Vorwurf an Türkei
Moskau bleibt Beweise für Ölhandel mit IS schuldig
Moskau hat Satellitenaufnahmen präsentiert. Sie sollten die Kreml-Behauptung stützen, laut der die Türkei mit dem IS lukrative Ölgeschäfte betreibt - und deswegen den russischen Jet abschoss. Doch nun sind noch mehr Fragen offen.
Der Streit zwischen Kreml-Chef Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist auch mehr als eine Woche nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets nicht beigelegt. Im Gegenteil. Mit Satellitenaufnahmen haben nun russische Militärs in Moskau versucht, Putins Vorwürfe gegen Erdogan zu untermauern.
Zur Erinnerung, Putin hatte vier Behauptungen aufgestellt:
Die Türkei habe den russischen Kampfjet abgeschossen, um die IS-Lieferrouten zu schützen
Das Öl gelange über die syrische Grenzstadt Asas in die Türkei und von dort aus weiter in die Häfen von Iskenderun und Dörtyol
Mit diesen vier Behauptungen hatten die am Donnerstag präsentierten Fotos allerdings wenig zu tun.
Vermeintliche Beweise: Russische Militärs präsentieren in Moskau Satellitenaufnahmen
Foto: AP/ Russian Defense Ministry
So wurden zwei Nahaufnahmen präsentiert, die vom 14. November 2015 stammen sollen. Die erste soll einen Stau elf Kilometer südöstlich der türkischen Stadt Silopi zeigen, die zweite die benachbarte irakisch-kurdische Stadt Zakho. Alle Bilder finden Sie in der Fotostrecke hier.
Ein Blick auf die Landkarte zeigt:
Die angeblich auf den Satellitenaufnahmen gezeigten Orte liegen rund 500 Kilometer entfernt von der Stelle, an der der russische Kampfjet abgeschossen wurde. Als Beleg, dass mit dem Abschuss angebliche Schmuggelrouten des IS geschützt werden sollen, taugen sie also kaum.
Die abgebildeten Gebiete werden darüber hinaus gar nicht vom IS kontrolliert. Auf der irakischen Seite der Grenze haben stattdessen die irakisch-kurdischen Peschmerga das Sagen. Diese sind mit dem IS verfeindet.
Überblick: Abschussort weit im Westen, Silopi und Zakho im Osten
Foto: SPIEGEL ONLINE
Zwei weitere Satellitenaufnahmen mit Orts- und Zeitangaben sollen am 18. Oktober 2015 östlich der syrischen Stadt Deir al-Sor aufgenommen worden sein, ebenfalls fern der Abschussstelle.
Auf den Aufnahmen sollen nach russischen Angaben "390 Tank-LKWs" zu sehen sein. Sollte dies stimmen, bleibt offen: Wem gehören sie? Wohin sind sie unterwegs?
Fahrzeuge in der Wüste: Nach russischen Angaben soll es sich um 390 Tank-Lastwagen handeln
Foto: REUTERS/ Russian Defence Ministry
Dies jedoch sind die entscheidenden Fragen. Denn es ist zwar längst bekannt, dass der IS die Ölfelder östlich von Deir al-Sor kontrolliert. Von dort verkauft die Miliz das Öl weiter an irakische und syrische Händler, die mit dem IS nichts zu tun haben. Diese vertreiben das Öl ihrerseits weiter, vor allem innerhalb Syriens und des Iraks.
Die Tanklaster könnten also auch diesen Händlern gehören. Und selbst wenn sie dort in der Wüste tatsächlich mit Öl betankt werden, bedeutet das noch lange nicht, dass sie den Rohstoff auch in die Türkei liefern. Kurz: Die vorgelegten Aufnahmen suggerieren vieles, als Beweis taugen sie aber kaum.
Putins Vorwürfe stützen sich auf zwei beliebte Vorurteile: Im Nahen Osten hat immer alles mit Öl zu tun. Erdogan ist alles zuzutrauen. Wie viel Wahrheit steckt darin? Eine Übersicht:
Wie steht die türkische Regierung zum IS? Ihre Haltung ist im besten Fall ambivalent. Die Türkei lässt IS-Anhängern weitgehend freie Hand. Ob Ankara so weit geht und den IS unterstützt, ist fraglich. Belege gibt es dafür bisher nicht. Sicher ist: Der Kampf gegen den IS ist nicht Erdogans Priorität.
Wie steht die russische Regierung zum IS? Moskaus Priorität ist es, Syriens Baschar al-Assad an der Macht zu halten. Die russische Regierung konzentriert sich auf die Bekämpfung syrischer Rebellen, denn sie stellen für Assad die größere Gefahr dar als der IS. Doch die Rebellen bekämpfen auch den IS.
Geht es in Syrien nur ums Öl? Nein. Syrien hat nur bescheidene Öl- und Gasvorkommen anders als etwa der Irak. Selbst für den IS macht das Öl nur einen geringen Teil seiner Einnahmen aus.
Wer kauft das Öl vom IS? Nahezu alle syrischen und irakischen Kriegsparteien kaufen es über Mittelsmänner ein. Ideologie ist zweitrangig, es geht ums Geschäft und die Versorgung mit Treibstoff. Auch türkische Schmuggler an der Grenze profitieren. Ankara versucht, sie aufzuspüren und den Handel zu unterbinden. In "industriellem Ausmaß" kauft nur eine Kriegspartei vom IS: das syrische Regime. In Joint Ventures wird gemeinsam das Öl und vor allem das Erdgas gefördert, von dem die Stromversorgung des Regimes abhängt.
Warum haben die USA den Öl-Handel noch nicht gestoppt? Das größte Problem ist, dass vor allem Zivilisten daran beteiligt sind: Arbeiter, Ingenieure, LKW-Fahrer, Mittelsmänner und Händler, für die das Öl die einzige Möglichkeit ist, in den kriegszerrütteten Ländern ihre Familie durchzubringen. Der IS tritt gewissermaßen nur an der Quelle auf und selbst dort im Hintergrund.
Was hat Putin von seinen Behauptungen? Sie sind ein Ablenkungsmanöver von der Tatsache, dass seine Regierung bisher kaum etwas gegen den IS tut. Stattdessen bombardiert sie vor allem diejenigen, die den IS in Syrien bekämpfen und stützt ein Regime, das tatsächlich in industriellem Maße Öl und Gas vom IS kauft.
Russische Militärs zeigen in Moskau am Mittwoch Journalisten eine Reihe von Satellitenaufnahmen. Damit sollen Präsident Wladimir Putins Behauptungen belegt werden. Er hatte gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schwere Vorwürfe erhoben.
Foto: Vladimir Kondrashov/ AP/dpa
2 / 7
Diese Satellitenaufnahme soll die irakisch-kurdische Stadt Zakho zeigen am 14. November 2015 und darüber die türkische Grenze. Unklar ist, wie diese Aufnahme Putins Behauptungen belegen soll. Denn die Region wird nicht vom IS kontrolliert, sondern von den Peschmerga. Zwischen der Türkei und der autonomen irakisch-kurdischen Region bestehen normale Beziehungen.
Foto: Yuri Kochetkov/ dpa
3 / 7
Diese Satellitenaufnahme soll nach russischen Angaben am 14. November 2015 gemacht worden sein, südöstlich der türkischen Stadt Silopi. Sie liegt nahe der irakisch-kurdischen Grenzstadt Zakho. Der Grenzübergang ist schon seit Jahren für seine langen Wartezeiten und Staus berüchtigt. Zakho gilt als sicher. Viele Iraker und Syrer sind vor dem IS dorthin geflüchtet.
Foto: REUTERS/ Russian Defence Ministry
4 / 7
Diese Satellitenaufnahme soll nach russischen Angaben das Beladen von Tank-LKWs zeigen. Zu erkennen ist dies nicht. Moskau hat keine Angaben darüber gemacht, wann und wo die Aufnahmen gemacht wurden, was verladen wurde oder wohin die vermeintlichen Tank-LKWs unterwegs waren.
Foto: REUTERS/ Russian Defence Ministry
5 / 7
Diese Aufnahme soll östlich der Stadt Deir Essor gemacht worden sein. Moskau machte keine Angaben dazu, von wann das Bild stammt. Zu sehen sind Hunderte Fahrzeuge. Nach Angaben Moskaus handelt es sich dabei um "390 Tank-LKWs". Was das Foto beweisen soll, bleibt unklar.
Foto: REUTERS/ Russian Defence Ministry
6 / 7
Auch diese Aufnahme soll östlich der Stadt Deir Essor gemacht worden sein. Sie ist ebenfalls nicht datiert. Deir Essor wird derzeit teils vom syrischen Regime kontrolliert und teils vom "Islamischen Staat" (IS). Die großen Ölfelder im Osten der Stadt werden vom IS kontrolliert. Der IS verkauft von dort das Öl weiter an syrische und irakische Händler und Mittelsmänner, die mit dem IS nichts zu tun haben, und ihrerseits das Öl weiter in andere Teile Syriens und Iraks verkaufen.
Foto: REUTERS/ Russian Defence Ministry
7 / 7
Moskau setzt die Aufnahmen zu einem ganz eigenen Bild zusammen: Auf einer Landkarte hat die russische Regierung die alten Öl- und Erdgas-Industrien Syriens und Iraks eingetragen, wie sie vor dem Krieg existierten. Darüber hat sie eingezeichnet, wo heute der IS ist. Die gewagte Schlussfolgerung: Der IS liefere in industriellem Maße Öl in die Türkei. Dass die Realität etwas komplexer ist und dazwischen Gebiete liegen, die von anderen Milizen kontrolliert werden, wird ausgeblendet.
Foto: SERGEI KARPUKHIN/ REUTERS
Vermeintliche Beweise: Russische Militärs präsentieren in Moskau Satellitenaufnahmen
Foto: AP/ Russian Defense Ministry
Überblick: Abschussort weit im Westen, Silopi und Zakho im Osten