
Nimr-Hinrichtung: Schiiten weltweit wütend auf Saudi-Arabien
Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien Es geht um viel, viel mehr
Hunderte Menschen hat Iran im abgelaufenen Jahr hingerichtet. Amnesty International zählte allein in den ersten sechs Monaten 2015 knapp 700 Exekutionen, - das waren durchschnittlich drei Hinrichtungen pro Tag. Menschen wurden an Baukränen aufgeknüpft, weil sie mit Drogen handelten oder außerehelichen Sex hatten, auch Minderjährige wurden nicht verschont.
Und ausgerechnet dieses Regime bläst sich nun zum Gegner der Todesstrafe auf. Nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen und Oppositionellen Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien drohte Teheran mit ernsten Konsequenzen. Irans Oberster Führer Ali Khamenei schwadronierte von der "Rache Gottes", die den Saudis drohe. In Teheran und Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Landes, stürmten Demonstranten die diplomatischen Vertretungen des Königreichs.
Das Herrscherhaus in Riad brach daraufhin seine diplomatischen Beziehungen zu Iran ab, Bahrain zog am Montagmittag nach. Teherans Diplomaten müssen bis Dienstagabend Saudi-Arabien verlassen. Das Verhältnis beider Staaten ist seit fast 40 Jahren äußerst angespannt, doch die jüngste Krise hat Konsequenzen für den gesamten Nahen Osten. Denn Saudi-Arabien und Iran konkurrieren gleich in mehreren arabischen Staaten um Macht und Einfluss. Der Überblick:
Syrien:
Diplomaten aus Europa und den USA brauchten Monate, um die Außenminister aus Saudi-Arabien und Iran an einen Tisch zu bringen. Bei einem Treffen in Wien am 30. Oktober einigten sich dann beide Staaten im Grundsatz auf einen politischen Prozess, der den Bürgerkrieg in Syrien beenden und die Einheit des Landes sichern sollte. Beide Regierungen sind sich weiter uneins über das politische Schicksal von Diktator Baschar al-Assad. Trotzdem werteten Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und seine Amtskollegen die Wiener Gespräche als Erfolg - und möglichen Ausgangspunkt für eine politische Lösung des Konflikts.
Denn Iran und Saudi-Arabien führen einen Stellvertreterkrieg in Syrien: Das Regime in Teheran ist Assads engster Verbündeter. Die Islamische Republik liefert Waffen, schickt Soldaten und Söldner. Gemeinsam mit der von Iran aufgerüsteten Hisbollah-Miliz aus dem Libanon sind diese Truppen für Assad inzwischen wichtiger als die eigene, nach fast fünf Jahren Bürgerkrieg ausgezehrte Armee.
Saudi-Arabien wiederum rüstet sunnitisch-islamistische Rebellengruppen in Syrien auf. Die Königsfamilie in Riad hatte schon kurz nach Beginn des Aufstands gegen Assad den Sturz des Diktators gefordert. Seither unterstützt das Herrscherhaus Aufständische in Syrien, angeblich auch die Terrororganisationen Nusra-Front und "Islamischer Staat" (IS). Beweise gibt es dafür bislang aber nicht. Die Eskalation nach Nimrs Hinrichtung macht die Hoffnungen auf eine politische Lösung des Syrien-Konflikts zunichte.

Saudi-Arabien kontra Iran: Proteste gegen die Exekution von al-Nimr
Jemen:
Auch im Jemen wird der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran seit Jahren ausgetragen. Teheran unterstützt die schiitischen Huthi-Milizen, die seit 2004 immer größere Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht haben. Seit zehn Monaten führt Saudi-Arabien Krieg gegen die Huthis, mehr als 6000 Menschen sind seither getötet worden. Erst am Wochenende kündigte Riad eine Waffenruhe auf - die aber ohnehin von den Konfliktparteien kaum eingehalten wurde.
Saudi-Arabien ist bislang seinem erklärten Kriegsziel - Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi an die Macht zurückzubringen - kaum näher gekommen. Eine Lösung des Konflikts kann es nur geben, wenn beide Seiten sich auf einen Kompromiss einigen und diesen dann auch umsetzen. Die Verschärfung des saudisch-iranischen Streits lässt auch dies auf absehbare Zeit unrealistisch erscheinen.
Irak:
Iran ist der wichtigste außenpolitische Verbündete der von Schiiten dominierten Regierung in Bagdad. Iranische Ausbilder unterstützen den Irak beim Kampf gegen den "Islamischen Staat". Saudi-Arabien versucht dagegen seit Jahren, sich als Schutzmacht der sunnitischen Minderheit zu positionieren. Die Sunniten wurden unter Diktator Saddam Hussein gefördert, seit 2003 wurden sie aber systematisch marginalisiert. Daran hat auch Saudi-Arabiens Einfluss bislang nichts geändert, stattdessen haben radikale Sunniten im Irak den Aufstieg des IS gefördert. Der Konflikt zwischen Riad und Teheran lässt die Chancen für einen Ausgleich zwischen den Religionsgemeinschaften schwinden.
Libanon:
Seit Mai 2014 steht der Libanon ohne Staatsoberhaupt da. Damals endete die Amtszeit von Präsident Michel Suleiman. Seither kann sich das Parlament nicht auf einen Kandidaten einigen, der die nötige Unterstützung der Abgeordneten genießt. Die von Saudi-Arabien protegierten sunnitischen und christlichen Fraktionen und die von Iran geförderte Hisbollah sowie mit ihr verbündete christliche Parteien stehen sich unversöhnlich gegenüber. In den vergangenen Wochen kam in Beirut Hoffnung auf: Nach 34 erfolglosen Wahlgängen mehrten sich die Zeichen dafür, dass beide Seiten sich auf Suleiman Franjieh als Kompromisskandidaten einigen könnten. Doch nach Nimrs Hinrichtung hat sich der Ton zwischen den politischen Lagern im Libanon wieder verschärft, das Präsidentendrama dürfte sich weiter hinziehen.
Öl:
Saudi-Arabien und Iran sind die beiden mächtigsten Mitglieder der Opec. Der Kalte Krieg zwischen Riad und Teheran ist einer der Gründe für den Ölpreisverfall der vergangenen Monate. Lange drückte Saudi-Arabien die Preise, um den Rivalen auf der anderen Seite des Golfs zu schwächen, dessen Staatshaushalt zu 70 Prozent von den Erdöleinnahmen abhängig ist. Doch inzwischen haben sich die Vorzeichen geändert: Der niedrige Ölpreis hat dem Königreich 2015 ein Rekorddefizit von 90 Milliarden Euro beschert. Iran hingegen hat angekündigt, nach Aufhebung der Sanktionen bis zu eine Million Barrel Rohöl zusätzlich zu exportieren. Die Hoffnung der anderen Opec-Staaten auf eine Einigung zur Drosselung der Produktion dürfte sich nach dem Konflikt um Nimrs Hinrichtung zerschlagen.
Video: Eskalation zwischen Saudi-Arabien und Iran