S.P.O.N. - Im Zweifel links Hellas' Wahnsinn

Die Demokratie kommt nach Hause. Endlich erhalten die Griechen ihre Stimme zurück. Die Volksabstimmung über die Euro-Rettung ist riskant - und ein Akt der Verzweiflung. Griechenland kann nicht mehr.

Georgios Papandreou hat das rasende Rad der Euro-Politik mit einem gewaltigen Ruck zum Stehen gebracht. Seine Ankündigung, die Griechen in einer Volksabstimmung zu den Brüsseler Euro-Plänen zu befragen, hat den Europäern einen Stock in die Speichen gesteckt. Sie haben es in der Hand, ob sie das taumeln lassen wird, vielleicht stürzen: Europa wird sich mit Griechenland mehr Mühe geben müssen, wenn das Volk im Dezember nicht mit "Ochi" stimmen soll, was auf Griechisch "Nein" heißt.

Premier Papandreou hat gesagt, es sei ein "Akt der Demokratie", in so einer Lage das Volk zu befragen. Das ist richtig. Vor allem aber ist es ein Akt der Verzweiflung. Griechenland kann nicht mehr. Das Land steht kurz vor dem Zusammenbruch: Im kommenden Jahr wird jeder fünfte Grieche keine Arbeit haben, viele Staatsbeamte verlieren die Hälfte ihres Gehalts, der Grundlohn im öffentlichen Sektor liegt mittlerweile bei 780 Euro, das staatliche Gesundheitswesen zerfällt, die Zahl der Selbstmorde steigt.

Die Austerität macht Griechenland den Garaus. Dieses Fremdwort wird im Deutschen selten gebraucht, es bedeutet Strenge und Enthaltsamkeit. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren eine solche Wirtschaftspolitik freiwillig zugemutet. Auch hier hat die soziale Ungleichheit dadurch zugenommen. Aber - und darin liegt eine besondere Perversion des gegenwärtigen Kapitalismus - der Verzicht auf Lohn und Konsum hat auch dazu beigetragen, dass Deutschland besser aus der Krise gekommen ist als die meisten anderen Staaten.

Die Austeritätspolitik hat in Deutschland die Reichen reicher gemacht - aber die Armen weniger arm werden lassen. In Griechenland ist es anders gekommen. Um mehr als fünf Prozent schrumpft die griechische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr. Noch mehr als befürchtet.

Es ist nicht so, dass es an mahnenden Stimmen gefehlt habe: Dennis Snower, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hatte mit Blick auf Griechenland schon im Frühling gesagt: "Das Fazit der Zwischenkriegszeit ist, dass in einer Depression ein zu scharfer Konsolidierungskurs die Wirtschaft eines Landes zerstören kann." Dennoch sind die Vertreter der sogenannten Troika - Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds - wieder und wieder nach Athen gereist und haben immer größeren Druck ausgeübt. Es wurden die "Sparbemühungen" der Griechen geprüft, und ob sie endlich den richtigen "Konsolidierungskurs" eingeschlagen hätten. Zuletzt verlangten die Zuchtmeister aus dem Norden von der griechischen Regierung, die Tarifautonomie aufzuheben.

Griechenland ist buchstäblich kaputtgespart worden

Paradox: Die Troika hat dabei nicht nur die soziale Lage des Landes aus dem Blick verloren, sondern auch die wirtschaftliche Lage. Innerhalb eines Jahres ist Griechenland buchstäblich kaputtgespart worden. Und warum? Um den Markt zu besänftigen, jenes gefährliche Tier, das inzwischen die Welt zu beherrschen scheint.

Mit seinem Angebot einer Abstimmung dreht der Premier den Spieß jetzt um. Er gibt seinem gezeichneten Volk die Stimme zurück. Wenn sie den Plänen zustimmen - um so besser. Wenn sie dennoch "Ochi" sagen, dann ist es noch die unwichtigste Frage, ob Griechenland zur Drachme zurückkehrt. Denn wenn schon die Griechen einem so starken Politiker wie Papandreou nicht folgen, was werden dann die Italiener einem angeschlagenen Berlusconi erzählen, wenn er mit dem Sparen Ernst machen sollte?

Papandreou hat Europa überrascht und die Märkte erschüttert. Aber er hat Griechenland seine Würde zurückgegeben und Europa dem Moment der Wahrheit näher gebracht, der unweigerlich eines Tages kommen wird.

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