Festgesetzter Ex-Präsident Das System Sarkozy stößt an seine Grenzen

Sarkozy in Polizeigewahrsam: Frankreichs Ex-Staatschef steht im Verdacht, Informanten bei der Justiz angezapft zu haben. Die Ermittlungen entlarven das eigenartige Selbstverständnis des früheren Präsidenten. Seine Freunde wittern ein gigantisches Komplott.
Festgesetzter Ex-Präsident: Das System Sarkozy stößt an seine Grenzen

Festgesetzter Ex-Präsident: Das System Sarkozy stößt an seine Grenzen

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In der an Affären nicht armen Geschichte der V. Republik ist es eine Premiere: Mit Nicolas Sarkozy steht erstmals ein ehemaliger Staatschef unter Polizeigewahrsam. Seit Dienstagmorgen wird er am Sitz des "Zentralbüros für den Kampf gegen Korruption, Finanz- und Steuervergehen" angehört. Vor dem öden Verwaltungsbau im Pariser Vorort Nanterre reihen sich unzählige Übertragungswagen mit ihren Satellitenschüsseln - die Nachricht verdrängte gar die Fußball-WM für eine Weile.

Die Untersuchungsrichter gehen der Frage nach, ob der ehemalige Präsident sich über seinen Verteidiger und befreundeten Juristen Hinweise zu einem gegen ihn laufenden Prozess verschafft hat. Als Gegenleistung könnte er versprochen haben, die Karriere seines Informanten zu befördern. Neben Sarkozy und seinem Verteidiger werden auch zwei hochrangige Richter befragt.

Sie sind offenbar Teil eines Netzes von Zuträgern. Der zentrale Vorwurf der Korruptionsjäger lautet, die Präsidentschaftskampagne 2007 sei illegal finanziert worden. Mit seinem "Frühwarnsystem" aus Informanten habe Sarkozy sicherstellen wollen, jederzeit über den Stand der Ermittlungen im Bilde zu sein - über mögliche Vernehmungen, Abhöraktionen oder drohende Hausdurchsuchungen. Es geht also um den Verdacht der "unerlaubten Einflussnahme" oder der "Vorteilsnahme im Amt" und den Bruch des Ermittlungsgeheimnisses.

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Nicolas Sarkozy: Geflecht von Affären

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Die jetzt bekannt gewordenen Einzelheiten beleuchten nicht nur den Beziehungsfilz zwischen der politischen Führungsriege und der Justiz, die - verblüffend für das Land von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - direkt und weisungsgebunden der Exekutive untersteht. Die Lenker des Landes, gleich ob politisch rechts oder links verankert, gehören meist zur selben Gesellschaftsschicht und rekrutieren sich fast inzestuös aus denselben Beamtenhochschulen - Kaderschmieden, die den Korpsgeist einer Elite formen, die sich für unangreifbar hält.

Der studierte Anwalt Nicolas Sarkozy hat diese politische Kultur verinnerlicht. Obgleich Immigranten-Sohn und damit eher Außenseiter in der Pariser Machtszene, schuf sich der ehrgeizige Strippenzieher schon in jungen Jahren sein ganz eigenes Beziehungsgeflecht getreuer Anhänger. Mit dieser Seilschaft organisierte er seinen Aufstieg - vom Bürgermeister in Neuilly, über Ministerposten bis zum Parteichef der Konservativen und Präsidentschaftskandidaten.

"Netz heimlicher Komplizenschaft"

Und mit jeder Sprosse der Karriereleiter verfestigte sich seine Überzeugung, dass mit Entschlossenheit, Aktivismus, Durchsetzungsvermögen alles erreichbar sei - und Regeln und Vorschriften seinen Ambitionen auf den Einzug in den Elysée nicht im Weg zu stehen haben. Die besondere Stellung des französischen Präsidenten, als direkt gewählter Vertreter des Volkes, Chef der Exekutive und oberster Repräsentant der Republik, ergänzte Sarkozy in seiner Amtszeit nach feudalem Vorbild um die Aura des modernen, einsamen, aber dynamischen Machers: "Der Staat bin ich."

Für den Juristen und Autor Philippe Bilger, sind die jüngsten Enthüllungen "nicht sonderlich überraschend, so der frühere Richter im Nachrichtensender France-Info. "Wir müssen feststellen, dass hier ein Netz heimlicher Komplizenschaft geschaffen wurde. Es gibt noch eine Menge aufzuräumen."

Verschwörung der Sarkozy-Gegner?

Die Kohorte der Sarkozy-Anhänger rüstet bereits zum Gegenangriff. Die Fangemeinde des ehemaligen Staatschefs sieht hinter den juristischen Vorgängen ein Komplott. In ihren Augen dient es allein dem Ziel, die Rückkehr des Ex-Präsidenten an die Spitze der völlig zerstrittenen Konservativen zu verhindern.

So bezeichnete die UMP-Spitze das Vorgehen der Justiz als motiviert von einer "Verbissenheit gegen den ehemaligen Präsidenten". Sébastien Huyghe, konservativer Abgeordneter und Sarkozy-Freund: "Jedes Mal, wenn man während der vergangenen zwei Jahre über eine mögliche Rückkehr Sarkozys gesprochen hat, gab es eine juristische Bescherung. Und bislang jedes Mal wurde er reingewaschen."

Das könnte in diesem Fall anders ausgehen, sollten sich die Verdächtigungen der Ermittlungsrichter erhärten. Sie haben insgesamt bis zu 48 Stunden Zeit, den Ex-Staatschef in Polizeigewahrsam zu halten. "Die Justiz muss ihre Arbeit bis zum Ende machen", so Regierungssprecher Stéphan Le Foll. "Nicolas Sarkozy ist der Gerichtsbarkeit unterworfen, wie jeder andere Bürger auch."

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