Anti-Ausländer-Kampagne in der Schweiz Die Qual der Wahl

Am Sonntag entscheidet die Schweiz über eine verschärfte Anti-Ausländer-Initiative, die selbst Bagatellvergehen mit Sofortausweisung ahndet. Beim Kampf um die letzten Stimmen kennen vor allem die Rechtspopulisten kein Pardon.
Plakate der Schweizerischen Volkspartei: "Endlich Sicherheit schaffen!"

Plakate der Schweizerischen Volkspartei: "Endlich Sicherheit schaffen!"

Foto: ARND WIEGMANN/ REUTERS

Die meisten der 3,6 Millionen Privathaushalte in der Schweiz haben zuletzt ungefragt Post bekommen. 4,1 Millionen Mal hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) ihr "Extrablatt" drucken lassen. In der aktuellen Wurfsendung der Partei steckt ein kleines, gemeines Rätselspiel.

Wer einen Geschenkkorb mit regionalen Produkten gewinnen möchte, muss bei sechs Fragen die richtige Antwort ankreuzen und das sich daraus ergebende Lösungswort einschicken. So weit, so üblich.

Allerdings handelt es sich nicht um ein herkömmliches Rätsel, das zeigen schon die Fotos zu den Fragen. Zu sehen sind unter anderem ein Mann mit gezückter Pistole und ein vermummter Einbrecher, der ein Fenster aufhebelt. Dazu diese Fragen - beim Mann mit der Pistole: "Wie hoch ist der Anteil ausländischer Straftäter bei Tötungsdelikten im Jahr 2014?" Beim Einbrecher: "Wie viele Ausländer wurden im Jahr 2014 wegen Straftaten verurteilt?"

"Extrablatt"-Ausgabe der SVP: Kleines, gemeines Gewinnspiel

"Extrablatt"-Ausgabe der SVP: Kleines, gemeines Gewinnspiel

Foto: Thomas Burmeister/ dpa

Die Aktion gehört zum Begleitgetöse der rechtskonservativen Partei für ihre Durchsetzungsinitiative , über die die Schweizer Bürger am kommenden Sonntag abstimmen - und über die die Menschen so heftig und emotional streiten wie lange nicht in dem Land.

"Ohne Wenn und Aber"

"Ja zur Ausschaffung krimineller Ausländer", lautet das Motto der SVP-Initiative. Die Vorgeschichte der Abstimmung am Sonntag: Im Jahr 2010 hatte die SVP, damals ebenfalls per Volksentscheid, ihre "Ausschaffungsinitiative" durchgebracht. Ausschaffen, das heißt so viel wie ausweisen. Das Ziel: Verurteilte Ausländer sollen künftig in etlichen Fällen "ohne Wenn und Aber" die Schweiz verlassen müssen.

Auch nach fünf Jahren ist für die "Ausschaffungsinitiative" noch kein Gesetz in Kraft getreten. Nun will die SVP mit der "Durchsetzungsinitiative" genau das erreichen - und den Inhalt auch gleich noch einmal verschärfen.

Besonders die Härtefallklausel sorgt bei der SVP für Unmut. Das Parlament, das angenommene Initiativen in Gesetztexte formuliert, hatte nach intensiven Debatten eine solche Klausel eingeführt. Es wollte damit in der Schweiz geborene und dort aufgewachsene Ausländer schützen. Viele von ihnen haben kaum einen Bezug zum Land ihrer Vorfahren, manche sprechen nicht einmal deren Sprache. Rund ein Viertel der Einwohner der Schweiz sind Ausländer.

Eines der härtesten Ausländergesetze Europas

Für die SVP, stimmenstärkste Partei des Landes, kam diese Klausel nicht infrage: Sie brachte auch deshalb ihre Durchsetzungsinitiative auf den Weg. Darin erweiterte sie den Katalog der ursprünglichen Initiative um etliche Delikte, auch um Bagatellvergehen.

Im Kern würde ein Erfolg der SVP am kommenden Wochenende darauf hinauslaufen, dass die Schweiz eines der härtesten Ausländergesetze Europas erhalten würde, wenn nicht gar das schärfste.

Geht es nach dem Willen der SVP, dann reicht für eine Ausweisung künftig etwa eine Verurteilung wegen Sozialmissbrauchs, unabhängig von der Höhe der Strafe. Auch wer wegen Hausfriedensbruchs in Verbindung mit Sachbeschädigung verurteilt wurde und in den vergangenen zehn Jahren bereits eine Geldstrafe aufgebrummt bekam, müsste demnach automatisch das Land verlassen.

Der Widerstand gegen die Initiative der Rechtskonservativen ist enorm. Die siebenköpfige Schweizer Regierung, an der die SVP mit zwei Ministern beteiligt ist, ist ebenso strikt dagegen wie alle anderen Parteien. Auch etliche Verbände und gesellschaftliche Gruppierungen haben sich klar positioniert:

  • 120 Juraprofessoren warnen in einem Appell davor, dass die Durchsetzungsinitiative zum Ziel habe, das richterliche Ermessen bei der Beurteilung ausländerrechtlicher Konsequenzen von Straftaten auszuschalten. Sie machen darin auch deutlich, dass die Initiative gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und das Freizügigkeitsabkommen mit der EU verstoße. "Die rechtsstaatliche Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und muss verteidigt werden."
  • Mehr als 50.000 Bürger, darunter viele Prominente, haben inzwischen einen Aufruf unterschrieben,in dem der SVP-Vorstoß als "barbarisch" gebrandmarkt wird.
  • Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse spricht sich für "ein klares Nein" zu der Initiative aus, weil sie den Rechtsstaat untergrabe und die Wirtschaft schwäche.
  • Die Kommentierung in den führenden Zeitungen der Schweiz ist deutlich: So warnte die "Neue Zürcher Zeitung" vor einer "archaischen Zwei-Klassen-Justiz". Der "Tagesanzeiger" fragte, ob man tatsächlich in der Schweiz geborene Menschen aus dem Land jagen wolle, weil sie zwei Mal mit Cannabis gehandelt hätten.
  • Das "Komitee gegen die Durchsetzungsinitiative" weist darauf hin, dass die SVP Ausländer völlig undifferenziert in einen Topf werfe. So seien etwa sogenannte Kriminaltouristen für einen erheblichen Teil der von Ausländern begangenen Delikte verantwortlich. Menschen also, die gar nicht ihren Wohnsitz in der Schweiz haben - bei der SVP ist davon aber keine Rede.

Schweizer Kreuz als Hakenkreuz

Trotzdem ist völlig offen, wie die Bürger am Sonntag entscheiden, Beobachter rechnen mit einem knappen Rennen. Sie wissen zu gut, dass die SVP besonders dann erfolgreich mobilisiert, wenn es um Ausländerpolitik geht. Ihre Initiative "gegen den Bau von Minaretten" - angenommen (2009). Ihre Initiative "für die Ausschaffung krimineller Ausländer" - angenommen (2010). Ihre Initiative "gegen Masseneinwanderung" - angenommen (2014).

Das erklärt möglicherweise auch die Schärfe, mit der inzwischen die Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Befürwortern der SVP-Initiative geführt wird: An den Bahnhöfen in Zürich und Genf war auf mehreren Großbildschirmen zuletzt das Schweizer Kreuz als Hakenkreuz zu sehen. Die Schweizer Bahn stoppte später die umstrittene Kampagne von SVP-Gegnern.

Eine Entspannung in der Schweiz scheint vorerst nicht in Sicht. Die Rechtskonservativen arbeiten bereits an der nächsten Kampagne: "Gegen Gratisanwälte für alle Asylbewerber".


Zusammengefasst: Die SVP will in der Schweiz harte neue Ausweisungsregeln für Ausländer durchsetzen. Schon kleinere Vergehen könnten dann zur Ausweisung führen, die Regelung würde extrem viele Menschen im Land betreffen. Gegner verurteilen sie als unfair und wenig zielführend. Das Volk muss am Sonntag über den Plan entscheiden, eine klare Tendenz gibt es nicht.

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