Sloweniens EU-Präsidentschaft "Unsere Demokratie ist noch nicht perfekt"
SPIEGEL ONLINE: Als erstes Beitrittsland leitet das kleine Slowenien in dieser Woche einen EU-Gipfel. Stehen Sie unter strenger Beobachtung?
Türk: Es ist sicher ein historisches Ereignis, wir sind stolz und unser Ehrgeiz ist groß. Die EU muss beweisen, dass Alt- und Neumitglieder gleich behandelt werden. Wir sind zwar erst vor vier Jahren beigetreten, aber wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.
SPIEGEL ONLINE: Die Mehrheit der Europäer weiß vielleicht nicht einmal genau, wo Slowenien liegt. Werden Sie von Schwergewichten wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland überhaupt ernst genommen auf dem EU-Chefsessel?
Türk: Der ist geradezu geschaffen für kleine Länder wie uns. Die gelten als offener und effektiver darin, alle zusammenzubringen. Luxemburg hat das während des ersten Irakkriegs eindrucksvoll bewiesen. Im Übrigen: All diejenigen, die Schwächen in Geografie haben, sollten die europäische Landkarte besser studieren.
SPIEGEL ONLINE: Viele Bürger im alten Europa fürchteten sich nach der Erweiterung vor der Billig-Konkurrenz aus dem Osten. Wie ist das jetzt?
Türk: Anfänglich gab es in den alten Mitgliedstaaten Angst und Nervosität, beides verschwindet allmählich. Die Fakten sprechen ja auch für uns: Die EU hat durch die neuen Mitglieder im Vergleich zu anderen Weltregionen an Wirtschaftskraft gewonnen. Die Erweiterung ist ein profitables Projekt - und zwar für alle.
SPIEGEL ONLINE: Wirtschaftlich gilt Ihr Land als Musterschüler. In Sachen Demokratie aber brauchen Sie womöglich noch Nachhilfe. Nach der Unabhängigkeit Sloweniens wurden 18.000 Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien einfach aus dem Melderegister gestrichen. Sie besitzen seither kein Aufenthaltsrecht mehr.
Türk: Das war in der Tat Unrecht und wir müssen das Problem lösen, das hat unser Verfassungsgericht klargestellt. Nun ist es Aufgabe der Regierung, dies umzusetzen.
SPIEGEL ONLINE: Viele slowenische Journalisten klagen über Zensur.
Türk: Wir holen nach, was sich in Westeuropa seit Jahrzehnten entwickelt hat. Wir diskutieren, welche Rolle die Medien in einer pluralistischen Demokratie spielen. Es ist richtig, dass Journalisten bei uns gewissem Druck ausgesetzt sind - durch die Eigentümer der Medienhäuser, durch die Politik ...
SPIEGEL ONLINE: ... vor allem durch die Regierung, die kritische Journalisten wegen Rufschädigung vor Gericht zerren will.
Türk: Ich bin anderer Meinung als die Regierung. Wir brauchen diese Diskussionen, um Standards für den Umgang mit einer freien Presse zu entwickeln. Das ist wichtig für unsere Demokratie, die noch nicht perfekt ist. Wir stehen erst am Anfang.
SPIEGEL ONLINE: Ihre wichtigste Aufgabe in der EU-Ratspräsidentschaft ist es, das Kosovo-Problem zu entschärfen. Was wollen Sie tun?
Türk: Die jetzt vom Kosovo erklärte und auch von uns anerkannte "kontrollierte Unabhängigkeit" ist ein erster Schritt zum Besseren. Die internationale Gemeinschaft muss weiterhin die Sicherheit im Kosovo gewährleisten und helfen, staatliche Institutionen und einen Rechtstaat aufzubauen. Beides gibt es dort noch nicht. Außerdem ist das Kosovo dringend auf Investitionen angewiesen, sonst kommt die Wirtschaft dort nicht in Schwung. Heute werden weite Bereiche von Produktion, Handel und Dienstleistungen in der Schattenwirtschaft, in Grauzonen abgewickelt.
SPIEGEL ONLINE: Wie lange wird es dauern, bis eine Besserung abzusehen ist?
Türk: Das ist wahrscheinlich ein Job für Jahrzehnte. Die ethnischen, religiösen und sonstigen Probleme rund um das Kosovo gibt es seit über einem Jahrhundert. Selbst in den Zeiten, als die Provinz Teil der sozialistischen Republik Jugoslawien war und sehr viel Geld aus Belgrad bekam, wurden die Probleme dort nur unter Kontrolle gehalten. Auch in den nächsten Jahren, womöglich Jahrzehnten, wird die internationale Gemeinschaft nicht viel mehr tun können, als die Krisenregion zu stabilisieren, ehe sich dauerhafte Lösungen abzeichnen.
SPIEGEL ONLINE: Die Hauptlast dieses Jahrhundertwerks soll die EU tragen. Aber die 27 Mitgliedstaaten sind sich herzlich uneinig. Ist Europa überhaupt handlungsfähig?
Türk: Eine breite Mehrheit der EU-Staaten ist für ein unabhängiges Kosovo, dem man helfen muss. Nur ein paar Staaten sind noch dagegen, aber das wird sich, meine ich, in den nächsten Monaten erledigen.
SPIEGEL ONLINE: Um Stabilität zu schaffen, verheißt Brüssel dem gesamten Balkan eine "europäische Perspektive". Steht eine neue Erweiterungsrunde bevor, die den Balkan en bloc umfasst?
Türk: Nein, die Annäherung der Region an Europa kann nur Schritt für Schritt erfolgen. Dabei muss jedes Land die Bedingungen für eine Mitgliedschaft individuell erfüllen. Das wird manchem schneller gelingen als anderen. Die Serben etwa müssen sich noch klar werden, ob und zu welchem Preis sie das überhaupt wollen.
SPIEGEL ONLINE: Was ist mit den Serben im Norden des Kosovo, die jetzt über Nacht in einem fremden, von Albanern dominierten Staat leben. Müssen die das akzeptieren?
Türk: Ich hoffe, sie tun das.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn nicht?
Türk: Dann muss man ihnen erneut die Ursachen der heutigen Situation klar machen. Die Staatswerdung des Kosovo kam nicht überraschend: Der serbische Völkermord an bosnischen Muslimen in Srebrenica und der Versuch einer ethnischen Säuberung im Kosovo hat die Legitimität der serbischen Forderungen wesentlich geschwächt.
SPIEGEL ONLINE: Einen Monat länger als in der EU ist Slowenien bereits in der Nato. Welche Mitgliedschaft ist denn wichtiger?
Türk: Das ist für mich keine Frage des Entweder-Oder. Viele Länder in Europa sehen die Nato als Garant für die eigene Sicherheit und Unabhängigkeit.
SPIEGEL ONLINE: Und die EU
Türk: ist wichtig für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Aber ohne Sicherheit bringt wirtschaftlich-sozialer Fortschritt nichts. Deshalb ist der Schutz unter dem Dach der Nato für viele Länder von grundlegender Bedeutung.
Das Interview führten Marion Kraske und Hans-Jürgen Schlamp