

Bänder aus schwarzem Stoff flattern an den Fahnen vor der Botschaft Polens in der Moskauer Klimaschkin-Straße. Den ganzen Tag über strömen die Bürger der russischen Hauptstadt herbei, legen Blumen nieder, zünden Kerzen an.
Manche suchen nach Worten des Beileids, hinterlassen Kondolenzkarten. Formuliert wird da der Wunsch, die beiden slawischen Völker mögen nach dieser Tragödie und über die Gräben der Geschichte hinweg zueinander finden. "Lasst uns nicht länger warten, einander zu mögen", schreibt einer. "Denn wir verlassen diese Welt so schnell."
"Wir haben jetzt sehr traurige Probleme zu lösen", sagt Moskaus Oberbürgermeister Jurij Luschkow an diesem Sonntag, kaum 24 Stunden nach der Katastrophe. Er leitet den Krisenstab in der Stadt. Die Identifizierung der Toten in der russischen Hauptstadt und die Überführung stehen bevor. Die Angehörigen kamen mit Charterflügen und in Zügen. Die sonst so langwierige Visaerteilung haben die russischen Behörden unbürokratisch vereinfacht, Busse und Polizeieskorten bereitgestellt. Übersetzer und Psychologen wurden eilig zusammengetrommelt und Zimmer in Hotels reserviert, 400 Betten insgesamt.
Nach Angaben der polnischen Gesundheitsministerin Ewa Kopacz konnte bislang nur die Identität von 14 Toten geklärt werden. Zehn weitere könnten wahrscheinlich aufgrund besonderer Merkmale erkannt werden. In allen anderen Fällen werden DNA-Analysen nötig sein.
Russland fühlt mit Polen und den Familien der Toten der Tupolew-154, die am Samstagmorgen im Landeanflug auf die Stadt Smolensk am Boden zerschellt ist - mit dem russlandkritischen Präsidenten Lech Kaczynski an Bord, dessen sterbliche Überreste am Samstag als einzige schon nach Warschau überführt wurden. Der Staatschef und andere hochrangige Vertreter des Landes waren auf dem Weg zum Gedenken an die Opfer des Katyn-Massakers.
Eigentlich sollten die Erinnerungsfeierlichkeiten in diesem Jahr ein Zeichen der Aussöhnung werden. Jetzt fürchten nicht wenige um das gerade ein bisschen verbesserte Verhältnis beider Länder.
Weitgehend unbemerkt hatte Russland zuletzt eine Kurskorrektur im Verhältnis zu Polen eingeleitet. Im September 2009 verurteilte Putin in einem "Brief an die Polen" den Hitler-Stalin-Pakt, der 1939 zur Aufteilung Polens führte. Und Mitte der Woche wagte er dann in Katyn den Kniefall vor Polens Opfern. In einem Wäldchen nahe des russischen Dorfes bei Smolensk hatten im April und Mai 1940 sowjetische Geheimdienste 4000 polnische Kriegsgefangene mit Genickschüssen getötet. Insgesamt wurden in dieser Zeit in Russland auf Befehl Stalins mehr als 20.000 polnische Offiziere, Geistliche und Intellektuelle ermordet. Das Verbrechen wurde von der Sowjetunion zunächst vertuscht. Stalin behauptete, die Offiziere seien nicht tot, sondern "in die Mandschurei" geflohen. Nach Kriegsende wurde Hitler-Deutschland des Verbrechens bezichtigt.
Das seien "zynische Lügen" gewesen, sagte Putin am Mittwoch bei seinem Besuch in Katyn mit dem polnischen Regierungschef Donald Tusk. Der Bürgerrechtler Arsenij Roginskij bezeichnete Putins Rede gleich nach der Zeremonie als einen "Schritt in die richtige Richtung". Roginskij führt die Nichtregierungsorganisation Memorial, die Stalins Verbrechen aufarbeitet und seit Jahren eine Entschuldigung von Russlands Führung für die Gräueltaten an Polen fordert.
Nun, nach dem Tod des Präsidenten Kaczynski, sagt Roginskij: "Katyn ist ein tragischer Schicksalsort für die Polen."
Russlands Führung tut jetzt alles, um die zarte Annäherung nicht zu gefährden. Am Samstagabend trat Russlands Präsident Dmitrij Medwedew vor die Fernsehkameras des Staatsfernsehens und wandte sich an das polnische wie das eigene Volk. Regierungschef Putin eilte am Sonntag selbst zur Unglücksstelle, trat dort erneut Seit an Seit mit seinem Kollegen Tusk auf - und wird nun persönlich eine Ermittlungskommission zur Unglücksursache leiten. Für Montag hat Russland Staatstrauer ausgerufen.
"Schwerwiegender Verlust und Prüfung für das gesamte polnische Volk"
Geeint wie selten kondoliert auch das politische Moskau den Angehörigen der polnischen Opfer. Sergej Mironow, Chef der Kreml-treuen Partei Gerechtes Russland und Vorsitzender des Föderationsrates, der zweiten Parlamentskammer, bekundete sein Mitgefühl: "Ich weiß, dass meine Kollegen und alle meine Mitbürger meine Trauer teilen." Selbst der Führer der rechtsnationalistischen Liberaldemokratischen Partei, der Populist Wladimir Schirinowski, der Kaczynski 2008 noch als "Missgeburt" beschimpft hatte, nannte den Absturz eine "schreckliche Tragödie, einen schwerwiegenden Verlust und eine Prüfung für das gesamte polnische Volk. Nehmen Sie von den Abgeordneten meiner Partei und von mir persönlich unser tiefes Beileid entgegen".
Lediglich den russischen Kommunisten, die auch heute noch gern Stalin-Bildnisse bei Protestzügen vorantragen, schwant Böses. Es gebe Kräfte, die versuchten, "diese Tragödie als Vorwand zu nutzen, den glimmenden russisch-polnischen Konflikt anzufachen und gar den Konflikt Russlands mit dem Westen".
Konstantin Kosatschow, Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten und Abgeordneter der Kreml-Partei Einiges Russland, sprach von einem "Schock, einer Tragödie". Besonders tragisch sei, "dass das mit jenen Menschen passierte, die selbst zu einer Trauerzeremonie reisten. Katyn fordert weiter Opfer".
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Messe für die Absturzopfer in Moskau: Russland fühlt mit den Familien der Toten der Tupolew-154, die am Samstagmorgen bei Smolensk am Boden zerschellte.
Blumen an der polnischen Botschaft in Moskau: "Lasst uns nicht länger warten, einander zu mögen", steht auf einer Kondolenzkarte, "denn wir verlassen diese Welt so schnell."
Trauernde vor der Botschaft: Journalisten fürchten, das Verhältnis beider Länder könnte sich nach einem kurzen Tauwetter verschlechtern.
Gedenken in der Polnischen Kirche in Moskau: "Besonders tragisch, dass das mit jenen Menschen passierte, die selbst zu einer Trauerzeremonie reisten."
Letzte Ehre im Präsidentenpalast. Dort sind die Särge des Präsidentenpaares aufgebahrt, damit die Bürger sich von beiden verabschieden können
Der Leichnam von Lech Kaczynski wird in den polnischen Präsidentenpalast überführt: Soldaten tragen den Sarg mit den Überresten des in Russland verunglückten Staatschefs.
Stille Trauer: Jaroslaw Kaczynski kniet am Warschauer Flughafen vor dem Sarg seines in Russland verunglückten Bruders Lech nieder,...
...auch Lech Kaczynskis Tochter Marta nimmt an der Zeremonie auf dem Flughafen teil.
Trauer im Schweigen: Polen vor dem Präsidentenpalast in Warschau
Der polnische Präsident Kaczynski, seine Frau Maria und 95 weitere Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben.
Nach der Nachricht über den Absturz der Präsidentenmaschine versammelten sich Tausende Menschen spontan vor Kaczynskis Amtssitz in Warschau.
Zehntausende Kerzen und Blumen wurden vor dem Amtssitz des Staatschefs niedergelegt.
Der polnische Parlamentschef Bronislaw Komorowski hat die Geschäfte des tödlich verunglückten Staatsoberhaupts Kaczynski vorübergehend übernommen.
Komorowski kündigte eine Woche Staatstrauer in Polen an.
Bürger Warschaus trugen sich in ein Kondolenzbuch ein, um der Toten zu gedenken.
Trauerminuten in Polen: Gesetzgeber und Politiker versammelten sich schweigend vor dem polnischen Parlament in Warschau.
Schwere Stunden: Der liberale Premierminister Donald Tusk vor dem Parlament in Warschau...
...und an der Unglücksstelle nahe Smolensk mit Russlands Premier Wladimir Putin, der ihm eine vollständige Aufklärung der Tragödie versprach.
Tusk und Putin legen am Unglücksort Kränze für die Toten nieder.
Rücktransport in die Heimat: Polnische Soldaten mit dem Sarg des Präsidenten
Der Sarg wurde am Sonntagmittag mit einem Flugzeug nach Warschau gebracht.
Zuvor am Tag der Katastrophe: Fassungslosigkeit herrscht nach dem Absturz am Unglücksort.
Die Ursache des Unglücks ist weiter unklar. Möglicherweise war menschliches Versagen der Grund.
Nach dem tragischen Tod Kaczynskis und mehrerer seiner engeren Mitarbeiter herrscht tiefe Betroffenheit in Warschau.
Das ausgebrannte Tupolew-Wrack im russischen Smolensk: An Bord der Maschine war auch Polens Präsident Lech Kaczynski. Beim Anflug herrschte schlechte Sicht wegen Nebels.
Polen trauert: Nach Bekanntwerden des Flugzeugunglücks legen Bürger in Warschau Blumen vorm Präsidentenpalast nieder und entzünden Kerzen.
Kaczynski und seine Frau Maria im September 2007 während eines Besuchs in Chicago: Das Ehepaar befand sich zusammen mit einer hochrangigen polnischen Delegation an Bord der Unglücksmaschine.
Auch unter den Verunglückten: Generalstabschef Franciszek Gagor
Notenbankchef Slawomir Skrzypek saß ebenfalls in der Unglücksmaschine.
Frühe Stars: Lech Kaczynski (l.) und sein Bruder Jaroslaw wurden als Kinder durch Kino-Märchenfilme bekannt.
Die beiden Kaczynskis als Politiker: Zusammen gründeten die Brüder die Partei Recht und Gerechtigkeit.
Kaczynski mit seiner Mutter Jadwiga nach der Vereidigung zum Präsidenten im Dezember 2005
Kaczynski mit seiner Enkeltochter Eva
Lech Kaczynski bei einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama im April 2009
"Stiefmutter Europas" steht über der Fotomontage der Zeitschrift "Wprost" aus dem Jahr 2007, die die CDU empörte. Der Untertitel: Deutschland war Anwalt Polens, jetzt ist es unser Staatsanwalt geworden. An Merkels Brust hängen die Kaczynski-Brüder. Der Chefredakteur sagte damals SPIEGEL ONLINE: "Wir dachten, das ist ein kleiner Spaß. Die Stiefmutter ist häufig attraktiver und freundlicher als die richtige Mutter."
Wo es Gefahren gebe für die Polen, wurde Lech Kaczynski bei einer Diskussion im September 2005 gefragt. "Gefahren? Das sind unsere Nachbarn - Russland und Deutschland."
Kaczynski, Papst Benedikt XVI: Auch in Polen ist die katholische Kirche in der Krise. 2007 wurde bekannt, dass Bischöfe mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet haben.
Kaczynski zusammen mit dem georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili im August 2008: Enge Verbündete
General David Petraeus, Lech Kaczynski: Der polnische Präsident zeichnete den US-Oberkommandierenden in Afghanistan Anfang April 2010 für seine Dienste im Krisengebiet aus.
Kaczynski wollte mit seiner Delegation an der Gedenkfeier für die Ermordung polnischer Soldaten durch den sowjetischen Geheimdienst vor 70 Jahren im russischen Katyn teilnehmen. Dort hatte es bereits am Mittwoch eine Gedenkfeier mit Putin und Tusk gegeben - der Putin-Kritiker Kaczynski wollte nun auch des Massakers gedenken.
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