Verdacht auf Vergiftung Der mysteriöse Fall des russischen Meisterspions
Die Bilder wirken, als kämen sie aus einem Krimi: Zwei Personen in gelben Ganzkörperanzügen reinigen den Ort, an dem kurz zuvor ein Mann und eine Frau bewusstlos aufgefunden wurden. Die britischen Behörden wollten am Tatort kein Risiko eingehen: Denn schon früh gibt es den Verdacht, dass die beiden vergiftet worden sein könnten.
Nur wenig später stellt sich heraus: Bei dem Mann handelt es sich um Sergej Skripal - einen ehemaligen Spion aus Russland. Die Frau soll seine Tochter Julia sein. Die beiden ringen im Krankenhaus mit dem Tod. Der Fall weckt Erinnerungen an die Ermordung des Kremlgegners Alexander Litwinenko, der 2006 mit radioaktiv verseuchtem Tee vergiftet worden war.
Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was ist über den Fall bisher bekannt?
Zwei Menschen wurden am Wochenende in der südenglischen Stadt Salisbury mit Verdacht auf Vergiftung durch eine "unbekannte Substanz" in ein Krankenhaus eingeliefert. Nach Polizeiangaben fand man sie bewusstlos auf einer Bank nahe einem Einkaufszentrum.
"Sie lehnte sich an ihn. Es schien, als ob sie bewusstlos war. Er hat dann komische Handbewegungen gemacht, und in den Himmel gestarrt", sagte eine Augenzeugin dem britischen "Guardian". Britische Medien berichteten danach übereinstimmend, es handele sich bei dem Mann um den 66-jährigen Sergej Skripal. Der ehemalige Spion aus Russland kam im Zuge eines Gefangenenaustauschs 2010 nach Großbritannien. Seine Begleiterin soll 33 Jahre alt sein.
In der Nacht zum Dienstag schloss die Polizei eine Pizzeria in Salisbury "als Vorsichtsmaßnahme". Zwei Polizisten, die sich am Tatort aufhielten, wurden am Dienstag ins Krankenhaus eingeliefert, weil sie über Augenjucken und Husten klagten.
Die Öffentlichkeit wurde gebeten, Verdachtsfälle bei plötzlicher Erkrankung umgehend zu melden.
Wer ist Sergej Skripal?
Skripal diente lange Zeit im russischen Militär. In den Neunzigerjahren wechselte er zum Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, kurz GRU, der Hauptverwaltung für Aufklärung. Er war im Militärnachrichtendienst dafür zuständig, neue Agenten anzuwerben, berichtet die BBC auf ihrer russischsprachigen Seite.
1995 wurde Skripal während einer Auslandsreise vom britischen Geheimdienst MI6 angeworben. Skripal wurde zum Doppelagenten, verfügte über brisante Infos, schließlich kannte er die Namen vieler russischen Agenten, die er selbst rekrutiert hatte. Damit war er eine wertvolle Quelle für die Briten und den Westen. Für seine Infos soll er vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 mehr als 70.000 Euro erhalten haben, schreibt der "Guardian".
Als Oberstleutnant zog er sich 1999 aus dem russischen Geheimdienst zurück. Skripal wechselte in leitender Funktion ins russische Außenministerium und versorgte die Briten weiter mit sensiblen Informationen. Fünf Jahre später nahm ihn der russische Inlandsgeheimdienst FSB fest, ein Militärgericht verurteilte ihn wegen Hochverrats zwei Jahre später zu 13 Jahren Lagerhaft. Schon während des Prozesses hieß es, er habe gesundheitliche Probleme. Welche das genau waren, ist nicht bekannt.
2010 kam Skripal frei. Moskau tauschte ihn und drei anderen Agenten aus, die USA entließen im Gegenzug zehn russische Spione, darunter auch Anna Chapman. Es war der größte Gefangenenaustausch seit dem Ende des Kalten Krieges.
Mit Blick auf den aktuellen Fall wirft der Tod seines Sohnes Fragen auf: Skripals Frau Ljudmila starb bereits 2012, sein Sohn überraschend im vergangenen Jahr, als er in Russland Urlaub machte. Die Todesursache ist nicht bekannt.
Wie ging es danach für Skripal weiter?
Skripal ließ sich in Großbritannien nieder. Britische Medien vermuten, dass der einstige Doppelagent danach eine neue Identität erhielt, unter anderem von Pensionszahlungen lebte.
Laut "Guardian" zeigen Einträge im Grundbuchamt aber, dass Skripal im August 2011 ein Haus für 260.000 britische Pfund erwarb - und dies auf seinen richtigen Namen registrieren ließ. Der Kauf erfolgte ohne Darlehen.
Wie die BBC berichtet, beriet der Ex-Agent auch weiterhin den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 und andere westliche Staaten, gab auch Vorlesungen beim MI6 und an der Militärakademie über den russischen Militärgeheimdienst.
Im aktuellen Fall sei es noch zu früh, auf eine Beteiligung Russlands zu schließen, sagte Igor Sutyagin dem "Guardian". Sutyagin kam ebenfalls im Zuge des Agentenaustauschs im Jahr 2010 nach Großbritannien.
Gibt es Hinweise, wie die beiden möglicherweise vergiftet wurden?
Wirklich sagen lässt sich das bisher noch nicht. Die Polizei sprach lediglich von einer "unbekannten Substanz".
Zwischenzeitlich wurde vermutet, dass das Schmerzmittel Fentanyl mit dem Fall zu tun haben könnte: Fentanyl ist ein synthetisches Opiod und sehr starkes Schmerzmittel, das bei Krebserkrankungen oder nach Operationen angewendet wird (mehr dazu lesen Sie hier). Es macht sehr schnell abhängig und ist um ein Vielfaches stärker als Morphin, weshalb es als schwer dosierbar gilt. Auch kleinere Dosen können eine tödliche Wirkung entfalten.
Gibt es Parallelen zum Fall Litwinenko?
Schnell wurden nach den ersten Meldungen Erinnerungen an die Ermordung des Kreml-Gegners Alexander Litwinenko im Jahr 2006 geweckt. Der ehemalige FSB-Agent und Kreml-Gegner war in London mit radioaktiv verseuchtem Tee vergiftet worden. Drei Wochen später starb er qualvoll. Die Bilder, wie er schwer atmend, mit kahlem Kopf und eingefallenem Gesicht im Krankenhausbett lag, gingen um die Welt.

Alexander Litwinenko: Warten auf Gerechtigkeit
Nach britischen Ermittlungen stecken frühere russische Geheimdienstler hinter dem Mord an dem abtrünnigen Exilanten.
Wie reagiert der Kreml?
Den Kreml wundert sich nicht über den Verdacht: "Das hat ja nicht lange auf sich warten lassen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau. "Sie wissen, wie er in der Westen kam, wir verfügen über keine Informationen, mit was er sich beschäftigte."
Weiter könne er den Fall aber nicht kommentieren, fügte er der Agentur Interfax zufolge hinzu. Russland bot zugleich aber seine Hilfe bei der Aufklärung des Falles an: Bislang sei jedoch keine solche Anfrage aus Großbritannien eingegangen, sagte Peskow.