"Guardian" unter Druck der Geheimdienste Schikane gegen die Enthüller

"Guardian"-Zentrale in London: "Ihr hattet euren Spaß. Nun wollen wir das Zeug zurück"
Foto: Peter Macdiarmid/ Getty ImagesAlan Rusbridger ist keines dieser journalistischen Alphatiere, die noch in vielen Redaktionen leben. Seit 1995 ist er Chefredakteur des linksliberalen "Guardian", ein leiser, behutsamer Mann, der sich gerne ans Klavier setzt und Chopin-Balladen spielt, vor kurzem hat er sogar ein Buch darüber geschrieben. Rusbridger kann zuhören, schon das ist unter Journalisten weniger verbreitet, als man vermuten würde. Er leidet auch nicht unter der Branchenkrankheit, andauernd laut seine Meinung äußern zu müssen.
Sein Text in der Dienstagsausgabe des "Guardian" beginnt im üblichen Rusbridger-Plauderton, sehr gemächlich, er enthält aber Ungeheuerliches . Demnach hat der britische Geheimdienst GCHQ die Redaktion unverhohlen dazu aufgefordert, Festplatten mit sensiblen Informationen entweder herauszugeben oder zu zerstören. Die Datenträger standen im Zusammenhang mit Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Rusbridger wollte sie nicht herausgeben. Daraufhin seien zwei Geheimdienstleute in die Redaktion gekommen und hätten im Keller des Gebäudes die Zerstörung der Festplatten beaufsichtigt, schreibt der Chefredakteur.
Für Premierminister David Cameron und seine Regierung ist diese Geschichte, wenn sie sich so zugetragen hat, mehr als nur peinlich. Im Land fragt man sich nun, wie leichtfertig und dumm ein Geheimdienst eigentlich sein kann. Wissen die Spione nicht, dass sich Festplatten kopieren lassen? Ist ihnen nicht klar, dass man zwar ein MacBook zerstören kann, aber damit keinen unliebsamen Zeitungsartikel verhindern wird? Konnten sie nicht ahnen, dass die Aktion irgendwann ans Licht gelangt?
Es ist kein Zufall, dass Rusbridger sich gerade jetzt an diese Episode erinnert. Denn seit Sonntag müssen sich die britischen Sicherheitsbehörden dafür rechtfertigen, weshalb sie den Lebensgefährten des US-Journalisten Glenn Greenwald stundenlang in London festhielten. Greenwald ist der Mann, der für den "Guardian" Anfang Juni den Spähskandal um den amerikanischen Geheimdienst NSA losgetreten hatte. Sein Partner David Miranda war am Wochenende auf dem Weg nach Rio de Janeiro, als er von Polizisten am Flughafen Heathrow festgehalten wurde. Neun Stunden lang wurde er von Agenten befragt. Sie hätten ihn bedroht und eingeschüchtert, um an die Passwörter seines Computers und Telefons zu gelangen, berichtete Miranda dem "Guardian": "Sie sagten, ich würde im Gefängnis landen, wenn ich nicht kooperieren würde." Inzwischen ist er in Rio de Janeiro angekommen.
Beide Fälle werfen ein ungutes Licht auf Großbritannien und die Regierung, die seit Wochen hofft, dass die Snowden-Affäre endlich abebbt. Es ist ein Staat zu beobachten, der auf die Enthüllungen der vergangenen Monate zunehmend gereizt reagiert und zugleich immer unsicherer wird, wo die Grenzen für einen Geheimdienst verlaufen. Es ist ein verwirrter Apparat, der da unter immer größeren Druck gerät, Fehler macht und sich dadurch entblößt. Ein Angst-und-Panik-Staat.
Im Dienste des Premierministers
Es fing bereits vor zwei Monaten an, als der "Guardian"-Chef von einem "hochrangigen Regierungsmitarbeiter" kontaktiert wurde. Der Mann habe erklärt, er vertrete die Interessen des Premierministers, schreibt Rusbridger in seinem Artikel. Bei zwei nachfolgenden Treffen habe er die Herausgabe oder Zerstörung des Materials gefordert, das dem "Guardian" von Snowden zugespielt wurde.

"Guardian"-Chef Rusbridger: Ungeheuerliches berichtet
Foto: Kerim Okten/ dpaVor vier Wochen wurde der Ton härter. Ein Anrufer der Regierung habe am Telefon gesagt: "Ihr hattet euren Spaß. Jetzt wollen wir das Zeug zurück."
Rusbridger stellt den Verlauf der Gespräche als leidlich getarnte Erpressung dar: Die Redaktion habe die Wahl, das Material herauszurücken oder zu zerstören - oder die Regierung ziehe vor Gericht. Aus Sicht der Behörden hätte eine gute Chance bestanden, dass sich ein Richter des Materials annimmt. Womöglich hätte der "Guardian" im Zuge eines Verfahrens sogar Strafzahlungen leisten müssen, schreibt Rusbridger. Aus seiner Sicht war es daher einfacher und billiger, die Festplatten im Redaktionskeller unter den Augen des Geheimdienstes zu zertrümmern - "einer der etwas bizarreren Momente in der langen Geschichte des 'Guardian'".
Rusbridger erklärte den Geheimdienstleuten eigenen Angaben zufolge, man könne die Recherchen zum Überwachungsskandal ohne Probleme in die USA verlagern, wo die Pressefreiheit über den ersten Zusatzartikel zur Verfassung besser abgesichert ist. Es ist anzunehmen, dass Kopien der Daten existierten, bevor die Festplatten unbrauchbar gemacht wurden.
Aus Sicht des "Guardian" war die Festsetzung von Greenwalds Lebensgefährten ein besonders perfider und unverhältnismäßiger Angriff. David Miranda ist kein Journalist, sondern ein Bote. Er hilft Greenwald bei Recherchen. Am Wochenende sollte er aus Berlin Informationsmaterial nach Brasilien schaffen, wo er gemeinsam mit Greenwald lebt. Handys, Laptop, Festplatten und eine Kamera hat der Geheimdienst behalten.
Für die britische Regierung kann die Festplatten-Affäre unangenehme Folgen haben. Denn in den vergangenen Wochen schauten große Teile der Öffentlichkeit eher gleichgültig auf die weiteren Enthüllungen. Die meisten Politiker schwiegen, die Opposition verhielt sich apathisch. Auch andere Zeitungen sprachen von Panikmache, eine Prise Missgunst gegenüber dem "Guardian" und dessen klavierspielendem Chefredakteur war vermutlich mit dabei. Selbst Berichte, wonach der britische Geheimdienst GCHQ versuche, das gesamte Internet zu überwachen, ließen viele Menschen kalt. Im Fernsehen sagte der britische Außenminister, niemand habe etwas zu befürchten, der sich an Recht und Gesetz halte. Offenbar beruhigte das die Briten, jedenfalls bis jetzt.