Schock im Weißen Haus Spaniens Rückzug torpediert Bushs Wahlkampf

Die Schockwellen der Bomben von Madrid vibrieren nicht nur durch Europa, sondern auch durch den US-Wahlkampf. Präsident George W. Bush hat plötzlich Probleme, sein Image vom siegreichen Feldherrn im Terror-Krieg aufrecht zu erhalten.

New York - Der Oberbefehlshaber vergnügte sich prächtig. Herausgeputzt im Smoking, saß George W. Bush in der Präsidentenloge des Ford's Theatres und wippte rhythmisch mit dem Kopf. Ein patriotisches Marschmedley füllte den Saal in Washington, darunter "Yankee Doodle Dandy", der Gassenhauer des US-Unabhängigkeitskrieges. Sechs alternde Schlachtveteranen wackelten auf die Bühne, Verdienstorden an der Brust, und salutierten ihrem Commander-in-Chief zackig. "Jeder dieser Gentlemen", lobte Bush darob, "hat unserer Nation großen Dienst geleistet - weit über das hinaus, was man erwarten konnte."

Wie derzeit fast alle Bush-Termine geriet so auch die Benefiz-Gala zur Instandhaltung des Theaters, in dem einst Abraham Lincoln erschossen wurde, am Sonntagabend zum inszenierten Tableau der Vaterlandsliebe. Ein paar Dutzend Kinder von US-Soldaten, die im Irak und anderswo stationiert sind, trällerten von den "simplen Freuden" der Heimat, von "Maismehl-Klößchen" und "süßem Eistee". Und Country-Star Brad Paisley setzte noch einen drauf: "Es gibt nichts Besseres als zu wissen, dass Christus eines Tages zurückkehren wird."

Doch das fromm-erbauliche Idyll war schnell zu Ende, für Bush jedenfalls. Wenige Stunden später, am Montagvormittag, musste er im Oval Office zwei unangenehme Telefonate erledigen, die ihn wieder auf den Boden der Tatsachen holten. Der erste galt einem verlorenen Alliierten im Irak-Krieg, dem abgewählten spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar. Das zweite - der obligatorische Wahl-Glückwunsch - einem neuen Polit-Widersacher von widriger Symbolik, Aznars designiertem Nachfolger José Luis Rodríguez Zapatero.

Bomben zum 2. November?

Das gequälte Wortgeplänkel zwischen dem konservativen Feldherrn und dem Sozialisten, der dessen Feldzug als "Desaster" bezeichnet hat, kann man sich nur vorstellen. Die offizielle Sprachregelung des Weißen Hauses: Bush habe Zapatero gratuliert und seine Hoffnung auf "gute Zusammenarbeit im Krieg gegen den Terror" geäußert. Die Frage des von Zapatero angedrohten spanischen Truppenabzugs aus dem Irak sei nicht zur Sprache gekommen.

So schnell geht das. Ursprünglich wollte das Bush-Team diese Woche, in der sich der Irak-Krieg jährt, zur Bühne für seine Wahlkampf-Propaganda machen. Beim Essenfassen mit Soldaten in Fort Campbell, am Krankenbett von verstümmelten GIs im Walter-Reed-Armeehospital und auf einer Feier mit den Botschaftern der treuen Kriegsalliierten soll der Präsident in den kommenden Tagen das Mantra seiner Wiederwahl verkünden, das hier auch längst schon im Viertelstunden-Rhythmus den Äther füllt, als teuerste TV-Politwerbung aller Zeiten: "Amerika und die Welt sind durch Bushs Führungskraft sicherer geworden."

Dann kamen das Grauen und der Machtwechsel von Madrid: Ein "Schlag für Bush", titelte die "New York Times" kühl. Bushs Durchhaltetournee für diese Woche bleibt zwar unverändert. Die "Message" aber ist plötzlich eine andere - eine, die den Strategen im Weißen Haus gar nicht ins Konzept passt und die den Präsidenten nun zu allerlei rhetorischen Rückwärtssalti zwingt: Die Welt ist offenbar doch nicht unbedingt sicherer geworden, und Bush drohen die Felle davonzuschwimmen. Obendrein drängt sich den Amerikanern eine düstere Frage auf: Wenn Terroristen Wahlen mit Bomben beeinflussen können - was lässt das hier für den 2. November befürchten?

"Kette krasser Fehltritte"

"Dies ist nicht gut für die Bush-Regierung", ahnt Politexperte Ken Pollack von der Brookings Institution, einst selbst ein Kriegs-Befürworter. "Schlechte Nachrichten für die Administration", sagt auch TV-Kommentator Bill Plante. Das penibel konstruierte Wahlkampf-Image Bushs droht zu bröckeln: gütiger Volkströster nach dem 11. September 2001, siegreicher Krieger gegen den Terror. Schon nutzte Bushs demokratischer Widersacher John Kerry die Chance gestern zum Gegenschlag, in typisch verquaster Kerry-Metaphorik: "Die Regierung pfuscht herum, während die Uhr der Inneren Sicherheit tickt."

Kerry sprach diese Worte in Washington, vor der Kulisse aufgereihter Feuerwehrleute der International Association of Firefighters. Denn natürlich beherrschen auch die Demokraten die Kunst der inszenierten "Photo Op" perfekt: Sie konterkarierten so ein ähnliches TV-Bild, das Bush in seinem Wahlkampf-Arsenal bereit hält - seinen berühmten Megaphon-Auftritt vor den Trümmermännern des World Trade Centers.

Bush und sein Zirkel, so ist zu hören, seien über den Gang der Dinge "enttäuscht". Ein mildes Understatement. So hatten sie sich den Wahlkampfauftakt schließlich kaum vorgestellt. Bushs Plan war doch so einfach und narrensicher gewesen: Finger weg von den Themen Konjunktur und Soziales, da gibt's angesichts der zwiespältigen Lage keine Stimmen zu gewinnen, im Gegenteil. Das Wirtschaftsteam des Weißen Hauses, stöhnte jetzt selbst die "Washington Post", habe sich in einer "Kette krasser Fehltritte" verheddert.

Bushs Mutation vom Onkel zum Krieger

Stattdessen setzten Bushs Spin Doctors ganz aufs Zwitter-Image des Kriegers und Staatsmanns. Mit sorgfältig choreografierten "Medien-Events" bastelt Bush-Chefberater Karl Rove seit Monaten daran, angefangen im vorigen Mai mit Bushs pompöser Landung auf dem Flugzeugträger "U.S.S. Abraham Lincoln".

Auch Bushs Thanksgiving-Überraschungsbesuch bei den Truppen in Bagdad diente schon demselben Zweck, ebenso wie jetzt eine Reihe koordinierter Interviews, in denen diverse Minister ihren Chef als tollen Kriegshecht preisen durften. "Diese Message ist zentral für Bushs Wiederwahl", weiß ein Wahlkampfhelfer. "Er muss die Aufmerksamkeit von seinen Schwachpunkten wie der Wirtschaft auf seine größte Umfragestärke in den USA lenken, also seine verteidigungspolitische Kompetenz."

Das ist aber ohnehin ein Spiel mit dem Feuer. Bushs Mutation vom guten Onkel, als der er noch vor vier Jahren lässig durch den Wahlkampf tingelte, zum "Kriegspräsidenten" ist eine stilistische Kehrtwende, die den skeptischen Wechselwählern der "Softie-Mitte" (so ein Bush-Stratege) erst mal glaubhaft gemacht werden muss. Doch der unerwartete Schatten des Terrors über Bushs Amtszeit und jetzt die ebenso unerwartet lebhafte Demokraten-Konkurrenz lassen ihm keine Wahl als die Offensive. "Er ist nicht in der Position, positiv zu sein", klagt Fred Meyer, der Ex-Vorsitzende der texanischen Republikaner.

Missliche Zahlen für Bush wie Kerry

"Am Ende laufen Wahlen darauf hinaus, wem man am meisten zutraut, das Land zu führen", sagte die frühere Bush-Chefsprecherin Karen Hughes, der "Washington Post". "In diesem Fall wird es darauf hinauslaufen, wem man am meisten zutraut, das Land zu verteidigen."

Und da hat Bush die Nase vorn - noch. Trotz des internationalen PR-Debakels um den Irak-Kriegsgrund ist Kompetenz im Kampf gegen den Terror in den jüngsten Meinungsumfragen das einzige Themenfeld, in dem er Kerry schlägt. Doch auch hier ist Bushs Vorsprung mittlerweile geschmolzen, von 51 Punkten vor einem Jahr auf zuletzt 21 Punkte - und das war vor den Anschlägen von Madrid. In allen anderen Bereichen, besonders der Wirtschaft, liegt Kerry vorn. In der generellen Wählergunst führt so mal der eine, mal der andere knapp, je nachdem, ob man den Joker-Kandidaten Ralph Nader mit in die bunte Mischung wirft.

54 Prozent der Amerikaner, so heute früh die aktuellste Befragung der "New York Times", sind jedenfalls mit der "Richtung des Landes" unzufrieden. Und zwei Drittel halten es für "nicht akzeptabel", mit der Erinnerung an den 11. September 2001 Wahlwerbung zu machen. Das sind missliche Zahlen, für Bush wie Kerry: Kerry kämpft weiter mit unscharfem Profil und Zweifeln an seinem Wort; für Bush dagegen ist der Bonus des Amtsinhabers so gut wie futsch, und seine TV-Spots mit den rauchenden Ruinen des World Trade Centers dürften wohl auch schnell in der Versenkung verschwinden.

Schweigend ins Nichts gewinkt

In diese offene Wunde rieselt nun der Fallout der Bomben von Madrid. Deren Schockwellen vibrieren nicht nur durch Europa, sondern auch durch den US-Wahlkampf. Das Weiße Haus, die politische Gefahr sofort witternd, verlor keine Zeit, Außenminister Colin Powell, Pentagon-Chef Donald Rumsfeld und Sicherheitsberaterin Condi Rice an die Talk-Front zu schicken, um die Anschläge zu Bushs strategischen Gunsten zu "spinnen". "Ich hoffe, die Europäer erkennen jetzt, dass keiner immun ist", sagte Powell, Bush als Kriegspräsidenten lobend, ganz wie es das Wahl-Drehbuch vorschreibt.

Wenig von alldem will natürlich etwas heißen, acht lange Monate vor der Entscheidung. Das weiß auch Bush, und überlässt nichts dem Zufall. Gestern reiste er nach Philadelphia und besichtigte dort ein Neubauviertel für Niedrigverdiener, um dieses als Errungenschaft seines Wirtschaftsprogramm darzustellen - Teil des neuen Drehbuchs. Auf dem Weg zum Helikopter riefen ihm die Reporter ein paar Fragen zum Krieg gegen den Terror zu. Doch Bush winkte nur schweigend ins Nichts.

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