
Syrien: Kinder zwischen Angst und Gewalt
Leidende Kinder in Syrien "Woran ich mich erinnere? An Blut. Mehr nicht"
Damaskus - Von einem Tag auf den anderen veränderte sich für die 12-jährige Yasmine* alles. Es war der Tag, an dem ihr Vater starb. Schon damals schlugen ständig Bomben um sie herum ein. Doch es kam noch schlimmer. "Ich habe gesehen, wie mein Vater gegangen ist und wie er vor unserem Haus erschossen wurde", berichtete das syrische Mädchen der Hilfsorganisation Save the Children.
Yasmine ist ein Kind des Krieges, wie so viele, gefangen zwischen Gewalt, Armut und Angst. Sie gehört zu den zwei Millionen Mädchen und Jungen, die dringend Hilfe brauchen in Syrien. In dem Bericht "Kinder im Kreuzfeuer" zeichnet Save the Children ihr tägliches Leid nach - und appelliert an die internationale Gemeinschaft, den Konflikt zu beenden.
"Für Millionen Mädchen und Jungen ist eine unbeschwerte, unschuldige Kindheit von der grausamen Realität des Krieges und dem täglichen Überlebenskampf zerstört worden", sagt die Geschäftsführerin von Save the Children Deutschland, Kathrin Wieland.
Der Tod gehört zum Alltag. Jeden Monat werden in Syrien dem Bericht zufolge mehr als 5000 Menschen getötet, darunter Frauen und Kinder. Raketen und Granaten treffen auch die Kleinen. Oder sie müssen - wie Yasmine - sehen, wie Angehörige und Freunde verfolgt und erschossen werden. In Zeichnungen halten die Kinder ihre Erlebnisse fest: Es sind Bilder von Explosionen, weinenden Müttern, blutenden Vätern. "Ich erinnere mich, wie mein Onkel und meine Großmutter gestorben sind, weil ich es gesehen habe", sagte Flüchtlingskind Noor, acht Jahre alt. "Woran ich mich erinnere? An Blut. Mehr nicht."
Schwer traumatisierte Kinder
Jungen und Mädchen werden Opfer von Bombenangriffen und Scharfschützen - und sie werden laut Save the Children sogar als Kämpfer oder menschliche Schutzschilder missbraucht. Sowohl Regierungstruppen als auch Rebellen rekrutierten Kinder "als Boten, Wachleute, Informationsbeschaffer und Kämpfer", oft würden sie gewaltsam dazu gezwungen. Bereits Achtjährige würden als menschliche Schutzschilde eingesetzt.
Viele Kinder und Jugendliche würden vergewaltigt: Schon zwölfjährige Mädchen und Jungen seien Opfer solcher Taten geworden. Aus Angst vor sexueller Gewalt flüchteten viele Familien.
Auch Folter ist Realität in Syrien. So berichtet Justin Forsyth, Chef von Save the Children, der Agentur Reuters von einem 15-Jährigen, der im Gefängnis von Wächtern mit glühenden Zigaretten traktiert worden sei. Schockiert habe ihn, so Forsyth, dass Kinder von ihren Erlebnissen oft nüchtern berichteten, "und dann verstehst du, dass dahinter Ebene um Ebene von emotionalen Traumata liegt".
"Alles ist zerstört. Ein ganzes Volk ist zerstört"
Die humanitäre Lage im Land ist katastrophal. Tausende Menschen in Syrien haben dem Bericht zufolge nicht genug zu essen. In einigen Gebieten haben die Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser, die Abwassersysteme sind zerstört, die Zahl von Durchfallerkrankungen steigt. "Sogar die Wassertanks wurden bombardiert, damit den Menschen das Wasser ausgeht", berichtet ein Vater von sechs Kindern der Organisation.
Wenn Kinder krank seien oder verletzt würden, stünden ihnen keine Medikamente zur Verfügung. Krankenhäuser, Ärzte und Krankenschwestern würden zudem gezielt angegriffen, ein Drittel aller Hospitäler sei nicht mehr funktionsfähig.
Wegen der Bombardements haben viele Familien ihre Häuser verlassen müssen, sie wohnen jetzt in überfüllten Wohnungen. Andere leben teilweise im Freien, in Scheunen oder Höhlen. Ihre Situation wird noch durch den kalten Winter verschärft, die Temperaturen fallen unter 0 Grad. "Es gibt kein Heizöl mehr, keinen Strom. So ist die Lage. Was es gibt, sind Bombardierungen, Explosionen, Schüsse (...), Gewalt und Tod", sagt ein Befragter. "Alles ist zerstört. Ein ganzes Volk ist zerstört."
Save the Children fordert die Konfliktparteien jetzt auf, Hilfsorganisationen Zugang zu den umkämpften Gebieten zu gewähren. Wegen der Kämpfe kommen die Helfer nicht voran, teilweise würden Hilfslieferungen an Kontrollpunkten gestoppt. Und ein Großteil der Hilfe landet in vom Regime kontrollierten Gebieten.
Zugleich richtete die Gruppe einen Appell an die Geberländer, bereits zugesagte 1,15 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe tatsächlich bereitzustellen. "Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist aufgefordert, eine Lösung zu erarbeiten, um die Gewalt zu beenden und sicherzustellen, dass alle Kinder in Syrien humanitäre Hilfe erhalten", so Save the Children.
Der Konflikt endet allerdings nicht an der syrischen Grenze. Der Strom der Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland ins Ausland wächst seit Anfang des Jahres dramatisch. Mehr als eine Million Menschen hat das Land verlassen. Etwa die Hälfte dieser Flüchtlinge sind Kinder, die meisten jünger als elf Jahre.
Auch die von Save the Children befragte Ara ist mit ihren Kindern ins Ausland geflüchtet. "Um uns herum starben überall Menschen; Häuser wurden zerstört", sagt sie. "Die Kinder, die noch in Syrien sind, sterben. Es fühlt sich so an, als ob niemand hilft. Nichts passiert."
* Name geändert