
Athen: Krawalle in der Innenstadt
Sanierungspaket Griechen verzweifeln an der Schuldenkrise
Für den Blick von der Dachterrasse im achten Stock schwärmt Kostas T. auch noch nach sechs Monaten. Der 27-jährige Kellner arbeitet seit einem halben Jahr im Grande Bretagne, einem Fünf-Sterne-Hotel in Athen, einer der feinsten Adressen in der griechischen Hauptstadt - und von hier oben zeigt sich die Pracht der Stadt: das neoklassizistische Parlamentsgebäude aus dem 19. Jahrhundert, das Panathinaikon-Stadion, in dem 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit gefeiert wurden, weiter rechts die Akropolis.
Eine Aussicht, wie für eine Geschichtsstunde über Griechenland gemacht - und Kostas T. weiß, dass seit ein paar Wochen ausgerechnet in einem der Konferenzräume des Grande Bretagne an einem neuen Kapitel Griechenlands geschrieben wurde.
Wann und wie es enden wird, ist offen, aber in einer Frage ist sich Kostas T. ganz sicher: "Die sind schuld", sagt er und deutet mit seiner linken Hand auf das Parlament.
Schuld, weil die Politiker für jahrelange Misswirtschaft und Korruption mitverantwortlich seien und das Land auf diese Weise mit in den Schuldensumpf getrieben hätten. Schuld daran, dass sich im April eine Gruppe von Herren in dunklen Anzügen ins Grande Bretagne einmietete, um von dort regelmäßig ins schräg gegenüberliegende Finanzministerium zu gehen oder sich Akten kommen zu lassen. Die Männer besuchten auch die Ministerien für Gesundheit, Arbeit, Umwelt und Wirtschaft.
Sie prüften sehr genau, und das macht derzeit vielen Griechen Angst: Die Männer sind nämlich gekommen, um zu schauen, wo man sparen kann.

IWF-Unterhändler Thomsen, Polizist: Auf Sparmission in Griechenland
Foto: Dimitri Messinis/ APAn der Spitze der Gruppe: Poul Thomsen. Der Däne vom Internationalen Währungsfonds (IWF) ist seit dem Geständnis von Griechenlands Ministerpräsident Georgios Papandreou, dass sich das Land nicht allein von den milliardenschweren Schulden befreien kann, eine zentrale Figur. Er hat in den vergangenen Jahren bereits Hilfspakete für Island, Rumänien und die Ukraine ausgehandelt und dabei darüber entschieden, an welchen Stellen gekürzt wird, um die Länder zu sanieren.
Der IWF und die EU verlangen für ihre milliardenschweren Notkredite ein striktes Sparprogramm der Griechen. So sollen unter anderem die Löhne und Gehälter im Öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft für drei Jahre eingefroren werden. Kostas T. macht sich deshalb keine Illusionen: Sollte sein Arbeitgeber demnächst die Gehälter einfrieren, müsse er es eben hinnehmen, auch wenn er mit seinem Nettogehalt von 900 Euro im Monat nicht glänzend dastehe.
Was sollte er auch sagen, er ist ja froh über seinen Job. Sein Bruder hat erst vor ein paar Wochen seinen Posten verloren. Es drohe eine Auswandererwelle, befürchtet Kostas T. "Viele Griechen auch aus meiner Generation werden das Land verlassen."
85,6 Prozent der Griechen fühlen sich derzeit unsicher. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage für die angesehene Athener Tageszeitung "To Vima". Daran haben offenbar auch die Beteuerungen führender Politiker nichts geändert.

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Die Griechen werden an diesem Sonntag genau zuhören, wenn in Athen und Brüssel die Verhandlungen mit IWF, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank besiegelt werden. "Raus, IWF" ist jetzt schon auf etlichen Plakaten in Athens Stadt zu lesen. Die mächtigen Gewerkschaften machen seit Wochen Stimmung gegen verabschiedete Sparpakete der Regierung. Am Samstag kam es in der Hauptstadt zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Autonome griffen die Sicherheitskräfte mit Steinen und Brandflaschen an.
Wie aufgeladen die Stimmung ist, zeigte sich selbst noch mehrere Stunden nach dem Ende der offiziellen Kundgebungen zum 1. Mai. Im Szene-Viertel Exarchia brannten in mehreren Straßen Mülleimer, Sondereinheiten der MAT-Polizei rückten an und gingen mit Tränengas gegen Demonstranten vor.
Spätestens am Mittwoch stehen neue Proteste an. Für den Tag haben die Gewerkschaften weitreichende Streiks geplant. Zehntausende wollen das Land lahmlegen.