Spanien Eta vor dem Zerfall

Spaniens Innenminister hält sich bedeckt. Er will nicht schon wieder verfrüht das Ende der Eta ausrufen. Doch diesmal gelang den Terroristenjägern tatsächlich ein Coup: Die Verhaftung der beiden politischen Führer der Eta setzt die Bande weiter unter Druck und schwächt sie entscheidend.

Madrid - Allzu oft schon haben spanische Regierungsvertreter in den vergangenen Jahren nach spektakulären Polizeischlägen gegen die baskische Terrorbande das Ende von Eta bejubelt. Doch immer folgte kurz auf die vollmundigen Siegesbezeugungen eine neue Anschlagswelle der Terroristen, die seit den Tagen der Franco-Diktatur einen separaten Baskenstaat herbeibomben wollen.

Deshalb zeigte der spanische Innenminister José Antonio Alonso nur verhaltene Freude, als er die Verhaftung der beiden Chefs des ideologischen Apparats der Bande, Mikel Albizu alias "Antza" und seiner Lebensgefährtin Soledad Iparagirre, "Anboto", beide 43, bekannt gab. "Wir müssen wachsam bleiben, bis wir den Terrorismus endgültig besiegt haben", mahnte er. Und der Chef der sozialistischen Regierung, José Luis Rodríguez Zapatero, merkte an, es stehe bis dahin noch ein langer Weg bevor, den "alle Demokraten gemeinsam" gehen sollten.

Neben den beiden Führern gingen 19 weitere Terrorverdächtige, meist Franzosen, ins Netz, in Verstecken wurden über 700 Kilo Sprengstoff, andere Waffen aber auch Computer, ein Kopierer, auf dem die Mitteilungen der Bande vervielfältigt werden, und Dokumentationsmaterial über die Mitglieder sichergestellt.

Trotz aller Vorsicht sind sich die spanischen Terrorexperten deshalb einig, dass den französischen Spezialeinheiten gestern in Südwestfrankreich womöglich der bedeutendste Schlag gegen die Eta (das Kürzel steht für "Euskal ta askatasuna, Baskenland und Freiheit") gelungen ist, seit Ende März 1992 in Bidart nahe dem mondänen französischen Seebad Biarritz die drei obersten Führer des militärischen, logistischen und politischen Apparats aufflogen.

Gefährliche Feuerpause

Bald darauf rückte Mikel Albizu, der sich als baskischer Schriftsteller ein paar lokale Autorenpreise erschrieben hatte, in den Führungskader auf. Während seine Kollegen in immer rascherer Folge geschnappt wurden, konnte sich Antza zwölf Jahre an der Spitze halten, ohne entdeckt zu werden.

Antza, der - soweit bekannt - selbst nie zur Waffe gegriffen hat, veränderte die Strategie der Bande. Bis dahin hatten die Etarras versucht, den Staat zu Verhandlungen über die Loslösung des Baskenlands von Spanien zu zwingen, indem sie gezielte Anschläge auf Sicherheitskräfte oder andere Vertreter Madrids durchführten. In den neunziger Jahren setzte die Bande dann darauf, die Einheit der demokratischen Parteien im Baskenland zu spalten, um durch einen Pakt aller baskisch nationalistischen Kräfte die Unabhängigkeit zu erreichen. Anschlagsopfer wurden verstärkt die Vertreter der gesamtspanischen Parteien - der Sozialisten und der Volkspartei -, Journalisten und alle, die sich für eine gewaltfreie Verständigung einsetzten.

Wenige Tage nachdem die seit Francos Tod im Baskenland regierenden Nationalisten von der PNV auch mit dem politischen Arm von Eta im September 1998 den Teufelspakt geschlossen hatten, erklärte die Bande einen Waffenstillstand. Doch während der trügerischen Ruhe der Feuerpause kam die damalige Regierung des konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar der Lösung des alten Konflikts nicht näher. Nur einmal, im Mai 1999, trafen sich seine Unterhändler mit Verhandlungsführern der Eta in Zürich, darunter Antza.

Die Eta allerdings nutzte die Gefechtspause bis Dezember 1999. Eine neue, beinharte Generation löste die alten Kämpfer ab, die einst im Kampf gegen die Unterdrückung während der Diktatur in den Untergrund gegangen waren und nun keinen Sinn mehr sahen in der Fortsetzung der Gewalt. Antza rekrutierte seinen Nachwuchs zunehmend bei jugendlichen Chaoten, die er an den Wochenenden mit Molotowcocktails ausgestattet zur Randale in die baskischen Innenstädte schickte.

Keine Zuflucht mehr in Frankreich

119 Morde begingen die Terroristen seit 1992. Im vergangenen Jahr haben sie bei Anschlägen allerdings nur drei Menschen getötet, die geringste Opferzahl seit 1973 mit Ausnahme ihrer 14-monatigen Waffenstillstandspause. Diesen Sommer gab es nur vereinzelte Sprengsätze an Touristenorten, die aufgrund von Warnungen meist rechtzeitig entschärft werden konnten. Handlungsfähigkeit sollte bewiesen werden.

Denn die Bande befindet sich in einer Schwäche-Phase. Das spektakuläre Massaker, das Islamisten im März in Madrid anrichteten, zeigte den heimischen Terroristen endgültig, dass die gesamte Gesellschaft geschlossen gegen Morde zur Erzielung politischer Ziele zusammensteht.

Spanische Terrorexperten wie der Autor José Luis Barbería aus San Sebastián sehen die Bande in einem "fortschreitenden strukturellen Zerfallsprozess". Es handle sich diesmal nicht um eine vorübergehende Lähmung nach dem Fall der Anführer.

Die Zusammenarbeit der spanischen Polizei mit ihren französischen Kollegen hatte in den letzten Monaten den Druck auf die Eta-Führung systematisch und global verstärkt. Allein zwischen Februar und November vergangenen Jahres gelang es, 59 Kader zu verhaften. Im Dezember folgten weitere Schläge. Paris hat ein Polizei-Sonderkommando gegen die Terroristen nach Bordeaux verlegt. Und Anfang April wurden der militärische und der logistische Kopf der Baskenbande verhaftet, Antza entschlüpfte noch einmal.

Eta-Bosse müssen unerfahrene Jugendliche rekrutieren

Die baskischen Terroristen, die jahrelang Südwestfrankreich als ihren sicheren Rückzugsort betrachtet hatten, sehen sich immer häufiger gezwungen, ihre Häuser aufzugeben, Autos rascher zu wechseln und Kontakte abzubrechen. Die Verhaftungen zwingen die Bande zum Austausch ihrer Bosse innerhalb kürzester Zeit. Noch in den achtziger Jahren konnten sich Bandenchefs wie "Josu das Kalb" an die zehn Jahre versteckt halten.

Zuletzt wurde die Nummer eins des militärischen Apparats bereits nach vier Monaten geschnappt. Jetzt müssen wenig ausgebildete Neulinge über Nacht an die Spitze. Wie im April die Greenhorns Maiz Artorla für die Logistik und Garikoitz Azpiazu für die Waffen, so soll heute ein gewisser Peio Eskizabel Urtuzaga die Lücke ausfüllen, die durch Antzas Fall entstanden ist.

Auch hat die Bande Nachwuchsprobleme, seit der Richter Baltasar Garzón vom Nationalen Gerichtshof das gesamte Eta-Umfeld ausgetrocknet hat. Auf Anregung des Sozialistenchefs Zapatero hatte die Regierung Aznar 2000 mit der größten Oppositionspartei einen Antiterrorpakt geschlossen. Der führte vor einem Jahr zum Verbot des politischen Arms der Eta. Die Partei Batasuna darf nicht mehr zu Wahlen antreten. Auch erhält sie kein Geld mehr vom Staat. Ihr blieben nur noch sieben Abgeordnete im baskischen Parlament, das erst nächstes Jahr im Frühjahr neu gewählt wird.

Unterstützergruppen wie die Jugendlichen von Jarrai wurden verboten. Sie mussten sich über die französische Grenze zurückziehen. So erklärt es sich, dass die Bande für ihre Anschläge immer häufiger auf unerfahrene, bei der Polizei noch nicht registrierte Basken aus extrem linken separatistischen Kreisen zurückgreifen muss. Es handelt sich um Jugendliche, die anderswo in Europa zur Krawallszene gehören würden. Sie haben keinen stark ausgeprägten ideologischen Hintergrund oder gar patriotische Loyalitäten wie einst die Eta-Veteranen.

"Optimale Gelegenheit zu verschwinden"

Die Kämpfer, bislang mit einem Gehalt ausgestattet, müssen jetzt immer häufiger ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und haben wenig Zeit, Attentate vorzubereiten. Im Dezember wurden Erpresserbriefe an baskische Unternehmer in den französischen Landes abgefangen. Denn das Geld wird knapper. Darum sowie um die noch nicht von der Polizei erfassten Kämpfer hatte sich Antzas Gefährtin Anboto gekümmert. Zuvor war die Tochter aus Eta-naher Familie in den Kommandos Madrid und Araba so aktiv, dass ihr 15 Morde zur Last gelegt werden. Die Regierung hat schon bei den französischen Behörden ihre Auslieferung beantragt.

Aber vor allem kehrt sich nach Beobachtung der Terrorismusexperten die Stimmung in der baskischen Bevölkerung, selbst im äußeren linken Lager, gegen den Versuch, Unabhängigkeit mit Gewalt zu erpressen. "Eta hat jetzt die optimale Gelegenheit zu verschwinden, die Waffen niederzulegen und die Wege des Wortes und der Demokratie zu öffnen", kommentierte die Baskenregierung.

Ob die Verhaftung der langjährigen Ideologen der Bande das bewirken kann, ist jedoch stark zu bezweifeln. Erst vergangene Woche hatte der frühere Sprecher der verbotenen Batasuna, Arnaldo Ortegi, gesagt, es werde niemals eine Erklärung geben, in der Eta ihre Auflösung bekannt gibt. Aber wenn jetzt die Front der Demokraten geschlossen bleibt, könnte der Tag nahe rücken, an dem die Aktionen der Terroristen einfach keine politische Wirkung mehr erzielen.

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