Showdown in Florida Giuliani verschmort im Sonnenstaat

Alles oder nichts: Rudy Giuliani hat die bisherigen Vorwahlen der Republikaner ausgelassen - in dieser Nacht nun soll ihn ein Sieg in Florida an die Spitze der Bewerber katapultieren. Doch der Ex-Bürgermeister von New York hat sich womöglich verzockt. Hat er noch eine Chance gegen McCain und Romney?

Port Saint Lucie - Sie nennen es Floridas "Treasure Coast", die "Schatzküste": Eine 150 Kilometer lange Kette aus Strandstädtchen am Atlantik, von Palm Beach im Süden bis Jupiter im Norden. "Schatzküste", weil hier im 17. und 18. Jahrhundert Dutzende Galeonen der spanischen Armada versanken, beladen mit Gold, Silber und Münzen. Heute noch heben Taucher aus den Wracks Wertvolles zutage.

Rudy Giuliani ist an Floridas "Schatzküste" gekommen, um nach anderen Schätzen zu suchen. "Ich brauche eure Stimme, eure Unterstützung", krächzt er. "Am Dienstag kommt alles auf die Wahlbeteiligung an."

Gut 200 Schaulustige drängeln sich im Innenhof der Pizzeria "Paisano's", um New Yorks Ex-Bürgermeister zu beäugen, der sich gerade den Speichel von den Lippen wischt. Einige skandieren wacker: "Ru-dy! Ru-dy!" Die Restaurantgäste senken irritiert das Besteck.

"Paisano's" liegt, wie so vieles in Giulianis Wahlkampf, an einer Schnellstraße, im Retorten-Ort Port Saint Lucie. Giuliani rollt im Charterbus an, mit einer forschen Proklamation auf der Seite: "Florida ist Rudy-Land." Bevor der Bewerber aus dem Bus steigt, legt er sein schwarzes Bestatter-Sakko ab, lockert aber weder Krawatte noch Hemdsärmel.

Sofort stürzt schluchzend eine Frau auf ihn zu, assistiert von Giulianis PR-Team, das die Szene arrangiert hat. Die Frau packt Giuliani mit beiden Händen, redet auf ihn ein, überreicht ihm eine Geschenktüte. Giuliani küsst sie. Die Dame, berichtet er, sei aus New York und habe am 11. September 2001 einen Sohn verloren.

"Die Leute kennen den wahren Rudy nicht"

Wenige Meter weiter steht Jimmy Riches und kämpft aus anderem Grund mit den Tränen. Der 56-jährige Ex-Feuerwehrmann, ebenfalls aus New York, zeigt ein Foto seines Sohnes vor, der wie er Jimmy hieß und auch an 9/11 starb. "Giuliani trägt die Mitschuld", sagt Riches. Er sei für die schlechte Ausrüstung der Feuerwehrmänner verantwortlich gewesen. "Von wegen Held", schnaubt Riches, der Giuliani mit gut einem Dutzend Kameraden bei jedem Termin auflauert, Protestplakate im Anschlag. "Die Leute kennen den wahren Rudy nicht."

Doch nun lernen sie ihn auch hier in Florida langsam kennen, wo heute die nächsten Vorwahlen stattfinden und es für Giuliani um alles geht. Leider scheint sich dabei, wie auch die zwiespältige Episode in Port Saint Lucie zeigt, ein alter New Yorker Spott zu bewahrheiten: "Je mehr Zeit er hier verbringt", schreibt Kolumnistin Beth Reinhard im "Miami Herald", "desto weniger mögen ihn die Leute."

Das liegt nicht nur an den unschmeichelhaften Berichten über seine Vergangenheit, die nun selbst bis nach Florida durchgesickert sind. Auch hat der Republikaner die bisherigen Vorwahlen ausgesessen und ist lieber 56 Tage am Stück nur durch Florida getingelt, jenen Staat, in dem sich Präsidentschaftswahlen entscheiden, aber Wahlcomputer auch schon mal rückwärts zählen. Giulianis Strategie: sich durch einen Sieg hier als unschlagbarer Kandidat für das weitere Rennen zu profilieren.

Eine riskante Strategie, die nicht aufging: Während die Rivalen anderswo Schlagzeilen machten, schmorte Giuliani im "Sunshine State", ohne dass ihn noch einer groß beachtete. Sein Wahlkampfhit 9/11 wurde zum Oldie von vorgestern, er selbst schrumpfte vom Spitzenreiter der Prognosen zur Fußnote.

30 Millionen für Wahlwerbung

Nicht nur in nationalen Umfragen ist Giuliani inzwischen auf den dritten Platz abgerutscht, sondern auch in Florida, dem "Rudy-Land". Er hat deshalb mehr als 30 Millionen Dollar in Wahlwerbung investiert - wenn er jetzt nicht punktet, kann er seine Präsidentschaftskandidatur begraben.

Was besagten Spruch bestätigt, Giuliani sei besser aus der Distanz zu genießen. Denn er hämmert den Floridianern seine Anekdötchen seit Wochen ein. Vom 11. September, von der Mördergrube New York, davon, wie er Jassir Arafat aus dem Lincoln Center warf. Er betet diese Uralt-Storys überall herunter, in Synagogen, Seniorenheimen, Surfshops, wo immer ihm Zuhörer in die Quere kommen. Viele entpuppen sich als New Yorker im Exil - "snowbirds", Zugvögel auf der Flucht vor dem Winter wie er.

Dann flogen über Nacht die Rivalen ein - und plötzlich reden alle nur noch von Mitt Romney und John McCain, die das Feld Kopf an Kopf anführen und Giuliani eiskalt ignorieren. Selbst Gouverneur Charlie Crist hat sich jetzt auf McCains Seite geschlagen. "Rudy ist abgestürzt wie der Dow-Jones-Index", spottet Bill Adair, ein Redakteur bei der "St. Petersburg Times".

Warum, das lässt sich in Port Saint Lucie gut beobachten. Die kleine Schar im "Paisano's" ist enthusiastisch, doch nicht zu vergleichen mit den Menschenmengen, die zu den anderen Kandidaten pilgern. Viele tragen Baseballkappen mit den Logos der New York Yankees und des New York Police Department; man fühlt sich wie in Brooklyn. "Guardian Angels" haben sich breitbeinig aufgebaut, jene Zivilgarde mit roten Baretts, die einst am Times Square für Ordnung sorgten. Auch wird Giuliani nicht von einem Mann aus Florida vorgestellt, sondern vom blassen New Yorker Kongressabgeordneten Peter King. Das Lokalkolorit ist importiert.

Wo ist der Elan von Giuliani geblieben?

Giuliani hastet grimmig durch sein Repertoire: "Ich habe die meiste Erfahrung bei der Bewältigung von Krisen", lautet sein allein auf 9/11 fundierter Anspruch. Er sei der einzige, der die USA "in der Offensive" halten werde, ein Rezept gegen illegale Einwanderer habe, die "größte Steuerkürzung in der Geschichte" garantiere. Dazu zieht Giuliani stets ein Blatt Papier aus der Tasche: "Eine Seite!" So einfach wäre eine Steuererklärung unter einem Präsidenten Giuliani.

Appelle vor dem italienischen Exilantenclub

Man fragt sich, warum dieser Mann als Redner Millionen gezahlt bekommt. Kalkweiß ist der Bewerber, als habe er sich in Florida nur im Schatten bewegt, er wirkt müde und lustlos. Keine Spur von dem Elan, mit dem er noch im Oktober den Landesparteitag zu Jubelstürmen trieb.

Dabei hat der Tag so schön begonnen. Am Morgen ist Giuliani Ehrengast in der jüdisch-orthodoxen Synagoge von Boca Raton. Rund 500 Gemeindemitglieder kommen in die helle Rotunda, viele mit "Rudy"-Aufklebern auf dem Sommerhemd. Hinter der Bima, dem Lesepult, prangen das Sternenbanner und die israelische Flagge. Gemeindepräsident Jonathan Marriott nennt Giuliani einen "wahren amerikanischen Helden". Rabbi Ovi Jacob lobt seine "moralische Klarheit". Giuliani, eine Kippa auf dem Haupt, lobt erst "diese absolut wunderschöne Synagoge" und dann sich selbst - für "meine langjährige Beziehung, wie Sie wissen, zum Volke Israel".

Danach aber erleidet seine Tagestour entlang der Schatzküste ähnlichen Schiffbruch wie sein gesamter Wahlkampf in Florida: Sie beginnt unter vollen Segeln - und steckt bald im Treibsand fest.

In Port Saint Lucie verbringt Giuliani keine halbe Stunde. In Vero Beach klingen seine Appelle vor einem italienischen Exilantenclub fast drohend ("Ihr müsst vier, fünf weitere Leute bewegen, für mich zu stimmen!"); Spaghetti-Duft wabert aus der Küche. Im bastgeschmückten Ron Jon Surf Shop in Cocoa Beach hetzt er in nur zehn Minuten durch seine "talking points", und ein Verkäufer macht klar, dass man hier keinen Kandidaten bevorzuge.

"Die Rache der Mumie"

Und so geht der Endspurt dieses Vorwahlkampfs gänzlich an Giuliani vorbei. Der besteht hauptsächlich darin, dass Romney und McCain ihr Duell auf die Spitze treiben, indem sie sich als "linksliberal" beschimpfen. Denn der Sieger hier bekommt auf dem Weg zur Parteitagskür alle 57 Florida-Delegierten zugesprochen, während der Zweite leer ausgeht - jeder Prozentpunkt zählt also.

Selbst bei den Demokraten, die Florida offiziell überspringen, herrscht mehr Treiben als im Windschatten von Giulianis Monsterbus. Und das will etwas heißen: Die demokratische Partei hat Floridas Stimmen für ungültig erklärt, weil es seinen Vorwahltermin eigenmächtig vorverlegt hatte, und daraufhin hatten die Kandidaten öffentlichen Auftritten hier eigentlich abgeschworen.

Hillary Clinton ließ es sich am Wochenende trotzdem nicht nehmen, zu zwei Fundraising-Events in Miami Beach zu erscheinen und den Fotografen zuzuwinken. Heute Abend dann wird sie bei Fort Lauderdale eine Wahlparty geben, um vor den TV-Kameras ihren "Sieg" in dieser Nicht-Wahl zu proklamieren.

Auch Giuliani glaubt weiter an den Sieg - wer verlässt sich schon noch auf Umfragen, vor allem hier in Florida. Seine Wahlparty findet in einem pseudo-italienischen Luxushotel im Universal-Vergnügungspark in Orlando statt. Eine der Attraktionen: "Die Rache der Mumie".

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