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"Sapad"-Manöver in Weißrussland und Russland Das große Knallen

Russland spielt Krieg in Weißrussland, nahe der Nato-Grenze: eine Machtdemonstration für den Westen. Für die Regierung in Minsk aber ist die Aktion mit dem Bruderstaat heikel.

Es ist diesig an diesem Tag, draußen in der weißrussischen Provinz. Im Grau des Himmels lassen sich die Silhouetten von drei heranfliegenden Hubschraubern nur erahnen.

Flugübungsplatz 210, in der Nähe von Ruschany, 250 Kilometer südwestlich der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Ruschany liegt keine 70 Kilometer Luftlinie von der polnischen Grenze entfernt.

Plötzlich blitzt es hinten im Gelände, Rauch steigt auf - zwölf Sekunden später bebt die Erde. Laut Szenario wurden eine Brücke und Lastwagen getroffen. Russische und weißrussische Militärs spielen Krieg - und überwachen die Übung gemeinsam vom Kontrollturm aus.

Noch bis zum 20. September trainieren Tausende russische und weißrussische Soldaten, wie es der Name "Sapad", zu Deutsch "Westen", nahelegt, in den westlichen Regionen Russlands, in Weißrussland und in der russischen Exklave Kaliningrad.

Es ist eine Machtdemonstration Russlands: nach innen wie nach außen.

Ausführlich berichtet Russlands Staatsfernsehen in diesen Tagen über das "Sapad"-Manöver. Stündlich flimmern Bilder kämpfender Soldaten, Kampfjets und Panzer über die Bildschirme.

"Russland veranstaltet das Großmanöver, um Druck auf den Westen und die Nato auszuüben, und benutzt dazu unseren Boden", sagt der Oppositionelle Mikalaj Statkewitsch. Ihn treffen wir am Montag in der Hauptstadt Minsk in seinem Haus. Er bittet darum, dass wir zu ihm kommen, wenn er allein unterwegs sei, sei die Gefahr, dass er wieder festgenommen werde, zu groß. Der Sozialdemokrat kritisiert Lukaschenkos Regime scharf, auch nach fünf Jahren Lagerhaft will er Weißrussland nicht verlassen.

Für den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko bleibe bei dieser Kriegspropaganda allenfalls die Rolle eines Statisten, sagt Statkewitsch, Oberstleutnant außer Dienst. Die Armee hat ihn entlassen.

Abstand gewinnen

Dabei präsentiert sich Lukaschenko doch eigentlich nur zu gern in Uniform und Schirmmütze. Manch einer fühlt sich an Bilder von Diktatoren Lateinamerikas der Sechzigerjahre erinnert.

Weißrusslands Präsident hat sein wirtschaftlich angeschlagenes Land inzwischen so abhängig gemacht von Moskau, dass es ohne niedrige Öl- und Gaspreise Russlands kaum klarkommen würde. Beide Länder, Russland und Weißrussland, bilden offiziell einen Unionsstaat, sind Brüderländer.

Doch so ganz will sich Lukaschenko nicht mit der Statistenrolle abfinden. Der weißrussische Präsident versucht, irgendwie Abstand zu gewinnen zum großen Bruder.

Als Russland 2014 die Krim besetzte und den Krieg im Osten der Ukraine begann, musste auch er erkennen, wie groß das Risiko sein kann, die Kontrolle über das eigene Land zu verlieren.

Fotostrecke

Russisches Militärmanöver "Sapad": Muskelspiele an der Nato-Grenze

Foto: VASILY FEDOSENKO/ REUTERS

Das Misstrauen ist seitdem auch in Weißrussland gewachsen. So sehr, dass die Opposition um Statkewitsch auf Demonstrationen öffentlich forderte, die russischen Soldaten - etwa 3100 sollen laut Moskau während des Manövers im Land sein - müssten nach der Übung mit ihren Waffen wieder abziehen. Das weißrussische Verteidigungsministerium sah sich daraufhin genötigt, zu versichern, bis zum 30. September würden alle russischen Truppen das Land wieder verlassen.

Die Beziehungen der Militärs sind traditionell eng: Viele hochrangige weißrussische Offiziere wurden in Russland ausgebildet. Doch russische Kampftruppen sind in Weißrussland, anders als in Zentralasien oder im Kaukasus, nicht stationiert - auch wenn Präsident Wladimir Putin wiederholt versuchte, dies durchzusetzen.

Eigenständigkeit demonstrieren

Das "Sapad"-Manöver bietet Lukaschenko die Gelegenheit, sich als verlässlichen Ansprechpartner für den Westen zu zeigen, er profitiert dabei von der Angst der Nachbarn. Das Baltikum, die Ukraine, Polen und Nato trauen den Angaben Moskaus nicht, die Großübung sei rein defensiv ausgerichtet.

Für Besorgnis sorgt auch die Zahl der gemeldeten 12.700 Militärs, die am Manöver teilnehmen sollen. Sie ist erkennbar so gewählt, dass die Grenze von 13.000 unterschritten wird. Ab dieser müssen nach dem "Wiener Dokument" der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Beobachter anderer Länder zugelassen werden.

Doch was gehört zu "Sapad"? Nach Moskauer Zählweise jedenfalls nicht die Manöver auf der Halbinsel Kola im Norden Russlands und entlang der Grenze bis runter in den Süden. 100.000 Soldaten seien insgesamt im Einsatz, sagt auch die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Es ist ausgerechnet das autoritäre Weißrussland, das demonstrative Transparenz übt. Minsk hat frühzeitig und freiwillig Militärbeobachter aus den Nachbarländern eingeladen: Je zwei Vertreter aus Litauen, Lettland, Estland, Polen, Norwegen, Schweden und der Ukraine sind anwesend. "Sie versuchen hier, den Regeln zu folgen", sagt der lettische Militärbeobachter Janis Dreimanis. Russland dagegen habe alle zusätzlichen Maßnahmen für mehr Transparenz abgelehnt. Er antwortet nur kurz, später will er gar nichts mehr sagen. Seine polnischen Kollegen lehnen Kommentare gänzlich ab, zu heikel scheint das Manöver zu sein.

Phase zwei hat begonnen, die Truppen trainieren im Feld. Das Szenario liest ein stellvertretender Kommandeur vom Blatt ab: Die Luftwaffen sollen Separatisten abwehren, die in das Gelände eingedrungen sind.

60 Journalisten, darunter auch Medienvertreter aus Polen, Großbritannien und Deutschland, stehen auf der Observierungsplattform. "So viele Journalisten auf einem Quadratmeter habe ich noch nie gesehen", sagt ein weißrussischer Soldat. Auch Thomas Möller, Militärbeobachter aus Schweden, ist erstaunt über die Anzahl der Journalisten. In Schweden, bisher nicht Nato-Mitglied, läuft derzeit eine Übung mit 19.000 Soldaten auch aus Mitgliedstaaten des westlichen Militärbündnisses. Es hat in Russland für viel Kritik gesorgt, allerdings hat Schweden - anders als Russland - Moskauer Beobachter eingeladen.

Möller lobt die Transparenz der Weißrussen. Doch auch die hat ihre Grenzen, Fragen sind nach dem Briefing nicht zugelassen.

Gemeinsame Bilder von Wladimir Putin und Lukaschenko - ob in Uniform oder nicht - wird es von diesem "Sapad"-Manöver indes nach Medienberichten nicht geben. Das war bei der letzten Auflage vor vier Jahren noch anders. Der russische Präsident ist am Montag im Leningrader Gebiet unterwegs. Lukaschenko werde seine Truppen allein inspizieren, heißt es.


Zusammengefasst: Fast 13.000 Soldaten aus Russland und Weißrussland machen beim "Sapad"-Manöver mit. Die Aktion ist für den Kreml eine Demonstration der Stärke - nach innen und außen. Weißrussland dagegen hat ein Problem: Das Land ist vom mächtigen Nachbarn abhängig, doch in Minsk geht auch die Angst vor zu viel russischem Einfluss um. Auch deshalb hat das Land demonstrativ internationale Beobachter eingeladen.

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