Regierungswechsel in Spanien Belebendes Chaos

Unter Mariano Rajoy war Spanien politisch erstarrt: Nichts ging mehr voran mit dem skandalumwitterten Konservativen. Sein Nachfolger, der Sozialist Pedro Sánchez, hat eine Chance verdient - und Europa muss vor ihm keine Angst haben.
Pedro Sanchez

Pedro Sanchez

Foto: PIERRE-PHILIPPE MARCOU/ AFP

Mariano Rajoy ist ein begnadeter Aussitzer. Nun hat der Konservative von der Volkspartei, der seit Ende 2011 die spanische Regierung führte, auch noch das Misstrauensvotum ausgesessen, das der Sozialist Pedro Sánchez gegen ihn anführte. Der PP-Chef bleibt vorest im Parlament zu Madrid - aber nun als Führer der stärksten Oppositionsfraktion. Denn 180 der 350 Abgeordneten haben ihn abgewählt und so Sánchez zum neuen Ministerpräsidenten gemacht.

Mit dem Sturz hatte wohl bis gestern kein Volksparteiminister, hatte auch Rajoy nicht gerechnet. Bislang unterstützten die liberale Bürgerpartei Ciudadanos und die Baskischen Nationalpartei PNV sein Minderheitenkabinett. Doch das unverantwortliche Aussitzen des Notars aus Galicien, selbst nachdem ein Gerichtsurteil ein System von Bestechung in seiner Partei für erwiesen erklärte, stimmte die Basken um.

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Nun beklagen die unterlegenen Konservativen und ihnen nahe stehende politische Kommentatoren, eine Koalition à la "Frankenstein" übernehme die Macht in Spanien und gefährde die Stabilität des Landes. Sánchez ist mit nur 84 Abgeordneten auf Unterstützung anderer Fraktionen angewiesen, will er Gesetze verabschieden. Den wirschaftsliberalen Basken hat der Hochschullehrer für Ökonomie deshalb zugesagt, er werde den Haushaltsplan für 2018, den sie gerade mit Rajoys PP und Ciudadanos verabschiedet hatten, nicht antasten. Den Linken von der Protestbewegung Podemos versprach Sánchez die Aufkündigung der am meisten verhassten Regeln der strengen Arbeitsmarktreform und des sogenannten Maulkorbgesetzes, mit dem Rajoy die Meinungsfreiheit eingeschränkt hatte. Und den Katalanen kündigte er Gespräche an, damit dort die Blockade nach dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum aufgebrochen wird, das Rajoy nicht durch rechtzeitiges Verhandeln verhindert hatte.

Es könnte selbst für den Meister der Flexibilität sehr schwierig werden, all diese unterschiedlichen Interessen zusammenzubringen. Debatten könnten nötig werden, wie sie das spanische Parlament in den früheren Zeiten absoluter Mehrheiten der Volkspartei oder der Sozialisten nicht kannte. Statt den Gegner einfach abzuqualifizieren, wird man künftig mit Argumenten um Einigung fechten müssen. Dass Sánchez dazu in der Lage ist, hat sein versöhnlicher Auftritt jetzt gezeigt.

Denn Demokratie kann man nicht aussitzen. Die Stabilität, die er vermeintlich garantierte, hat Rajoy verkommen lassen zur Erstarrung. Selbst in seiner Partei duldet er keinen Widerspruch. Bei ihm laufen alle Machtfäden zusammen, er ist mit Bankern auf Du und mit hohen Richtern. Doch seine Partei und er selbst, der in der PP seit mehr als drei Jahrzehnten führende Positionen innehat, ist so schwer belastet mit Skandalen um Bestechung, dass selbst ein Fortbestand der konservativen Regierung nicht länger gesicherte politische Verhältnisse in Spanien garantiert hätte: In den kommenden Monaten werden in 30 weiteren Korruptionsprozessen Verurteilungen von Konservativen erwartet.

Spaniens politische Landschaft wird sich verändern. Doch es gibt Hoffnung, dass etwas mehr Chaos die eingerostete Demokratie belebt, rechtzeitig zum 40. Jubiläum der Verfassung nach dem Ende der Franco-Diktatur.

Die Märkte können ruhig bleiben

Vor etwas mehr als zwei Jahren hatte Pedro Sánchez schon einmal dem Madrider Parlament sein Regierungsprogramm vorgeschlagen. Das hatte er mit der liberalen Bürgerpartei abgestimmt. Damals verweigerte ihm der Chef der Linkspopulisten die nötigen Stimmen aus dem Kalkül, er könnte mit Podemos bei Neuwahlen die Sozialisten schlagen. Wer weiß, was sich Spanien, was sich die Katalanen erspart hätten, wäre schon im Frühjahr 2016 Sánchez mit einer "Frankenstein"-Mehrheit ins Ministerpräsidentenamt gekommen, anstelle des Aussitzers.

Erst einmal hat Europa nichts zu befürchten von den europafreundlichen spanischen Sozialisten, die mit Persönlichkeiten wie Javier Solana, Joaquín Almunia und Josep Borrell die EU-Institutionen geprägt haben. Und die sogenannten Märkte können ruhig bleiben, denn Brüssel hat den frisch verabschiedeten Haushalt, den Sánchez beibehalten will, gutgeheißen.

Und sollte Sánchez nicht weiterkommen, weil sich seine Augenblicksverbündeten zum Rausschmiss Rajoys nicht auf gemeinsame Projekte einigen lassen, dann wird er Neuwahlen ausrufen, auch vor dem Ende der Legislaturperiode 2020. Die Spanier aber hätten dann eine andere Perspektive auf die zur Wahl stehenden Parteien als jetzt, da populistisch agierende Politiker von links und rechts der Mitte die einzige Alternative zur Volkspartei verheißen. Der Sozialist Sánchez verdient eine Chance.

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