Israelische Menschenrechtsgruppen Die Geächteten

Eine Ausstellung von Breaking the Silence in Tel Aviv
Foto: MENAHEM KAHANA/ AFPIn Jerusalem scheint die Sonne, die Temperaturen liegen bei mehr als 20 Grad - der Frühling ist endgültig da. Doch die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sind eisig. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat ein für den Abend geplantes Treffen mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel abgesagt.
Der Grund: Gabriel wollte sich auf seiner Nahostreise mit Vertretern zweier israelischer Menschenrechtsorganisationen treffen, die Israels Besatzungspolitik kritisieren. Netanyahu hatte bereits am Montag signalisiert, den gemeinsamen Termin platzen zu lassen, sollte der SPD-Politiker darauf beharren, die Aktivisten von B'Tselem und Breaking the Silence zu treffen. Nun der Eklat. Wer sind diese Gruppen - und warum bringen sie Benjamin Netanyahu so in Rage?
Die Soldaten von Breaking the Silence sollen schweigen
In Israel werden Soldaten gewöhnlich als "Salz der Erde" bezeichnet, als besonders wertvolle Menschen. Mit einer Ausnahme: Die Wehrpflichtigen und Reservisten, die sich bei Breaking the Silence engagieren. Sie gelten vielen zwischen Mittelmeer und Jordan als Nestbeschmutzer, die Unwahrheiten verbreiten. Rechtsgerichtete Politiker werfen ihnen immer wieder öffentlich vor, Israel zu verraten.
Der Grund: Die im Zuge der Zweiten Intifada vor 13 Jahren gegründete Gruppe will sowohl Israels Besatzung über die Palästinenser beenden, als auch die eigene Bevölkerung auf die Missstände in Ostjerusalem, im Westjordanland und im Gazastreifen aufmerksam machen.
Zu diesem Zweck veröffentlichen die Aktivisten regelmäßig anonymisierte Berichte von Soldaten, die ihren Militärdienst in den palästinensischen Gebieten geleistet haben und die Besatzungspolitik der Armee kritisieren.
Außerdem bietet Breaking the Silence Führungen durch die besonders umstrittene Stadt Hebron im Westjordanland an. Dort kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen der palästinensischen Bevölkerung und den nationalreligiösen Siedlern sowie der israelischen Armee.
Die Organisation finanziert sich nach eigenen Angaben durch Privatspenden, aber auch mit Geldern von staatlichen Stiftungen aus dem Ausland. Breaking the Silence ist nicht zuletzt deshalb in Israel umstritten, da sie durch ihre englischsprachigen Berichte den auf Hebräisch geführten innerisraelischen Diskurs über die seit einem halben Jahrhundert andauernde Besatzung in einen globalen verwandeln. Das führe, so die Kritiker, zu einer Dämonisierung Israels im Ausland.

Einsatz in den besetzten Gebieten: Israelische Soldaten brechen ihr Schweigen
Mit dem gleichen Vorwurf sieht sich B'Tselem konfrontiert. Die bereits 1989 während der Ersten Intifada gegründete Gruppe dokumentiert Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten. Damit will sie die Palästinapolitik der israelischen Regierungen ändern.
Der hebräische Name "B'Tselem" bedeutet "Ebenbild" und bezieht sich auf den biblischen Schöpfungsbericht, demzufolge Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Daraus ableitend und im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mahnt B'Tselem die Würde und Gleichheit aller Menschen im Land an - Palästinenser wie Israelis.
B'Tselem brachte den Fall Azaria an die Öffentlichkeit
Zu den Unterstützern der Gruppe mit Sitz in Jerusalem zählen neben staatlichen und privaten Spendern aus dem In- und Ausland auch die wichtigsten Schriftsteller Israels: Amos Oz, David Grossman und A.B. Yehoshua. Bei ihrer Arbeit greifen die Aktivisten auch auf Videoaufnahmen und Fotos von Palästinensern zurück.
Zuletzt sorgte B'Tselem im März 2016 für Aufregung in Israel: Die Organisation veröffentlichte damals ein Video, das den israelischen Soldaten Elor Azaria dabei zeigt, wie er einen palästinensischen Attentäter in Hebron mit einem Kopfschuss tötet, obwohl der bereits kampfunfähig am Boden lag.
Der Fall löste eine hitzige Debatte über die Besatzungspolitik aus, auch aufgrund des milden Urteils. Der Soldat wurde im Februar dieses Jahres zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt.
Mit ihren Aktionen und Veröffentlichungen sind linke Menschenrechtsgruppen wie Breaking the Silence oder B'Tselem der rechtsgerichteten Regierung von Ministerpräsident Netanyahu seit Langem ein Dorn im Auge.
Ein Gesetz als Stigma
Deshalb brachte sie im Sommer vergangenen Jahres das sogenannte Transparenzgesetz in die Knesset ein, das von einer knappen Mehrheit der Parlamentarier verabschiedet wurde.
Die Folge: Alle israelischen NGOs, die mehr als die Hälfte ihres Geldes von ausländischen Regierungen erhalten, müssen dies seither in ihren Veröffentlichungen ausweisen. Außerdem müssen Vertreter dieser Gruppen bei Besuchen in der Knesset spezielle Schilder an der Kleidung tragen, die sie als solche im Parlament ausweisen.
Allein: Für mehr Transparenz sorgt dieses Gesetz nur in eine politische Richtung. Denn rechtsgerichtete Gruppen in Israel finanzieren sich häufig nicht über Zuwendungen anderer Staaten oder durch EU-Mittel, sondern durch Privatspenden reicher Gönner aus dem In- und Ausland - und die sind von dem Gesetz ausgenommen.
Der Eklat um Gabriels Besuch belegt die brenzlige Lage der linken Menschenrechtsorganisationen in Israel. Sie werden in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens zunehmend diskreditiert und delegitimiert.