Russlands Reaktion Raketen zum Wahlsieg
Moskau - Eigentlich sollte Dmitrij Medwedew seine jährliche Ansprache an die Nation bereits am 23. Oktober halten: Der Termin wurde jedoch - so die offizielle Begründung - wegen der Finanzkrise verschoben und fiel dann zufällig auf diesen historischen Mittwoch. Allerdings nahmen die Ausführungen des russischen Präsidenten über die Finanzkrise nur einen kleinen Teil seiner eineinhalbstündigen Rede ein.
Ausführlich kritisierte der Kreml-Chef dagegen die amerikanische Politik unter Präsident George W. Bush. Vor beiden russischen Parlamentskammern kam er mehrfach auf das Thema USA zurück: "Die Welt kann nicht aus einer Hauptstadt regiert werden." Der Krieg in Georgien sei eine Folge des überheblichen Kurses der US-Administration gewesen, "der keine Kritik duldet und einseitige Entscheidungen bevorzugt." Der russische Präsident forderte deshalb erneut eine neue globale Sicherheitsarchitektur.
Allerdings will Medwedew nicht auf die Errichtung dieser Sicherheitsarchitektur warten: Sein Land werde als Antwort auf die geplante Errichtung des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien in der russischen Exklave Kaliningrad Kurzstreckenraketen des Typs "Iskander" aufstellen. Ebenfalls in Kaliningrad - dem früheren Königsberg - wird Russland Störsender gegen die amerikanische Raketenabwehr installieren. Außerdem werde eine Raketendivision nicht wie geplant aufgelöst.
Die Aufstellung von Raketen in Kaliningrad war in Russland schon früher diskutiert worden. "Wir sind zu diesen Maßnahmen gezwungen", sagte Medwedew nun. "Wir haben unseren Partnern mehrfach gesagt, dass wir zu einer positiven Zusammenarbeit bereit sind. Aber leider will man auf uns nicht hören."
Seine hoffnungsvollen Worte über die künftige Zusammenarbeit mit dem gewählten US-Präsidenten Barack Obama verblassten damit vor den militärischen Drohungen. "Wir haben keine Probleme mit dem amerikanischen Volk, wir haben keinen angeborenen Antiamerikanismus", versicherte Medwedew. "Und wir hoffen, dass unsere Partner, die neue US-Regierung, sich für vollwertige Beziehungen mit Russland entscheiden wird."
Die russisch-amerikanischen Beziehungen waren selten so schlecht wie 2008. Der Krieg zwischen Russland und Georgien und die eindeutige Parteinahme der USA für den georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili setzte den Schlusspunkt in einer Serie von Konflikten und Gegensätzen zu der Regierung Bush: von der Anerkennung des Kosovo über die Forcierung der Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die Nato bis zur Errichtung der amerikanischen Raketenabwehr in Polen und Tschechien empfand Russland den Kurs der Bush-Administration als Einkreisung.
"Vor allem können wir uns über das Ende der Ära Bush freuen", sagt deshalb Leonid Gankin, Außenpolitik-Chef der Zeitung "Kommersant". Sie sei ein "gigantischer Schlag gegen die russische Demokratie" gewesen. Das einseitige Vorgehen der USA, auch unter Einsatz militärischer Mittel, habe in Russland zu einem Anwachsen antiamerikanischer Stimmungen geführt - und gleichzeitig zu einer allgemeinen Ablehnung westlicher Werte. Bei der Raketenabwehr in Osteuropa, der Nato-Osterweiterung und der Iran-Politik erwartet Gankin eine Änderung der amerikanischen Außenpolitik höchstens in Nuancen: "Allerdings hege ich die Hoffnung, dass Obama sensibler vorgehen und Kompromisse suchen wird."
Traditionell bevorzugen russische Politologen und Politiker republikanische Präsidenten, weil sie für die Russen berechenbar sind. "Demokraten dagegen wird ständig vorgeworfen, dass sie keine Patrioten seien", sagt Gankin. Deshalb seien die wichtigsten Verträge zwischen Sowjetunion und den USA immer mit republikanischen Präsidenten geschlossen worden.
Das bestätigt Politologe Alexander Nagorny: "Der Sieg Obamas ist die schlechteste Variante für Russland." Der künftige US-Präsident werde die Intensität der Konfrontation mit der islamischen Welt senken, vor allem durch die Reduzierung der amerikanischen Militärpräsenz im Nahen Osten. Konkret erwartet er einen Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre. In Iran werde Obama versuchen, einen gemäßigteren Politiker an die Macht zu bringen - um die Beziehungen zu verbessern. "Dies alles zusammen führt zu einem weiteren Niedergang des Ölpreises - und ist deshalb schlecht für Russland", so Nagorny.
Außerdem erwartet der Politologe von Obama eine Betonung seiner demokratischen Überzeugungen - und damit neue Konflikte mit Russland über die Menschenrechte: "Medwedew wird Chodorkowski aus dem Gefängnis entlassen müssen", prophezeit Nagorny, "und das führt zu mehr Chaos im politischen Raum." Michail Chordorkowski, der frühere Chef des Ölkonzerns Jukos, sitzt seit fünf Jahren nach fragwürdigen Anschuldigungen und Urteilen im Gefängnis.
Nur einen einzigen positiven Aspekt kann Nagorny der Wahl Obamas abgewinnen: Die USA würden in Georgien und in der Ukraine nicht mehr versuchen, durch Umstürze oder Militäreinsätze ihren Einfluss geltend zu machen. "Die militärische Konfrontation mit Russland wird sich deshalb verringern."
In der russischen Bevölkerung waren die Sympathien vor der Wahl ähnlich gelagert wie in Deutschland: Auch den Russen ist Barack Obama sympathischer als sein Konkurrent John McCain. Das ergaben mehrere Umfragen in den letzten Wochen. Das Interesse für die US-Wahlen war in der breiten Bevölkerung allerdings weitaus geringer: Nach einer Umfrage des Lewada-Instituts verfolgte mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Wahlkampf in den USA überhaupt nicht. Ebenfalls mehr als die Hälfte der Russen ist zudem überzeugt, dass sich die Beziehungen der USA zu Russland nicht ändern werden - egal, unter welchem Präsidenten.
Kommunistenführer Gennadij Sjuganow und sogar der Chef der liberal-demokratischen Partei Wladimir Schirinowski äußerten sich am Mittwoch positiv über Obama. Sjuganow verglich ihn mit John F. Kennedy, "der verkündet hatte, dass man mit der UdSSR nicht kämpfen und Konflikte haben, sondern einen Dialog führen und Antworten finden sollte".