Selbstmordattentate Chomeinis Vermächtnis
Hamburg - Kriegseinsätze wie die der Bassidsch waren in der an Grausamkeiten nicht gerade armen Geschichte des Islam unbekannt. Ajatollah Chomeini war sich dessen bewusst. Seine Revolution habe aus den Iranern ein Volk gemacht, dass nicht nur bereitwillig in den Krieg ziehe, erklärte er im September 1982. "Wenn Iraner in den Krieg ziehen wollen, tun sie es so, als wollten sie Hochzeit feiern. Das hat es nicht einmal in der Anfangszeit des Islam gegeben."
In der Tat! Unbewaffnete Menschen auf Minenfelder und in offene Gefechtsstellungen zu schicken das brach nicht nur mit den Traditionen des Islam, sondern missachtete auch die Vorschriften des Koran. So heißt es in Sure 2, Vers 195: "Und stürzt euch nicht mit eigener Hand ins Verderben." Noch expliziter in Sure 4, Vers 29: "Begeht nicht Selbstmord; siehe, Allah ist barmherzig gegen euch. Und wer dies tut in Feindschaft und Frevel, wahrlich, den werden wir brennen lassen im Feuer."
Zwar hatten die sunnitischen Muslimbrüder in Ägypten unter Hassan al-Banna schon in den dreißiger Jahren den Niedergang der Muslime mit deren "Liebe zum Leben" begründet und als Gegenmittel die "Sehnsucht nach dem Tode" propagiert. So schrieb al-Banna in seinem berühmten Essay "Die Todesindustrie" von 1938: "Wenn du erpicht bist zu sterben, wird es dir gewährt sein zu leben, wenn du dich auf einen edlen Tod vorbereitest, wirst zu vollständiges Glück erlangen. Derjenigen Nation, welche die Industrie des Todes perfektioniert und die weiß, wie man edel stirbt, gibt Gott ein stolzes Leben auf dieser Welt und ewige Gunst in dem Leben, das noch kommt."
Und doch hatten weder Hassan al-Banna noch der 1966 in Ägypten hingerichtete Muslimbruder Sayyid Qutb das Instrument des Selbstmordattentats jemals gebilligt geschweige denn propagiert. Sie wollten, dass ein Muslim, der wider Willen in eine ausweglose Situation gerät, eher sein Leben opfert als kapituliert. Diese Position ist von der Praxis der Bassidsch und der späteren Selbstmordattentäter, sich willentlich in einer nicht ausweglosen Situation in den sicheren Tod zu stürzen, weit entfernt.
Der Anstoß für die Weiterentwicklung der Märtyreridee kam aus Iran. Über das Gedankengut der Muslimbrüder war Chomeini seit 1937 informiert. Schon damals hatte einer seiner wichtigsten Gesprächspartner, Mohammad Nawab-Safivi, auf die Anpassung des Muslimbruder-Ansatzes an die schiitischen Traditionen gedrängt. Es bedurfte Chomeinis Machtergreifung von 1979, bevor diese Verschmelzung gelang, bevor sich al-Bannas abstrakter Todeswahn im Märtyrerkult der Bassidsch konkretisierte.
Lächelnd in den Tod
Jetzt begann das Vorbild der Bassidsch auch andere zu inspirieren. So zum Beispiel den südlibanesischen Schiiten Ahmad Qusayr. Dieser 15-Jährige sprengte sich mit einer Autobombe, die das israelische Verwaltungsgebäude im libanesischen Tyros in Schutt und Asche legte, am 11. November 1982 in die Luft - das erste islamistisch begründete Selbstmordattentat gegen Israel. Kurz zuvor hatten iranische Revolutionsgardisten die militärische Ausbildung der schiitischen Jugend im Libanon übernommen. "Es ist die Schulung durch die Revolutionswächter", berichtet 1987 ein Teilnehmer, "die die islamische Jugend so verwandelt hat, dass sie sich nach dem Martyrium sehnt. Deshalb waren wir auch nicht weiter überrascht, als kurze Zeit nach dem Eintreffen der Revolutionsgardisten ein mit einer 1200 Kilogramm Bombe ausgerüsteter Jugendlicher im Libanon lächelnd in den Tod ging."
Chomeini soll das Attentat des 15-Jährigen mit einer Fatwa höchstpersönlich abgesegnet haben. Er erklärte Ahmad Qusayr 1986 zum "Helden des Islam" und ließ für ihn in Teheran ein Denkmal errichten.
Dennoch setzte sich die neue Dschihad-Methode Chomeinis selbst im Lager der Islamisten nur mit Schwierigkeiten durch zu groß war die Abweichung vom Koran, zu ungewohnt der Bruch mit der Tradition. So war das "suicide bombing" selbst unter den Rechtsgelehrten der Hisbollah während der achtziger Jahren umstritten: Liegt die Entscheidung über Leben und Tod nicht allein bei Gott? Musste nicht jedes Mal auch ein "unschuldiger" Mensch, nämlich der Attentäter, getötet werden? Ist die Tötung von Zivilisten erlaubt?
Es vergingen mehr als zehn Jahre, bevor die sunnitischen Muslimbrüder von Palästina dem Beispiel Ahmad Qusayrs folgten. So starteten die Al-Qassam-Brigaden der Hamas 1993 ihre ersten Selbstmord-Operationen. Die offizielle Billigung ließ zwei weitere Jahre auf sich warten. 1995 erklärte der Hamas-Gründer Scheich Ahmad Jassin die "Märtyrer-Operationen" für unverzichtbar, "weil sie Juden verwirren und in Angst und Schrecken versetzen".
Das Rot des Märtyrerblutes
Damit waren die Zweifel an deren religiöse Legitimität nicht vom Tisch. Noch 2001 veröffentlichte der Mufti von Saudi-Arabien eine Fatwa, die das Selbstmordattentat als Verstoß gegen islamisches Recht verurteilt. Auch heute noch verurteilen wichtige Imame sie als Sünde. Dennoch steigt die Zahl sunnitischer Selbstmordattentäter, allein im Irak setzten mehrere hundert Islamisten ihren Körper als Bombenträger ein.
"Der Baum des Islam kann nur wachsen, wenn er ständig mit dem Blut der Märtyrer getränkt wird", hatte Chomeini während des Krieges gegen den Irak proklamiert. Man wird die Umsetzung dieser Devise als das wohl wichtigste Vermächtnis des Revolutionsführers bezeichnen müssen: Heute ist die mobilisierende Farbe der Schiiten das Rot des Märtyrerblutes das Kennzeichen des Islamismus in aller Welt.
Bis 1982 schien es einzig und allein in der Kerbala-geprägten Kultur Irans möglich zu sein, dass eine Mutter beglückt Gratulationen aus Anlass der Zerfetzung ihres Sohnes entgegen nimmt. Zwanzig Jahre später ist dies auch in den Gebieten der Palästinenser eine kulturelle Norm. Mehr noch: Was immer Islamisten seither an militärischen Erfolgen zu verzeichnen haben: Israels Rückzug aus dem Libanon, die Räumung des Gazastreifens, die Zerstörung des südlichen Manhattan oder die Massaker-Serie im Irak - es wurde hauptsächlich mit der von Chomeini etablierten Waffe erzielt.
"Die Palästinenser sagen, dass sie ihr Volkserwachen von Imam Chomeini gelernt haben", schwärmte folgerichtig der Nachfolger Chomeinis, Ali Chamenei, "die Libanesen sagen, dass sie ihren Sieg über die Zionisten der Schule des Imam anrechnen. Die gesamte islamische Elite (...) führt ihre siegreichen Kämpfe auf der Grundlage der politischen Schule des Imam." Die Saat des Revolutionsführers geht auf. Sie ist mit Chomeinis Verbrechen - dem planmäßig herbeigeführten Tod von Hunderttausend muslimischen Kindern in den Wüsten des westlichen Iran - für immer kontaminiert. In jedem Selbstmordattentat sind Elemente jenes Ursprungsverbrechens enthalten: Erstens wurden die Bassidsch nicht in defensiver Absicht in den Tod gejagt. Zweitens fielen den Selbstmordwellen der Bassidsch ausschließlich Muslime zum Opfer. Drittens hatte Chomeini die Lust am eigenen Tod systematisch propagiert und damit Koran-Gebote verletzt.