Sozialdebatte in Israel
Opposition fordert neue Gesellschaftsordnung
Israels Parlament hat die Sommerpause für eine Sondersitzung zu den historischen Massenprotesten unterbrochen. Die Opposition forderte soziale Gerechtigkeit - Vertreter der Regierung halten das für Opportunismus, Premier Netanjahu erschien erst gar nicht. Vor der Knesset kam es zu Krawallen.
Proteste in Jerusalem: Vor der Knesset demonstrieren Hunderte
Foto: Abir Sultan/ dpa
Jerusalem - Bei einer Sondersitzung des Parlaments zu den Massenprotesten hat die israelische Opposition die Regierung scharf angegriffen. Für die Debatte unterbrachen viele Abgeordnete ihre Sommerpause, Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu und die meisten Abgeordnete der Regierungskoalition blieben der Debatte jedoch fern.
"Die Straße hat die Probleme aufgezeigt, und wir müssen für die Zukunft unserer Kinder und die dafür notwendigen Mittel kämpfen, denn es gibt keine soziale Gerechtigkeit in Israel", sagte Oppositionsführerin Zipi Livni. Die jugendlichen Protestler "haben das Recht, hier würdig zu leben, anstatt aus Resignation und aus Mangel an Hoffnung ins Ausland zu gehen".
Vertreter der Regierung warfen der Opposition vor, auf den Protestzug aufspringen zu wollen. Seit Mitte Juli protestieren Hunderttausende Israelis gegen hohe Mieten und Lebenshaltungskosten.
Netanjahu hatte unter dem Druck der Proteste angekündigt, soziale und wirtschaftliche Reformen durchzusetzen. Er versprach "konkrete Lösungen", doch gleichzeitig warnte er davor, in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche neue Schulden zu machen. "Es ist klar, dass die Israelis Mühe haben, über die Runden zu kommen, und dass die Ungleichheit wächst", sagte Netanjahu. Es bedürfe eines "authentischen Wandels", allerdings müsse die Regierung versuchen, einen ausgeglichenen Haushalt zu wahren.
"Reiches Land mit armen Bürgern"
Während der Parlamentsdebatte versammelten sich rund 500 zumeist junge Israelis mit schwarzen Fahnen mit der Aufschrift "Israel 2011: Ein reiches Land mit armen Bürgern" vor dem Parlament. Als der Protestmarsch die Knesset erreichte, stürmten die Demonstranten auf den Eingang zu. Die Polizei verhinderte aber, dass sie in das Gebäude eindrangen, und nahm zwei Menschen fest.
Die Proteste hatten Mitte Juli begonnen, als Aktivisten auf einer Straße in Tel Aviv ihre Zelte aufschlugen, um gegen die hohen Mieten und Lebenshaltungskosten zu protestieren. Die Demonstrationen erreichten am 6. August einen Höhepunkt,
als landesweit 250.000 Menschen gegen die Lebenshaltungskosten und soziale Ungleichheit auf die Straße gingen. Es war die größte Demonstration in der Geschichte des Landes.
Umfragen zufolge unterstützen mehr als 80 Prozent der Israelis die Forderungen der Protestbewegung. Am vergangenen Wochenende gingen erneut Zehntausende Demonstranten in mehreren Städten des Landes auf die Straße. Die Veranstalter sprachen von landesweit 100.000 Teilnehmern, die Polizei gab ihre Zahl mit 50.000 an.