieht Putin als "Voraussetzung für die Existenz Russlands" an. Das ist ein Signal dafür, dass Putin nicht einmal daran denkt, wegen der westlichen Sanktionen seine Politik zu ändern.
Großes Herz für alte Gauner
Als Reaktion auf die Sanktionspolitik plädierte Putin für das Projekt eines sozial abgefederten nationalen Kapitalismus. Dass Mütterchen Russland dabei auch alte Sünder wieder an ihr Herz drücken will, machte der Präsident deutlich, als er eine "volle Amnestie" für alles Fluchtkapital ankündigte. Wer mit viel Geld wieder heimkehre, solle "nach der Herkunft des Kapitals nicht gefragt werden".
Ob Russlands schwächelnde Wirtschaft sich durch alte Gauner beleben lässt, die aus Londoner Bars wieder in russische Banjas ziehen, bezweifeln russische Ökonomen. Zumal der Präsident selbst ausführlich beklagte, wie bürokratische Instanzen Unternehmer immer wieder "mit aufdringlichen Kontrollen" belästigen.
Eines der Kernprobleme des Landes, die exzessive Korruption, streifte Putin nur, indem er davon sprach, er wolle "Ordnung schaffen" in den Finanzen von Staatsbetrieben. Vor ihm saßen zahlreiche Staatsdiener, die ihr Vermögen und ihre Immobilien gerade der Unordnung in diesem Bereich verdanken.
Zwar forderte Putin, die Plünderung von Ressourcen für die Verteidigung sei ein "Schlag gegen die nationale Sicherheit" und müsse wie Terrorismus bestraft werden. Doch dass der russische Bär in diesem Kampf eher mal bedrohlich brummt als wirklich zubeißt, zeigt der Fall des hoch korruptionsverdächtigen ehemaligen Verteidigungsministers Anatolij Serdjukow. Der Mann wurde unter dem Lärm der "Heimkehr der Krim" stillschweigend amnestiert.