S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Halten Sie durch, Mr. Murdoch!

Der Abhörskandal bei der britischen "News of the World" bestätigt viele in ihrem Vorurteil über die Boulevardpresse. Doch wer auf die bunten Blätter herabschaut, verachtet in Wahrheit auch das Volk, das diese Medien groß und mächtig macht, meint Jan Fleischhauer.

Das Einfachste wäre, man würde den Boulevard verbieten. Keine Zeitungen mehr, die den Leuten vorrechnen, was sie die Euro-Rettung oder der wiederkehrende Betrug auf dem Sozialamt kostet. Keine Schlagzeilen gegen neue Ökosteuern, zu lasche Urteile und freche Ausländer. Stattdessen nur noch wohlmeinende Kommentare, warum es gut ist, wenn wir nun die Griechen herauspauken und uns für die Ausweitung des Sozialen immer weiter verschulden. Am besten man stellte bei der Gelegenheit auch gleich das Privatfernsehen ein. Das öffentlich-rechtliche System hat zwar leider ebenfalls nicht nur Arte im Programm, wie ein Abstecher in den "Musikantenstadl" zeigt. Aber dafür haben hier wenigstens die Politiker das Sagen, das garantiert immerhin eine gewisse Durchgriffshaftung bei zu viel journalistischer Flegelhaftigkeit.

Was für ein Segen, dass es Rupert Murdoch gibt, jetzt stimmt wenigstens das Feindbild wieder. Nach den Enthüllungen über die Abhörpraktiken bei der Sonntagszeitung "News of the World" dürfen sich alle bestätigt fühlen, die dem Boulevard schon immer alles zutrauten. Die meisten, die sich nun hierzulande über Murdoch und die Recherchepraktiken in dessen Reich erregen, haben zwar wohl noch nie eines seiner Produkte in der Hand gehalten, aber man kann sich ja auch fremdempören. Das ist sogar noch schöner, als wenn man selbst nah dran ist.

Nüchtern betrachtet zeigen die Vorgänge wieder einmal, zu welchen Mitteln manche Menschen im Geschäftsleben greifen, wenn ihnen niemand klar sagt, wo die Grenzen liegen. Das ist im Journalismus nicht anders als in jedem anderen Gewerbe. Da werden dann auch Handys abgehört und Polizisten bestochen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das ist alles eindeutig illegal und deshalb ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Aber so kühl kann man die Dinge natürlich nicht sehen, wenn es um einen Mann wie Murdoch geht. Da treten selbst Euro-Krise, Fußball-WM und das Sommerinterview mit der Kanzlerin in den Hintergrund.

Murdoch gilt als konservativer Knochen

Wer am Wochenende den Fernseher einschaltete oder die Meinungsspalten der großen Blätter studierte, musste den Eindruck gewinnen, dass der Pressezar aus Adelaide in der Downing Street regiert und Großbritannien gerade von einer Art Watergate erschüttert wird. Überall kann man jetzt über die Medienmacht lesen, die Murdoch walten lässt. Doch das eigentliche Vergehen ist seine Meinung, auch wenn das keiner so sagt. Der Mann gilt als konservativer Knochen, der seine Blätter verlässlich für die rechte Sache trommeln ließ; das reichte, um ihn zur Hassfigur zu machen. Darin gleicht er dem Fernsehunternehmer Leo Kirch, dessen größtes "Verbrechen" ja auch immer in der falschen Gesinnung bestand.

Mit Sicherheit wären die fortschrittlichen Kräfte dem Boulevard ein wenig gnädiger gesonnen, wenn sie selbst in dem Metier erfolgreicher wären. Aber es ist eben wahnsinnig schwer, zum Beispiel eine linke "Bild" zu machen, wie sich zeigt. Man kann den Lesern noch so oft vorbeten, warum jugendliche Straftäter Mitgefühl statt Gefängnis verdienen und jeder, der von außen zu uns kommt, ein Segen für das Land ist. Die Leute halten trotzdem hartnäckig an ihren Vorurteilen fest und lassen die pädagogisch wertvolle Botschaft respektlos am Kiosk liegen.

Die Medienwissenschaft hat daraus den Schluss gezogen, dass Boulevardmedien die Menschen verderben, indem sie ihnen sagen, wie sie zu denken und zu wählen haben. Tatsächlich ist es wohl eher so, dass der Erfolg der Boulevardpresse in ihrem sicheren Gespür für Mehrheitsstimmungen liegt, die sie dann in griffige Zeilen gießt.

Wer macht denn den Boulevard groß und mächtig?

Wer die Boulevardpresse eines Landes verachtet, der verachtet in Wahrheit das Volk, das solche Presserzeugnisse groß und mächtig macht. Die Wortführer der Intelligenz haben sich immer schwergetan mit der einfachen Masse. Es ist ja auch wirklich zu schmerzhaft, wenn man ganz genau weiß, was gut für das Land ist, aber nicht die entsprechende Zustimmung erhält, ob am Kiosk oder später an der Wahlurne.

Schon in der französischen Revolution mussten die Aufklärer erkennen, dass zwischen dem Volk, wie sie es erdachten, und dem Volk, wie es tatsächlich als revolutionäres Subjekt auf die Bühne trat, ein gravierender Unterschied bestand. "Ich sage nicht, dass sich das Volk schuldig gemacht hat", erklärte Maximilien de Robespierre im Februar 1793 nach Plünderungen in Paris. "Aber wenn das Volk schon aufsteht, sollte es dann nicht ein seiner Bemühung würdigeres Ziel haben, als es sich nur nach jämmerlichen Nahrungsmitteln gelüsten zu lassen?"

So ist es seitdem immer gewesen: Die Avantgarde macht hochherzige Pläne, die Menge verfolgt andere, naheliegendere Ziele.

Man kann der Linken nur wünschen, dass Rupert Murdoch noch ein wenig durchhält. Da weiß man wenigstens, mit wem man es zu tun hat. Leo Kirch ist tot, Berlusconi auf dem Weg nach draußen - wenn jetzt auch noch der Mann aus Australien abtritt, ist niemand mehr übrig, den man für die eigenen Misserfolge schuldig sprechen kann. Das wäre dann wirklich ein Verlust.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten