Schweizer Grünliberale Offroader fahren und grün wählen
Zürich - Seine Kleidung ist ein politisches Statement. Der Mann trägt mit Vorliebe pistaziengrüne Hemden und grün-braun gestreifte Krawatten dazu. Martin Bäumle ist ein Hellgrüner, weil er als Grüner auch Rücksicht auf die Ökonomie nimmt. Hellgrün ist zudem die Parteifarbe der SVP. Als einziger grüner Parlamentarier hat der 43-jährige Zürcher Atmosphärenwissenschaftler vor vier Jahren Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt. Für die Grüne Partei der Schweiz (GPS) ist Blocher des Teufels. Wie die Sozialdemokraten verweigern sie ihm konsequent ihre Stimme. Der streng linke und gewerkschaftsnahe Kurs macht die "Wassermelonen-Grünen" außen grün, innen rot für Bürgerliche aber kaum wählbar. Obwohl auch rechts von den Grünen die Herzen zunehmend grün schlagen.
Martin Bäumle hat das geändert. Nach einem verlorenen Machtkampf musste der Präsident der Zürcher Grünen Partei zurücktreten. Kurz darauf gründete Bäumle Mitte 2004 mit Gleichgesinnten die Grünliberale Partei (GLP). Nun besannen sich die Grünen wieder auf die rechten Wurzeln der Ökologiebewegung. Denn in den siebziger Jahren galten die Grünen entweder als links- oder rechtsextrem. Selbst ehemalige Republikaner hatten einen grünen Daumen, als sie die "Grüne Aktion Zukunft Schweiz" auf die Beine stellten.
SPIEGEL ONLINE trifft Martin Bäumle in Dübendorf. "Eine Agglomeration mit allen Vor- und Nachteilen", beschreibt er seinen Heimatort schnörkellos. Knapp 23.000 Einwohner zählt Dübendorf, Zürichs Innenstadt ist bloß zwei S-Bahn-Stationen entfernt. Dorthin pendeln die meisten Arbeitnehmer, weshalb auch regelmäßig der Straßenverkehr zusammenbricht. Im Unterschied zur linken Großstadt ist hier die SVP die populärste Partei, wie überall in den ländlichen Gebieten des bevölkerungsstärksten Kantons. Vom Glamour der berühmten Bahnhofstraße und seinen Edelboutiquen spürt man in Dübendorf nichts. In der Dorfkneipe Hecht genehmigt sich der gehetzte Politiker ein spätes Mittagessen: grünen Salat und ein Fleischkäse-Sandwich.
"Lieber Macher als Sozialromantiker"
Bäumle würde problemlos als bürgerlicher Politiker durchgehen. "Ich fahre einen harten Finanzkurs", erzählt er über seine Arbeit als Finanzvorstand von Dübendorf. Und auf seinen guten Draht zum hemdsärmligen Vizepräsidenten der SVP, Toni Brunner, angesprochen, sagt er: "Wir schätzen uns menschlich sehr und zugegeben: Mir sind Macher lieber als Sozialromantiker." Rechte Stubenhocker gebe es aber genauso wie linke. Und dann legt er nach: "Leistung ist wichtig. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft." Wobei ihm Leistungsbereitschaft wichtiger sei als Leistungsfähigkeit.
So ein Grüner kommt in bürgerlichen Kreisen natürlich viel besser an. Bemüht man noch einmal das Vokabular aus dem Gemüsegarten, sind die Schweizer Grünliberalen wohl eher Limetten- als Gurken-Grüne: Außen hellgrün, innen gelb wie die FDP. Erklärtes Ziel der Grünliberalen ist, die Ökologie und Ökonomie miteinander zu verknüpfen. "Wir glauben an eine verantwortungsvolle Umweltpolitik, die jedoch auf vernünftigen finanziellen Grundlagen basieren muss." In den Hintergrund geraten dabei soziale Themen zugunsten einer liberalen Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Mit grün und liberal traf Bäumles Truppe voll den Nerv der Zeit. Bei den Wahlen ins Zürcher Kantonsparlament im vergangenen Frühling holten die Grünliberalen auf Anhieb 5,8 Prozent der Stimmen was in der Schweiz einem Erdrutsch gleichkommt. Als neue Partei traten die Limetten-Grünen bei den landesweiten Parlamentswahlen vorerst nur in Zürich und in zwei weiteren Kantonen an. Letzten Sonntag schafften die bürgerlichen Grünen in Zürich 7 Prozent und übertrafen damit noch einmal die kühnsten Erwartungen. Gleich drei grünliberale Nationalräte vertreten nun den bevölkerungsreichsten Kanton im Bundesparlament. Auch die linken Grünen konnten in Zürich um 1,9 Prozent auf 10,4 Prozent zulegen und stellen nun 10 Nationalräte. Gesamtschweizerisch ist der Wähleranteil der Grünliberalen allerdings noch klein: SVP (29 Prozent), SP (19,5 Prozent), FDP (15,6 Prozent), CVP (14,6 Prozent), GPS (9,6 Prozent) und GLP (1,4 Prozent).
Die meisten Geländewagen Europas
In Zürich wie in der ganzen Schweiz mussten die SP und FDP die größten Einbußen hinnehmen. Viele wählten unter dem Eindruck des Klimawandels grün. "Es scheint links der Mitte ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer gemäßigten, linksliberalen Kraft zu geben - im Fall Zürich profitierten davon vor allem die Grünliberalen", sagte der Politologe Michael Hermann. Wie stark die einst mächtige SP unter Druck geraten ist, zeigt ihr Entscheid vom letzten Freitag, die Kandidatur für den zweiten Wahlgang des Ständerates zurückzuziehen. Zugunsten der grünliberalen Kandidatin.
Außerhalb der städtischen Zentren haben hingegen die Grünliberalen gepunktet. Insbesondere in Zürichs reichen Seegemeinden, der sogenannten Goldküste, brachen die Freisinnigen einmal mehr ein. "Abgeflossen sind die Stimmen diesmal wahrscheinlich weniger nach rechts zur SVP, sondern zur Mitte zur CVP oder gar zu den Grünliberalen", schrieb die "NZZ". Die rechtsbürgerliche Anbiederung der FDP gegenüber der SVP hat sich damit nicht ausgezahlt. "Die Freisinnigen lassen sich am Nasenring von der SVP herumführen. Das wird von vielen FDP-Wählern nicht goutiert", sagt Bäumle. Aber auch die wachsende Sensibilität für Umweltprobleme in der politischen Mitte sorgt für den grünen Aufwind. "Diese Wähler hätten wohl kaum ihre Stimme den linksalternativen Grünen gegeben."
In der Schweiz gibt's europaweit die meisten Geländewagen pro Kopf und im reichen Zürich finden sich an der Goldküste die meisten Luxus-SUVs überhaupt. Offroader fahren, in Villen wohnen, durch die Welt jetten und grün wählen wie passt das zusammen? Martin Bäumle kokettiert gerne mit seiner eigenen widersprüchlichen Haltung. "Die meisten Leute haben lieber ein großes, schönes als ein kleines, hässliches Auto", sagte er in einem Interview mit der "SonntagsZeitung". "Ich bin da nicht anders. Ich fahre einen BMW." Und als bekennender Formel-1-Fan "ein objektiv gesehen recht sinnloses Hobby" guckt er das Rennen im Fernsehen mit Ökostrom und isst dazu ein Biomüsli. "Mir ist ein Offroader-Fahrer, der sein Auto in der Garage stehen lässt, lieber als jemand, der mit seinem Kleinwagen jährlich 50.000 Kilometer fährt." Doch dann verhärten sich seine Gesichtszüge: "Geländewagen sind Kindli-Töter." Damit spricht er die besonders für Kinder große Gefährlichkeit an. Deshalb hat er das Volksbegehren der Jungen Grünen "Initiative für menschenfreundliche Fahrzeuge" unterschrieben. Diese fordern ein Verbot für den Stadtpanzer.
Sind die Grünliberalen ein Vorbild für die hoffnungslos verkrachten deutschen Grünen? Inwieweit die grüne Bewegung in der Schweiz dank den Grünliberalen neue sprich bürgerliche Wähler erschließen konnte, ist noch umstritten. Peter Selb vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich äußert sich jedoch noch skeptisch: "Als vorsichtige Interpretation könnte man sagen, dass die Grünliberalen bei den Grünen gefischt haben, die wiederum der SP Stimmen abgeluchst haben." Detaillierte Wählerumfragen sollen bald Klarheit schaffen. "Kommt dazu, dass in Deutschland die großen Parteien ein viel breiteres politisches Spektrum abdecken", sagt Hans Hirter, Politikwissenschaftler an der Universität Bern. So finden sich neuerdings auch ökoliberale Elemente in der CDU. "Ich schicke Frau Merkel für ihre Klimapolitik eine Beitrittserklärung für die Grünliberalen", schmunzelt Martin Bäumle.