
China und Japan: Streit um einen Kapitän - und Rohstoffe
Schwelender Inselstreit China und Japan riskieren neue Eiszeit
Es ist ein Streit, der schon lange schwelt. Und doch gibt es bis heute keine Lösung. "Unserer Generation fehlt die nötige Weisheit, aber die nächste Generation wird bestimmt mehr Weisheit besitzen." Mit diesen staatsmännischen Worten vertagte bereits vor 32 Jahren den Zank mit dem Nachbarn Japan um die Souveränität über die Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer, die die Japaner Senkaku-Inseln nennen.
Ob die im Jahre 2010 in Peking und Tokio Regierenden tatsächlich so weise sind, wie der legendäre chinesische Reformer vorhersagte, muss dieser Tage allerdings ernsthaft bezweifelt werden. Denn zur Zeit vergeht kaum ein Tag, ohne dass die asiatischen Rivalen den Zwist um die unbewohnten, felsigen Eilande, die in fischreichen Gewässern mit vermuteten Ölvorkommen liegen, weiter anheizen.
Seit die japanische Küstenwache vor über zehn Tagen den Kapitän eines chinesischen Fischerboots festnahm, kühlen die Beziehungen beider Länder permanent ab. Der chinesische Kutter war vor den Inseln mit zwei japanischen Patrouillen-Booten kollidiert; die japanischen Küstenschützer werfen dem Chinesen vor, sie an der Ausübung ihrer Amtspflichten gehindert zu haben.
Die Verhaftung löste in Festlandchina, aber auch auf Taiwan und in Hongkong, nationalistisches Wutgeheul aus. Peking stoppte alle diplomatische Kontakte auf ministerieller und Provinzebene mit , darunter die vor allem von Tokio dringend gewünschten Verhandlungen über die gemeinsame Ausbeutung von Gasvorkommen im Ostchinesischen Meer.
Bislang treibt die Erschließung der Rohstoffe dort im Alleingang voran - sehr zur Empörung Japans, das Teile der dortigen Gewässer ebenfalls für sich beansprucht.
Die Nerven liegen blank
Auch eine Begegnung zwischen Premier und seinem japanischen Kollegen Naoto Kan am Rande der Uno-Vollversammlung in New York in dieser Woche dürfte nicht zustande kommen. Ein solches Treffen wäre für Wen "unangemessen", sagte Jiang Yu, Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, am Dienstag. "Die japanische Seite macht Fehler über Fehler und verschlimmert die Situation", fügte sie hinzu.
Die kommunistische Führung in Peking fürchtet offenbar, dass ihre Landsleute ein solches Gespräch der beiden Staatsmänner als Zeichen der Schwäche auslegen könnten. Umgekehrt will Tokio das Risiko vermeiden, dass Peking das Treffen kurz vorher mit einem Paukenschlag absagt.
Die Nerven liegen blank. In Peking und anderen Großstädten demonstrierten am Wochenende Patrioten für die Freilassung des verhafteten Kapitäns. Und im Internet lebte tief wurzelnder Hass gegen die einstigen japanischen Invasoren auf. "Unsere Regierung wehrt sich nicht genug", schimpfte ein chinesischer Blogger aus der Südprovinz Guangdong, "sie sollte Truppen nach Diaoyu schicken, die Inseln gehören uns. Mal sehen, was die kleinen Japaner dagegen ausrichten können!"
Der Zank um die Inseln, die von Japan de facto kontrolliert werden, überschattet auch jüngste zaghafte Ansätze zur Aussöhnung zwischen beiden Ländern: Vergangene Woche sagte ein chinesisches Unternehmen eine Art Betriebsausflug nach Japan für zehntausend Angestellte ab.
Und am Montag lud China 1000 japanische Jugendliche aus, die Premier Wen Jiabao kürzlich erst als Geste der Freundschaft zur Weltausstellung nach Shanghai eingeladen hatte. Der Affront aus Peking erreichte die jungen Japaner einen Tag vor ihrer geplanten Abreise. Am Vortag hatte ein Gericht auf der Insel Okinawa die Untersuchungshaft des chinesischen Kapitäns um weitere zehn Tage verlängert.
China rüstet immer ungestümer auf
Das chinesische Außenministerium ist praktisch rund um die Uhr damit beschäftigt, den japanischen Botschafter in Peking zu Protesten vorzuladen: Schon sechsmal musste der Diplomat die chinesische Forderung nach sofortiger Freilassung des Kapitäns zur Kenntnis nehmen - einmal gar vor Tagesanbruch. Tokio, so schallt es bedrohlich aus Peking, werde die Konsequenzen seines Verhaltens tragen müssen.
Umgekehrt beharren die Japaner auf ihrer Kontrolle über die Senkaku-Inseln, die sie sich 1895 einverleibten und zwischenzeitlich bewohnten. Seiji Maehara, der neue Außenminister in Tokio, warnt, er erwäge "verschiedene Optionen", falls China den bilateralen Konflikt weiter eskalieren lasse, etwa durch den einseitigen Beginn von Bohrungen im umstrittenen Gasfeld.
Im Klartext: Wenn China anfängt, nach Gas zu bohren, will Japan nachziehen.
Tatsächlich aber kommt der Inselstreit sowohl Peking als auch Tokio ungelegen. Beide Nachbarn waren gerade dabei, ihre Beziehungen wieder einzurenken, die der frühere Premier Junichiro Koizumi mit seinen provozierenden Pilgerfahrten zum Yasukuni-Schrein in Tokio gestört hatte. An dem shintoistischen Heiligtum werden auch Nippons Hauptkriegsverbrecher als Gottheiten verehrt.
Die in Tokio seit einem Jahr regierenden Demokraten schlugen China gar die Gründung einer Ostasiatischen Gemeinschaft nach Vorbild der EU vor. Und bisweilen sah es fast so aus, als nehme Japan die Annäherung an China ernster als seine Bündnistreue zur militärischen Schutzmacht USA.
Doch davon ist jetzt keine Rede mehr. Japan fürchtet, immer weiter in die Defensive zu geraten gegenüber dem benachbarten Riesenreich, von dem es kürzlich bereits als zweitgrößte Industriemacht überholt wurde. Mit Sorge verfolgt das rapide alternde Inselland, wie China militärisch immer ungestümer aufrüstet, wie es seine territoriale Ansprüche in der Region immer forscher anmeldet.
Wiederholt tauchten in jüngster Zeit U-Boote der erstarkenden chinesischen Marine vor Japans südlicher Inselkette Okinawa in Fahrtrichtung Ostpazifik auf. In einem äußerst waghalsigen Manöver flog ein chinesischer Hubschrauber-Pilot gar bis auf wenige hundert Meter an ein japanisches Patrouillen-Schiff heran.
Der Streit um die Diaoyu-Senkaku-Inseln hat Symbolwert für das Verhältnis zwischen Chinesen und der übrigen Region. Länder wie Vietnam und die Philippinen verfolgen aufmerksam, ob Japan sich vom chinesischen Riesenreich einschüchtern lässt. Denn auch in ihrer Nachbarschaft, im rohstoffreichen südchinesischen Meer, dehnt China seinen Einfluss derzeit aggressiv aus.
China provoziert mit seiner maritimen Expansion auch Ärger mit den USA
In diesem Sommer rammte die Besatzung des neu entwickelten chinesischen Tiefsee-U-Bootes "Jialong" die rote Landesflagge in den Boden des Südchinesischen Meeres. "Jialong" kann bis zu 7000 Meter tief abtauchen, 500 Meter mehr als ein japanisches Konkurrenzmodell und damit so tief wie kein anderes U-Boot auf der Welt.
Letztlich riskiert China mit seiner maritimen Expansion auch wachsende Reibereien mit den USA, der noch amtierenden Hegemonialmacht im Pazifik. Mit zunehmender Ungeduld sucht es die USA aus Gewässern nahe der eigenen Küste fernzuhalten: Als die US-Marine kürzlich ankündigte, wie schon oft, im Gelben Meer Manöver mit dem Flugzeugträger "George Washington" abzuhalten, warnte der chinesische Admiral Yang Yi, die Amerikaner würden "Chinas nationales Interesse und die Gefühle der chinesischen Nation verletzten."
Gewiss, den jüngsten Streit um die Verhaftung des chinesischen Kapitäns dürfte sich Peking kaum ausgesucht haben. Doch das diplomatische Wutgeheul zeigt: Die Führung in Peking sieht sich unter gewaltigem Druck der eigenen nationalistischen Öffentlichkeit.
Jahrelang hat die Kommunistische Partei das ideologische Vakuum seit der Öffnung zum Kapitalismus vor allem mit Hilfe von patriotischer Erziehung zu füllen versucht. Als Feindbild muss vor allem der einstige Kriegsgegner Japan herhalten. Dass sich Japan in den vergangenen sechs Jahrzehnten friedlich und demokratisch entwickelt hat, wird in Peking bis heute gerne verschwiegen.
Insofern sind die Nachfolger von Deng Xiaoping im aktuellen Streit um die Eilande im Ostchinesischen Meer auch Gefangene der gefährlichen Geister, die sie selbst riefen: Statt Weisheit zu üben, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Wut zu zeigen.