Scharon im Koma Zeit der Hardliner bricht an
Tel Aviv - In Israel tritt mit Ariel Scharon ein zum Staatsmann mutierter Hardliner von der politischen Bühne ab. Ihn als Friedensfürsten zu preisen, weil er im Sommer den Gazastreifen räumen ließ, wäre übertrieben. Scharon hat in Gaza keinen Frieden geschlossen. Er hat nicht einmal versucht, mit den Palästinensern zu verhandeln und Gegenleistungen zu verlangen.
Scharon hat die Palästinenser nie als Partner, sondern stets als Feinde betrachtet, denen man nicht trauen kann. Er kehrte den Palästinensern den Rücken, weil er das Ticken der demographischen Zeitbombe hörte: 8000 Siedler mitten unter 1,3 Millionen, das konnte nicht gut gehen. Als General, der er bis jetzt geblieben ist, blies er zum einseitigen Rückzug, nachdem er realisiert hatte, dass die Front nicht zu halten war.
Scharon strebte ein Management des Konflikts an. Er wollte die israelisch-palästinensischen Reibungsflächen reduzieren. Das führt zwar bloß zu einer Mini-Lösung und verspricht keine Harmonie - aber es ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, weil er die Gründung eines palästinensischen Staates ermöglicht.
Öffentlich hat sich Scharon nie darüber geäußert, ob er Israelis auch aus der besetzten Westbank oder zumindest aus Teilen davon zurückziehen werde. Doch wer seinen Beratern und Ministern gut zuhörte, kann sich ein Bild machen, wie er sich die Zukunft vorstellt. Es brauche nicht viel Phantasie, um zu erkennen, wo Scharon Israels künftige Grenze ziehen wolle, sagte vor zwei Monaten Justizministerin Tsipi Livni, als sie während einer Tour den Grenzwall inspizierte, der zwischen dem Staatsgebiet Israels und dem Westjordanland entsteht.
Im Klartext: Die kleinen Siedlungen werden geräumt, zwei oder drei große Siedlungsblöcke werden annektiert. Damit würde der Staat Palästina zwar kleiner, als es sich die Palästinenser vorstellen. Aber von einer israelischen Regierung mehr zu verlangen wäre schlicht nicht realistisch. Ohne Scharon rückt auch diese Mini-Lösung ins Ungewisse.
Gefahr einer dritten Intifada
Die Macht von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zerbröckelt zusehends. Er macht keine Anstalten, sein selbst erklärtes Ziel durchzusetzen: die Entwaffnung der Milizen. Abbas kapituliert vor seinen internen Gegnern und lässt dem Terror freien Lauf. Damit bleibt für Israel auch nach dem Rückzug aus dem Gazastreifen die Lage ungemütlich. In den letzten drei Monaten haben Extremisten von Gaza aus, wo Abbas die Verantwortung trägt, mehr als 200 Raketen auf das israelische Grenzgebiet abgefeuert.
Und schon werden Geschosse entwickelt, die mit einer Reichweite von 25 Kilometern auch Ziele im Inneren Israels treffen könnten. Die Eskalation ist programmiert. Angesichts dieser Duldung des Terrors mutet die Hoffnung der palästinensischen Regierung fast schon anmaßend an, vom Nachfolger Scharons als Partner im Friedensprozess akzeptiert zu werden.
Gleichzeitig kann die radikal-islamische Hamas damit rechnen, bei den Parlamentswahlen am 25. Januar die Fatah auszustechen. Bei einem Einzug der Hamas in die palästinensische Regierung droht ein politisches Erdbeben. Aus Angst vor einer Niederlage seiner Fatah-Partei könnte Abbas zwar versucht sein, die Wahlen zu verschieben. Allerdings verspricht dieses Szenarium wenig Gutes: Die Hamas würde darauf wohl mit einer dritten Intifada antworten.
Israel wurde von Iran noch nie als legitimer Staat betrachtet
Noch bedrohlicher ist die Entwicklung in Iran. Während die EU und die USA mit diplomatischen Mitteln versuchen, den Ajatollahs die Entwicklung der Atombombe auszureden, findet zwischen Israel und Iran ein heißes Wettrüsten statt. Beide Staaten wappnen sich offensichtlich für eine Ära, in der nicht mehr Diplomaten, sondern Generäle zum Zug kommen.
Symptomatisch dafür sind die Drohungen von Seiten Israels und Irans. So fordert Präsident Machmud Ahmadinedschad die Vernichtung Israels. Schließlich wurde der jüdische Staat von den Ajatollahs noch nie als legitim betrachtet. Selbst harmoniebedürftige Zeitgenossen müssen sich nach all seinen Hasstiraden fragen, ob sie die Aufrufe des iranischen Präsidenten nicht doch besser ernst nehmen sollten.
Zumal die internationale Gemeinschaft nur noch vier Monate Zeit hat, um das iranische Atomwaffenprogramm zu unterbinden, wie der Chef des militärischen Geheimdienstes Israels warnt. Danach wären diplomatische Anstrengungen nutzlos. Dann sei nämlich der point of no return erreicht. Niemand wird dann Ahmadinedschad daran hindern können, sich die ultimative Waffe zu beschaffen.
Damit droht die Apokalypse, fühlt sich doch Ahmadinedschad kraft eines göttlichen Auftrags berufen, die Rückkehr des verschollenen Imams, des Mahdi, vorzubereiten. Der Mahdi soll laut islamischen Glaubens wie ein Messias in den letzten Tagen auf der Erde erscheinen, wenn die Welt genug hat von Ungerechtigkeit und Korruption. In vollem Ernst profiliert sich der hetzende Präsident als von "heiligem Licht" durchfluteter, mystischer Visionär. Um die Rückkehr des Mahdi vorzubereiten, will Ahmadinedschad unter anderem die USA und Israel herausfordern, wozu letztlich auch die atomare Aufrüstung dient.
Ohne diese nuklearen Ambitionen wäre die Kombination von Antisemitismus und Messianismus eine interne Angelegenheit des Gottesstaats. So aber kommt zu der an sich schon gefährlichen iranischen Hassmischung eine hochtoxische militärische Dimension hinzu. Denn im Weltbild eines Politikers, der von der Rückkehr des Mahdi träumt, hat Koexistenz mit Ungläubigen keinen Platz.
Iran macht aus seinem atomaren Ehrgeiz kein Geheimnis. Doch er vertuscht seine wahren Absichten. Mit der Atomtechnik würde die Unabhängigkeit vom Erdöl garantiert, behauptet Teheran scheinheilig. Der Beteuerung, wonach die Atomtechnik einzig für zivile Zwecke entwickelt werde, glaubt im Westen jedoch nur noch eine Minderheit. Weshalb wohl braucht das Land Atommeiler, wo es doch zu den ölreichsten Nationen der Welt gehört?
Während die EU und die USA mit diplomatischen Mitteln versuchen, Iran die Entwicklung einer Atombombe auszureden, machen die Ajatollahs munter und zielstrebig weiter. Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die immer wieder neue diplomatische Initiativen vorlegen, um die nuklearverrückten Ajatollahs zum Einlenken zu bewegen, lassen sich von Teheran zum Narren halten. Auf Englisch sprechen die iranischen Diplomaten vom Frieden, auf Persisch predigen sie den Krieg.
Stäbe arbeiten an Kriegsszenarien
Weil die iranische Bombe zur globalen Bedrohung wird, muss der Atomstreit mit der Islamischen Republik in diesem Jahr an die Spitze der internationalen Politik rücken. Zu befürchten ist aber, dass den Atomplänen mit Diplomatie nicht beizukommen ist. Im Uno-Sicherheitsrat würden Russland und China wohl ein Veto gegen Sanktionen einlegen. Entscheidender für den Misserfolg der Diplomatie wird aber sein, dass Ahmadinedschad die nukleare Aufrüstung nicht in erster Linie aus politischen, sondern vor allem aus ideologischen Gründen vorantreibt. Die Diplomatie ist noch nicht erfunden worden, die mit einem ideologischen Regime einen rationalen Dialog führen kann. Deshalb werden in Washington, Tel Aviv und Ankara bereits Kriegsszenarien durchdacht.
Als Teil des martialischen Vorspiels hat Teheran immer auch die Möglichkeit, seine Verbündeten in Gaza und in Beirut aufzuhetzen und einzusetzen: sowohl die Hamas als auch die schiitischen Hisbollahmilizen. Beide werden von Iran reichlich mit Geld und Waffen versorgt. Sollte man die Ajatollahs am Ausbau der Atomwaffe hindern, halten sie im Köcher die wirksame Waffe des Terrors bereit.
Pierre Heumann schreibt als Nahostkorrespondent für die Schweizer "Weltwoche"