Schlagende Argumente Prügel im Plenarsaal
Hamburg - Seit langem schon versteht sich Südkorea als politisches Leuchtfeuer, das in den finsteren Norden der geteilten Halbinsel das Licht der Freiheit und des demokratischen Anstands sendet. Schaut her, lautet die Botschaft aus Seoul, wie erfolgreich ein zivilisiertes Parlament sein kann mit gesitteten Politikern, die vom Volk gewählt sind.
Und nun ausgerechnet das: Rund hundert Abgeordnete der Opposition blockierten Anfang Januar die Nationalversammlung, weil ihnen verschiedene Beschlussvorlagen der regierenden Großen Nationalpartei nicht passten. Man hatte leider keine Mehrheit, also wurde die GNP mit massivem Körpereinsatz an der Abstimmung gehindert.
Kim Hyung O, der Parlamentspräsident, empfand das Sit-in jedoch als respektlos und ließ, nachdem alles Zureden nicht geholfen hatte, schwarz gekleidete Sicherheitsleute aufmarschieren. Die räumten den besetzten Vorraum zum Sitzungssaal, es kam zu heftigen Tumulten. Viele Volksvertreter leisteten Widerstand, sie wurden an den Hosenbeinen und Anzugärmeln gepackt und wie zappelnde Säcke fortgeschleppt. Ein Abgeordneter und 20 weitere Personen erlitten Blessuren.
Erinnerungen wurden wach an jenen blamablen 12. März vor fast fünf Jahren, als der damalige Präsident Roh Moo Hyun wegen einer Wahlspendenaffäre vorläufig amtsenthoben wurde und seine Fans und Gegner einander an die Krawatten gingen ein nach asiatischen Maßstäben unerhörter Verlust der Contenance und des Gesichts. Wie konnte so etwas jetzt schon wieder geschehen? Hat Südkoreas Elite eine zweite, anarchische Natur, die sich periodisch demaskiert?
Wenn ja, dann liegen solche Exzesse zumindest international im Trend. Denn Meinungsverschiedenheiten unter Mandatsträgern werden immer öfter handgreiflich ausgetragen. Einer starb sogar dabei.
Sie würgten und sie schlugen sich
In Taiwans Hauptstadt Taipeh genügte schon eine Debatte über zwei Gesetzesvorschläge, um eine Schlägerei zu entfachen. Ein Abgeordneter der Nationalisten wurde bluttriefend und mit geschwollenem Auge aus dem Getümmel gerettet. Auch als 2004 die Präsidentenwahl mit einem seltsam dünnen Vorsprung von 29.000 Stimmen für Amtsinhaber Chen Shui-bian endete und viele Bürger Betrug witterten, erfasste Krawallstimmung die Parlamentarier. Sie würgten und sie schlugen sich.
In Tokios Abgeordnetenkammer kam es ausgerechnet beim Streit um die Entsendung humanitärer japanischer Truppen in den Irak zu Ringkampfeinlagen. In Colombo wiederum trieb eine verrückte Verschwörungsgeschichte die Politiker auf die Palme.
Sri Lankas damalige Präsidentin habe persönlich ein Abhörgerät plus Minikamera ins Kabinett geschmuggelt, hieß es. Die Staatschefin indes behauptete, der Wirtschaftsminister verbreite die Lüge, sie hätte eine Bombe dabei gehabt, um den Ministerpräsidenten zu ermorden. Als sich dann auch noch der Justizminister weigerte, die Forderung der Opposition nach einer Entschuldigung der Regierung für die Bomben-Vorwürfe zu erfüllen, brannten die Sicherungen durch. Es kam zu fast schon erlösenden Tätlichkeiten; Zornesdampf und Faktennebel verrauchten wieder.
Eine Satzungsänderung endete tödlich
Während in diktatorischen Staaten die Tagesgeschäfte widerspruchslos abgewickelt werden (und etwaige Differenzen im stillen Kämmerlein), leidet in pluralistischen Systemen die Debattenkultur mitunter heftig besonders in der Türkei, wo es seit über einem Jahrzehnt immer wieder Handgreiflichkeiten gibt, egal ob es um Parteiaustritte, das Verhältnis zur Nato oder, wie im vorigen Jahr, um Kritik am Premierminister geht.
Eine geplante Satzungsänderung der Nationalkammer endete für einen Abgeordneten sogar tödlich. Fevzi Sihanlioglu kassierte Schläge auf den Schädel und erlitt daraufhin einen Herzinfarkt. Zeugen behaupten, dem zu Boden Gesunkenen sei sogar nachgetreten worden, Sihanlioglu hingegen habe letztes Aufbäumen eines stolzen Türken noch seine Pistole gezogen.
Fehlende Debattenkultur könnte eine Erklärung für die Häufung solcher Vorfälle sein: Unter anderem wurde aus Mazedonien und der Ukraine von bedauerlicher Gewalt unter Politprofis berichtet.
In Skopje hatte ein Redner die Mutter eines albanischen Abgeordneten beleidigt, woraufhin bewaffnete Lederjackenmänner erschienen, um die Sache wieder einzurenken; es gab Verletzte, schließlich klickten Handschellen. In Kiew machten prowestliche Abgeordnete den Parlamentspräsidenten mit Sirenenlärm vorübergehend mundtot und fetzten sich um den Zugang zur Rednertribüne. In der Moskauer Duma soll der rechtsextreme Wüterich Wladimir Schirinowski gedroht haben, einem Widersacher "die Fresse einzutreten". Mindestens 20 parlamentarische Rüpel gingen daraufhin zum Nahkampf über.
Das Ohr abgekaut - leider wörtlich
Raufereien wurden auch aus Bolivien gemeldet, dessen oberste Abgeordnete einander mit Füßen traktierten, weil sie sich über die Befugnisse der Justiz nicht einigen konnten, sowie aus Mexiko, wo Anhänger von Präsident Felipe Calderón eigentlich nur ein "Rednerpult verteidigen" wollten. In Afrikas zahlreichen Parlamenten hingegen ist es vergleichsweise ruhig (sofern sie überhaupt funktionieren), ebenso im arabischen Raum sieht man vom jordanischen Abgeordneten Ahmed al-Abadi ab, der einem ihm unsympathischen Kollegen das rechte Ohr zu Teilen abgebissen hat.
Die Ausraster lassen sich keineswegs als Dritte-Welt-Phänomene abtun; auch in Italien oder Israel ist es schon zu Turbulenzen gekommen, die mit keinem Protokoll vereinbar waren. Und dass auch deutsche Politikern für Überraschungen gut sind, bewies 2004 der damalige baden-württembergische Staatsminister Christoph Palmer.
"Drecksau, Rädelsführer, Verräter", hatte er seinen Parteikollegen und Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer beschimpft und dies mit Ohrfeigen unterstrichen. Der Vorfall spielte sich zwar nicht im Landtag ab, sondern nach Weizenbier und Weißwein auf einer Wahlfeier Palmers Karriere aber war vorbei.