
Sarkozy in der Krise Dünnhäutig, amtsmüde, aggressiv
Die präsidialen Reisen durch die geografischen Tiefen der Nation gehören bei zum Programm: Ob Industrie, Kunst, Kultur oder Forschung - für die Ankündigungen zu Reformen, Programmen und Aktionsplänen sucht sich der Staatschef gern die passende Kulisse. Den neuen Subventionssegen für Bauern verkündete er vergangenen Sonntag im Stallgeruch der Landwirtschaftsmesse, zum Thema "Anstellung und Berufsausbildung" bereiste der Staatschef am Dienstag das Departement Doubs.
Der präsidiale Auftritt am Runden Tisch sollte Bürgernähe signalisieren: "Ich bin glücklich, hier zu sein", sagte Sarkozy und lobte die Franche-Comté als "wichtigste industrielle Gegend Frankreichs." Doch trotz der wohlabgeschirmten Inszenierung vor wohlgesinntem Publikum erwies sich der Blitzbesuch in Pontarlier, unweit von Besançon, nicht gerade als Übung in staatsmännischem Engagement. Der Präsident erschien eher dünnhäutig und aggressiv, statt in Siegerlaune.
Gründe für die vergnatzte Stimmung gibt es genug: In den Umfragen ist der Präsident auf ein Rekordtief gerutscht, die Arbeitslosigkeit hat mit zehn Prozent eine Signalmarke überschritten, und die Umfragen für die Regionalwahlen am kommenden Sonntag prognostizieren den regierenden Konservativen der UMP eine eindeutige und womöglich dramatische Abfuhr.
Obendrein machen Gerüchte um das angeblich kriselnde Verhältnis zu Ehefrau in Paris die Runde: Sarkozy, geschwächt von eigenen politischen Fehltritten und parteiinternem Hader, verbreitet nicht mehr die Aura des zupackenden Machos oder hyperaktiven Managers, sondern wirkt, nur Tage vor dem Urnengang, geradezu amtsmüde.
Vernichtende Bilanz der bisherigen Regierungszeit Sarkozys
Dabei ist der Einsatz nicht eben gering: 26 Regionen, 254 Listen, 1830 Sitze - es ist fast so, als fielen alle Landtagswahlen Deutschlands auf einen einzigen Termin. Bei den Regionalwahlen steht die Besetzung von 22 Volksvertretungen zwischen Kanalküste und Mittelmeer an, bisher regieren die Linken in allen Regionen mit Ausnahme von Elsass und Korsika; außerdem werden die Abgeordneten für die Parlamente in Guadeloupe, Martinique, Guyana und La Réunion gewählt.
Zwar geht es bei der ersten Runde der Abstimmung (die jeweils zwei stärksten Listen qualifizieren sich für die Stichwahl am Wochenende danach) nicht um die Bestallung von landesweit zentralen Politiker-Posten, und die Wahl ändert auch nichts an den eindeutigen Machtverhältnissen in der Pariser Nationalversammlung. Dennoch gilt die basisdemokratische Übung als Barometer für Popularität des amtierenden Präsidenten und Lackmustest auf die politische Bilanz der Regierung zur Halbzeit von .
Und die fällt derzeit vernichtend aus: In der Industrie häufen sich die Firmenschließungen, die Bauern beklagen dramatisch sinkende Erträge bis unter das Einkommensminimum, und im Lauf des Jahres drohen bis zu einer Million Bezieher von Arbeitslosenunterstützung, in die Armut der Sozialhilfe entlassen zu werden. Die Regierung prognostiziert ein BIP-Wachstum von 1,4 Prozent, während Frankreichs Zentralbank ihre Schätzung für das erste Quartal gerade auf 0,4 Prozent herabstufte.
"Er hat's nicht mehr drauf"
Obendrein grassiert bei Lehrern, Erziehern und Eltern der Unmut über Sarkozys Stellenabbau im Erziehungswesen, Richter und Anwälte demonstrierten diese Woche gegen die rabiate Strafrechtsreform. Arbeiter, ländliche Bevölkerung wie wertkonservative Bürger haben sich abgewandt, die Führungsteams im Élysée liegen im Dauerclinch mit den Kollegen aus dem Matignon, wo Premierminister Francois Fillon regiert, die konservativen Parlamentarier vermissen klare Ansagen aus der Parteizentrale. Sarkozys sprichwörtliches Machtgefühl? "Er hat's nicht mehr drauf", klagt ein UMP-Mann, "der Präsident kann ja kaum noch seine Gesichtszüge kontrollieren."
Vom präsidialen Tief profitieren vor allem die Sozialisten (PS). , noch vor Wochen gerade mal als schwache Übergangschefin der Partei gewürdigt, hat deutlich an Oberwasser gewonnen, und die totgesagten PS-Genossen hoffen auf ein Comeback. Zwar kam es ausgerechnet während des Wahlkampfes zum Showdown zwischen der Pariser Führung und einem lokalen PS-Bonzen im Languedoc, der nach antisemitischen Bemerkungen aus der Partei ausgeschlossen wurde und jetzt mit einer eigenen Liste antritt; doch im Ansehen der Genossen konnte Aubry bei dem Kräftemessen eher zulegen.
Auch die Kommunisten, die Linkspartei und andere Splittergruppen fühlen sich im Aufwind: Während die Sozialisten in den Meinungsumfragen für die erste Abstimmungsrunde derzeit knapp in Führung liegen, werden die kleineren linken Listen beim entscheidenden zweiten Durchgang über den Ausgang entscheiden. Aus diesem Grund rechnet auch die Gruppierung der französischen Grünen auf eine Wiederholung ihres Erfolgs bei den Europawahlen, bei denen sie beinahe die Sozialisten überflügelten.
Hoffnung in Wahlmüdigkeit umgeschlagen
Selbst die Rechtsextremisten des Front National wittern Morgenluft. Marine Le Pen, Tochter und Nachfolgerin des alternden Parteichefs Jean-Marie Le Pen, hat es mit Geschick verstanden, die alten, fremdenfeindlichen Parolen um populistische Forderungen zu ergänzen: Beim Wahlkampf im gebeutelten Norden des Pas-de-Calais beschimpft sie Kriminalität genauso wie Produktionsverlagerungen ins Ausland. "Die Arbeiter haben die Kommunisten satt, und sie glauben auch Sarkozy kein Wort mehr", so die blonde FN-Frau und rechnet sich für die Region "gute Chancen" aus.
Die Rechnung könnte aufgehen, vor allem dann, wenn die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent rutschen sollte - was zumal für den ersten der beiden Durchgänge denkbar ist. Denn die Hoffnung auf eine politische Wende, der 2007 beim Präsidentschaftsduell Sarkozy gegen Ségolène Royal zu einer Spitzenbeteiligung von 84 Prozent führte, ist umgeschlagen in Wahlmüdigkeit. "Verantwortlich ist dafür die vermeintliche Machtlosigkeit der Politik, die Probleme der französischen Gesellschaft, allen voran die Arbeitslosigkeit, zu bekämpfen", sagt Brice Teinturier vom Umfrageinstitut TNS-Sofres: "Die Enttäuschung entspricht den Erwartungen."
Sarkozy geht schon vorweg auf Distanz zum möglichen Wahldebakel. Bei den Reformen werde er eine "Pause" einlegen, kündigte er an. Eine Regierungsumbildung in Paris, sonst in der ein probates Mittel, um einen politischen Neuanfang zu signalisieren, soll es nicht geben - es käme ja einem Eingeständnis des eigenen Scheiterns gleich. Und überhaupt, "das ist ein französisches Problem", belehrt Sarkozy seine Zuhörer beim Runden Tisch in Pontarlier, man dürfe doch bitte nicht immer die Anlässe durcheinanderbringen. "Regionale Wahlen bedürfen regionaler Konsequenzen, nationale Wahlen erfordern nationale Konsequenzen."