Schwachpunkt Nachschub Die offene Flanke der US-Truppen

In großem Tempo stürmten amerikanische Verbände seit Kriegsbeginn Richtung Bagdad - vielleicht zu schnell. Die Versorgung der Truppen droht zum Knackpunkt der Offensive zu werden. Nach sechs Tagen Krieg werden die Zweifel an der Strategie des Pentagon immer lauter.

Washington - Der Einsatz verlangt beinahe übermenschliche Kräfte von den Fahrern. In Konvois mit bis zu 80 LKW quälen sie sich mit Tonnen von Treibstoff, Medikamenten, Trinkwasser und Nahrungsmitteln durch die Wüste. Mehr als 25 Stunden dauert es, bis die Karawane ihr Ziel erreicht hat - die Kriegsfront nahe der irakischen Stadt Nasirija.

Sei fünf Tagen schon stehen die 1000 Mann des ersten Versorgungsbatallions der Marineinfantristen unter Dauerstress. Von ihnen hängt ab, ob die Soldaten an der Front ausreichend Nahrung, Dieselkraftstoff und Munition bekommen. "Diese Arbeit steht zwar selten im Rampenlicht, aber sie kann kriegsentscheidend sein", sagt Major David Nathanson, der den Nachschub von Kuweit aus organisiert.

Wie entscheidend die Versorgung ihrer Kämpfer ist, wird offensichtlich auch den Verantwortlichen im Pentagon langsam klar. Erst am Mittwoch gab ein Militärsprecher bekannt, der Vormarsch der 3. Infantrie-Division der Armee und der 1. Einsatztruppe der Marineinfantrie verzögere sich etwas. Zunächst sollten verstärkt die Zentren des irakischen Widerstands in der Mitte und im Süden des Landes bekämpft werden, so die offizielle Erklärung.

Versorgungszentrale nach dem Vorbild von Fedreral Express

Altgediente US-Offiziere, die lieber nicht beim Namen genannt werden wollen, sehen die Versorgungsprobleme allerdings als den eigentlich entscheidenden Grund für die Drosselung des Marschtempos an. Sie kritisieren, dass der Sicherung der Versorgungswege bislang viel zu wenig Beachtung geschenkt worden sei.

Das Problem wird noch durch die Tatsache verschärft, dass entgegen der altbewährten Praxis bei diesem Feldzug auf die Errichtung von Nachschubbasen entlang der Aufmarschwege verzichtet wurde. Die gesamte Versorgung läuft über den in der Nähe von Kuweit gelegenen Stützpunkt Arifdschan.

Vor wenigen Monaten noch war Arifdschan ein kleines Lager mit ein paar Zelten, ohne fließendes Wasser oder Strom. Mittlerweile ist es zu einer eigenständigen Industriezone und zum Nervenzentrum des 377. Nachschubkommandos ausgebaut worden. Dank einer hochmodernen Logistik, die nach dem Vorbild des US-Kuriers Federal Express mit Strichcodes arbeitet, kann Nathanson den Standort jeder Munitionsbox, jedes Stiefelpaares und jeder Verpflegungskiste ermitteln. An langen Reihen von Computern verfolgen Soldaten, wie viel Treibstoff, Munition und Wasser die einzelnen Brigaden verbrauchen, und den erforderlichen Nachschub auf den Weg bringen.

Transport des Treibstoffs bereits die größten Sorgen

Doch auch mit der ausgefeiltesten Logistik lassen sich 300 Kilometer Wüstenpiste nicht wegdiskutieren. Dabei stellt der Kraftakt des Transports beinahe noch das geringste Problem dar. Für die Absicherung der Konvois stehen kaum Soldaten und Panzer zur Verfügung. Je länger die Fahrt, desto größer ist also das Risiko, sagt Generalmajor Claude Christianson, der das Kommando in Arifdschan innehat. Die riesigen Karawanen böten für die irakischen Soldaten ein leichtes Ziel. "Versuchen Sie einmal, einen 20.000-Liter-Tanklaster zu verfehlen".

Der Treibstoff macht dem Generalmajor die größten Sorgen. Die Transportpanzer, die die Infantristen nach Bagdad bringen sollen, verbrauchen den Sprit hektoliterweise. Und alle 50 bis 80 Kilometer lassen die Kommandanten nachtanken, weil sich nicht riskieren können, im Gefechtsfall mit leerem Tank liegenzubleiben. Noch gefräßiger und gleichzeitig gefährdeter sind die Apache-Kampfhubschrauber, die den Luftraum über den kämpfenden Truppen absichern.

Immerhin - zur Versorgung der Apache-Hubschrauber sind bereits einige "Tankstellen" in der Wüste eingerichtet worden, doch es sind viel zu wenige. Von einem Piloten wird erzählt, er sei in seiner Verzweiflung neben einem Tanklaster gelandet, um seine Vorräte aufzufüllen. Ein weiterer Pilot soll sogar die Mannschaft eines Transportpanzers um Treibstoff gebeten haben. Zum Betanken sein dann eine halbe Wasserflasche als Trichter benutzt worden.

Zu wenig Soldaten zur Absicherung des Rückraums

Nach Einschätzung der Offiziere im Pentagon gibt es für die schlanke Nachschubversorgung einen einleuchtenden Grund: Es fehlen schlicht die Soldaten und Zeit, um die nötigen Zwischencamps zu errichten und abzusichern. Vereinzelt wird die Kritik sogar noch grundsätzlicher. Wie die "New York Times" berichtet, werden inzwischen auch Zweifel laut, ob das Pentagon für einen Vormarsch im bisherigen Tempo überhaupt genügend Bodenkräfte im Irak zusammengezogen hat. Wolle man offene Flanken vermeiden, müssten mindestens zwei zusätzliche Divisionen aufmarschieren. Als kampfkräftige Divisionen kämen die vierte Infantrie- und die erste Kavallerie-Division in Frage.

Doch es dauere noch mindestens zwei Wochen, bis etwa die vierte Division durch den Suezkanal nach Kuweit transportiert sei. Die erste Kavallerie-Division benötige gar fünf Wochen, bis sie einsatzfähig sei.

Das Pentagon, so zitiert die "New York Times" die Offiziere, hätte die Soldaten bereits drei Wochen früher in Marsch setzen sollen, anstatt sich darauf zu verlassen, dass die türkische Regierung den Aufmarsch der Verbände für eine zweite Front im Norden erlauben würde.

Einige Militärs fordern denn auch, das Tempo des Vormarschs noch stärker zu drosseln und Soldaten von der Front zur Absicherung der Nachschubwege einzusetzen. Davon jedoch will Stanley McChrystal vom US-Generalstab nichts wissen. "Ich will nicht über die Planungen von General Franks spekulieren", sagte er gegenüber amerikanischen Journalisten. Aber ein Abzug von Frontsoldaten würde den Vormarsch entscheidend verzögern. "Wir könnten gezwungen sein, die Initiative aus der Hand zu geben".

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