Selbstmordanschlag Bhutto will trotz Anschlags in Pakistan bleiben
Karatschi Pakistan im Ausnahmezustand: Viele der rund 500 Verletzten ringen Stunden nach dem Anschlag noch immer um ihr Leben. Die Polizei ermittelt am Ort des Grauens, Ermittler suchen nach Attentätern und Hintermännern. Augenzeugen berichten von der Horrornacht.
Der Fotograf B. K. Bangash hat den Anschlag beim Empfang für die frühere pakistanische Ministerpräsidentin Benazir Bhutto als Augenzeuge hautnah miterlebt. "Die erste Explosion hörte sich an, als ob ein Reifen an einem Bus geplatzt wäre. Ich ging näher heran, da gab es eine zweite Explosion. Dutzende Leute rannten als Flammenbälle umher. Dreck und Trümmer wurden in den nächtlichen Himmel geschleudert. Ein Polizeiwagen stand in Flammen. Die Straßen waren übersät mit Leichen. Überall lagen Arme, Beine und andere Körperteile. Ich hörte, wie ein Vater verzweifelt nach seinem Sohn rief. Er bat mich, ihm bei der Suche zu helfen. Später erfuhr ich, dass der sechs Jahre alte Junge tot war", berichtet der Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AP.
"Die meisten der Opfer waren Männer. Viele von ihnen hatten die Prozession auf ihren Motorrädern begleitet. Ich sah aber auch mindestens zwei Kinderleichen. Opfer ohne Gliedmaßen schrien um Hilfe. Eltern suchten wahnsinnig vor Sorge nach vermissten Kindern. Die Flammen schickten Hitzewellen durch die Straßen. In der Luft hing der Geruch von Blut. Etwa 20 Minuten später - es erschien wie eine Ewigkeit - drangen die Sirenen von Krankenwagen durch das Chaos", so Bangash.
Auch die Londoner Bürochefin von AP war nahe am Geschehen. Paisley Dodds begleitete Bhutto auf dem Flug von Dubai nach Karatschi und auf der Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt. Dodds beschreibt die letzten Minuten vor dem Attentat aus dem nächsten Umfeld Bhuttos: "Bhutto, die eine Baseballkappe ihrer Partei über dem weißen Schal trug, der zu ihrem Markenzeichen geworden ist, stand da und winkte ihren Anhängern zu. Dann suchte sie Zuflucht im Gewühl ihrer Berater im Bus. So saß sie meist für die Massen verborgen da. Sie fummelte an ihrem Handy herum, offenbar schrieb sie SMS."
15 bis 20 Kilogramm Sprengstoff
Als die Menge immer dichter wurde, habe sich Bhutto immer mehr in den Hintergrund zurückgezogen. "Eine kleine Gruppe von Männern steckte drei US-Fahnen in Brand und rief: 'Nieder mit den USA, nein zu Bhutto und den USA!'", berichtet Dodds. "Doch insgesamt war die Versammlung friedlich. Die Leute schienen glücklich. Für einen Moment hielt ich mich für paranoid, weil ich dachte, Bhuttos Heimkehr würde in einer Tragödie enden."
Doch wenig später bestätigten sich Dodds Befürchtungen: Kurz nach Mitternacht (Ortszeit) griffen Terroristen Bhuttos Parade-Lastwagen an. Nach Angaben der Polizei wurde zuerst eine Granate gezündet, dann sprengte sich ein Selbstmordattentäter mit 15 bis 20 Kilogramm Sprengstoff direkt neben dem Fahrzeug Bhuttos in die Luft. Die pakistanische Zeitung "The Dawn" berichtete unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen, ein Mann habe sich dem Konvoi genähert und "Bombe, Bombe!" gebrüllt. Dann habe er einen Sprengsatz gezündet, der auch einen Polizeiwagen traf.
Bhutto übersteht den Anschlag unverletzt; ihr Mann beschuldigt den pakistanischen Geheimdienst
Bhutto selbst entging dem Attentat und blieb nach offiziellen Angaben unverletzt und wurde umgehend in ihre Residenz in Karatschi in Sicherheit gebracht. Die Zeitung "The Nation" berichtete unter Berufung auf Polizisten vor Ort, dass sich die ehemalige Premierministerin nur Sekunden vor dem Anschlag ins gepanzerte Innere des Lkw zurückgezogen hatte. Wegen der Anschlagsdrohungen von Extremisten hatten die Behörden Bhutto gebeten, den Weg vom Flughafen in die Stadt im Hubschrauber zurückzulegen. Dies lehnte diese jedoch ab. Genauso weigerte sie sich, ihre Anhänger hinter Panzerglas zu grüßen, die kugelsicheren Scheiben auf dem Wagen wurden pakistanischen Medien zufolge abgebaut.
Die pakistanische Polizei hat eignen Angaben zufolge inzwischen den Kopf des Suizidattentäters gefunden. Durch DNA-Tests wollen die Beamten die Identität des Täters feststellen. Fünf Millionen Rupien (82.000 Dollar) wurden für Hinweise ausgesetzt, die zu den Hintermännern des Anschlags führen. Bisher bekannte sich niemand dazu.
Ehemann beschuldigt Geheimdienst
Der Ehemann Benazir Bhuttos machte einen der pakistanischen Geheimdienste für den Anschlag auf seine Ehefrau verantwortlich. Asif Ali Zardari sagte dem Nachrichtensender Geo TV in Dubai: "Das ist nicht das Werk von Militanten, sondern das dieses Geheimdienstes." Gegenüber dem Fernsehsender Aryone World Television wiederholte er seinen Vorwurf: "Ich gebe der Regierung die Schuld an diesen Anschlägen."
Pakistanische Medien berichteten unter Berufung auf Bhuttos Volkspartei PPP, die Parteichefin und Ex-Premierministerin fordere nach dem Anschlag von der Regierung, den Chef des Intelligence Bureau (IB), Ijaz Shah, zu entlassen. Pakistans Präsident Pervez Musharraf verurteilte den Anschlag auf seine Kontrahentin als "Verschwörung gegen die Demokratie". Musharraf rief die Nation und besonders die Menschen in Karatschi zur Ruhe auf. Er erklärte, seine Regierung werde alles unternehmen, die Drahtzieher zu fassen und hart zu bestrafen. Er bete für die Getöteten und für eine schnelle Genesung der Verletzten.
Bhuttos Volkspartei rief eine dreitägige Trauer aus. In dieser Zeit würden die Parteiflaggen in ganz Pakistan auf Halbmast gesetzt und schwarze Flaggen als Zeichen der Trauer gehisst, berichteten pakistanische Medien. Trotz des Anschlags wolle Bhutto in Pakistan bleiben und ihre Partei in die Parlamentswahlen führen, sagte ein Senator der Volkspartei. "Wir werden unsere Pläne nicht ändern. Unser Kampf für Demokratie geht weiter", sagte Safdar Abbasi. Bhutto werde die Partei auf die Parlamentswahlen im Januar wie geplant vorbereiten. "Sie ist entschlossen."
Weltweite Verurteilung des Anschlags
Die Tat wurde weltweit verurteilt. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums sagte, es gebe keinen politischen Grund, der die Ermordung unschuldiger Menschen rechtfertige. Die Europäische Union (EU) drängte die pakistanischen Behörden, die Verantwortlichen ausfindig zu machen. "Solche Taten bringen den Wahlprozess in große Gefahr", hieß es mit Bezug auf die Wahlen, die im Januar in Pakistan stattfinden sollen.
Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich schockiert. Er vertraue jedoch darauf, dass alle politischen Kräfte zusammenarbeiten würden, um die nationale Einheit zu stärken, sagte er.
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verurteilte das Attentat in Pakistan. Es bezeichnete es als Anschlag auf die Demokratie in dem Land. "Die Brutalität dieser heimtückischen Tat erfüllt uns mit Entsetzen", erklärte Steinmeier in Berlin. "Ihr liegt die durch nichts zu rechtfertigende Absicht zugrunde, die pakistanische Demokratie zu zerstören. Dem gilt es mit Konsequenz entgegenzutreten." Die Hintermänner der Anschläge müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
asc/phw/AP/Reuters/dpa