Russlands mächtiger Stratege Der Putinator

Wladislaw Surkow, Vizechef der russischen Präsidialverwaltung, gilt als einziger Stratege in einer schlaffen Schar von Taktikern an Putins Hofe. Sein Ziel: Stabilität. So ideenreich der brillante Strippenzieher auch arbeitet - er agiert als Wächter eines autoritär-bürokratischen Systems.

Moskau - Eines unterscheidet den hageren 42-Jährigen, der vom geräumigen Arbeitszimmer 410 im Senatsgebäude des Kreml die russische Innenpolitik steuert, schon auf den ersten Blick von anderen Amtsträgern der Administration des Präsidenten Wladimir Putin. Wladislaw Surkow bewegt sich flinker als die meisten behäbigen Kreml-Beamten. Und Surkows Tempo beschränkt sich nicht aufs Äußere. Der frühere Leiter eines Amateurtheaters und jetzige "Gehilfe" des Präsidenten denkt schneller, komplexer und vorausschauender als die träge Masse der russischen Bürokraten.

Der Rockmusik-Fan Surkow ist der Anti-Bürokrat in der Führung des tief bürokratischen russischen Staatsapparates. Er trägt modische Maßanzüge, diskutiert hart in der Sache, doch sanft im Ton. Sein Gegenüber besiegt er mit intellektueller Brillanz und mit einem charmanten Lächeln. Seine Auftritte sind oft mehr bei Freund als bei Feind gefürchtet. Moskauer Politstrategen, Auguren und politische Huren, die sich hinter den roten Mauern der Kreml-Macht ihre Weisungen und Überweisungen holen, sehen in ihm den einzigen politischen Strategen in einer schlaffen Schar von Taktikern am Hofe des Präsidenten Wladimir Putin.

Parteien und Jugendverbände im Kreml geklont

Westliche Beobachter vergleichen Surkow schon mal mit George W. Bushs langjährigem Kampagnen-Manager Karl Rove. Doch von allen westlichen Strategen unterscheidet ihn schon die Machtfülle als Vize der Präsidentenadministration, die das Land auch 15 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion noch in vielem beherrscht wie früher das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Zwar sind dem postmodernen Surkow Jargon und Ideologie sowjetischer Funktionäre fremd. Die Mannschaft des russischen Tankers, den er steuert, reagiert jedoch in vielem immer noch ähnlich wie zu Zeiten der Generalsekretäre.

Ängstlich und devot ist der Ton in den Provinzverwaltungen, wenn er anreist, oder auch nur, wenn sein Name fällt. Politische Parteien, die vom Justizministerium zugelassen werden wollen, sind gut beraten, bei ihm vorstellig zu werden. Die größte Partei des Landes, "Einiges Russland", auf Putin eingeschworen, ist ohnehin seine Schöpfung. Auch die stärkste Jugendorganisation "Die Unsrigen", von Spöttern "Putin-Jugend" gescholten, hat er schaffen lassen. Deren Funktionäre nennen sich in sowjetisch geprägtem Sprachgebrauch "Kommissare". So könnte auch Surkow seinen Job nennen.

Seine Erfolge sind sichtbar. Die immer noch größte Oppositionskraft, die Kommunistische Partei stutzte er zu einer Randgröße. Surkow gelang es durch Mittelmänner, nationalpatriotische Bündnispartner der KP von den Kommunisten zu trennen und deren Stimmenanteil, der noch 1999 bei 25 Prozent lag, zu halbieren. Als Auffangbecken wurde mit Kreml-Segen eine neue Partei gegründet, "Rodina", eine Art Methadon-Programm für Imperiumsnostalgiker. Als deren Vorsitzender Dmitrij Rogosin aus dem Ruder lief und mit fremdenfeindlichen Parolen Stimmung machte, ließ Surkow aus dem Projekt die Luft raus – gegen Rassismus ist der Sohn eines Tschetschenen allergisch: die Partei durfte nicht zu den Moskauer Stadtparlamentswahlen kandidieren, Rogosin verlor durch eine vom Kreml eingefädelte Intrige sein Amt. "Rodina" wurde mit zwei weiteren Parteien zu einer neuen Präsidenten-loyalen Kraft fusioniert, der Partei "Gerechtes Russland". Das Herstellen parteipolitischer Fliegenfänger für Unzufriedene, auf dass sie die Mächtigen nicht wirklich stören, war schon zu Zeiten des Präsidenten Boris Jelzin im Kreml tägliches Geschäft. Doch Surkow hat es zur Perfektion entwickelt.

Demokratie-Theater mit DDR-Touch

Sein Haupterfolg ist die fragwürdigste Errungenschaft der gegenwärtigen Macht. Das vom Kreml gelenkte Parteiensystem ähnelt fatal der eines Landes, das Surkow nie besuchte, doch das sein Chef Putin fünf Jahre live erlebte, bis zum bitteren Ende: der DDR. Vier lenkbare "Blockparteien" leistete sich das Regime der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, um nach außen den Anschein innerer Demokratie zu erwecken. Zu einer pflegeleichten CDU und einer Liberaldemokratischen Partei gesellte sich noch eine Demokratische Bauernpartei und sogar eine National-Demokratische Partei Deutschlands, geschaffen 1948 auf Anregung Stalins als streng beaufsichtigte Spielwiese für frühere NSDAP-Mitläufer und Wehrmachtsoffiziere. Als staatlich sanktionierte Anstalt zum Verbrauch nationalistischer Energie dient im System Putin-Surkow die Liberaldemokratische Partei des chauvinistischen Polterers Wladimir Schirinowski. Wobei die gelenkten Parteien gegeneinander und nicht wie in der DDR auf einer gemeinsamen Einheitsliste antreten. Ähnlich wie intelligentere DDR-Funktionäre gelegentlich "mehr Meinungsstreit" forderten, was das System nicht einlösen konnte, verlangt auch Surkow von den Parteifunktionären schon mal lebendige Debatten: "Streitet Euch" – ein Appell, der an Marionetten folglos verhallt.

Zynisches Genie oder Künstler ?

Ein "Genie des Zynismus" nennt der KGB-General a.D. Alexej Kondaurow seinen früheren Kollegen Surkow: Beide dienten Anfang der neunziger Jahre in der Bank Menatep von Michail Chodorkowski, der danach zum Chef des Ölkonzerns Jukos aufstieg. Im Oktober 2003 wurde Chodorkowski verhaftet und danach zu acht Jahren Haft verurteilt. Surkow mochte das staatliche Vorgehen weder rechtfertigen, noch kritisieren. Er sei da "befangen", verriet er dem SPIEGEL in einem Gespräch im Juni 2005. Gleichwohl warnt er vor einer "oligarchischen Revanche" – was bedeutet, dass politische Kräfte, die mit Finanzoligarchen verbündet sein könnten, aus der russischen Politik ferngehalten werden. Macht und Möglichkeiten der Finanzmogule kennt Surkow wie kaum ein Zweiter. Als Kommunikationsfachmann war er außer für Chodorkowski noch für die einflussreiche Alfa-Gruppe tätig und Vize des Ersten Fernsehkanals, als der noch zur Hälfte dem später nach London geflüchteten Magnaten Boris Beresowski gehörte.

Präsident Putin, so ist aus dem Kreml zu hören, schätze Surkows Effizienz und Kreativität. Surkow sei "ein Künstler, ein Avantgardist, ein Konstruktivist", für den Ideologie eine Art Design sei, schreibt der Moskauer Publizist Alexander Prochanow nach mehreren Begegnungen mit dem politischen Chefdesigner des Kreml.

"Souveräne Demokratie" nennt Surkow sein politisches Gesamtkunstwerk. Der Begriff spielt an auf Länder, die zwar formal demokratische Anforderungen erfüllen, sich aber in starke Abhängigkeit von den USA begeben haben, aus Moskauer Sicht vor allem Georgien und die drei baltischen Staaten. Doch das Beiwort "souverän" zur Demokratie, mit dem schon der französische Revolutionär Maximilien de Robespierre 1794 in seinen "Prinzipien der politischen Moral" jonglierte, verhüllt elegant ein autoritäres System.

Und das ist womöglich nicht so fest gefügt, wie es scheint. Im kleinen Kreis Kreml-treuer Funktionäre spricht Surkow schon mal von "wackliger Stabilität" in Russland, ja sogar von einer "Illusion von Stabilität". Und er warnt wie ein Zauberlehrling, dem die Kräfte, mit denen er sich verbündet, womöglich entgleiten, vor einer "restaurativen Konzeption", die das Land in die "Sackgasse politischer Isolation" führen könnte. Die Kreml-Partei "Einiges Russland", sagt er, müsse nun wie ein neues Schiff "akkurat vom administrativen Stapel ins offene Wasser" laufen. Die Frage, ob es auch für schweren Seegang tauglich ist, hat er lieber nicht gestellt.

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