SPD-Fraktionschef zu Türkei
Oppermann wirft Erdogan "Angriff auf Rechtsstaat" vor
Die Absetzung von Tausenden Richtern in Reaktion auf den missglückten Putschversuch in der Türkei stößt auf harsche Kritik: SPD-Fraktionschef Oppermann wirft Präsident Erdogan einen "Angriff auf den Rechtsstaat" vor.
Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, erhebt nach dem vereitelten Putsch in der Türkei schwere Vorwürfe gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. "Wenn Tausende Richter und Staatsanwälte, die offensichtlich nichts mit dem Putsch zu tun hatten, abgesetzt werden, ist das ein Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat", sagte er SPIEGEL ONLINE.
Rund 3000 Richter und Staatsanwälte wurden noch am Wochenende ihrer Posten behoben und in Gewahrsam genommen. Die "Säuberung aller staatlichen Institutionen" werde weitergehen, sagte Präsident Erdogan am Sonntag. Auch 3000 Militärangehörige wurden festgenommen. "Dieser Aufstand ist für uns eine Gabe Gottes, denn er liefert uns den Grund, unsere Armee zu säubern", sagte Erdogan und brachte die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Gespräch.
"Präsident Erdogan missbraucht den gescheiterten Putsch als Vorwand, um den türkischen Staatsapparat von Gegnern der AKP zu säubern", so Oppermann. Der SPD-Politiker sagte weiter: "Natürlich müssen Putschisten damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden." Oppermann: "Das muss aber in einem rechtsstaatlichen Verfahren geschehen."
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Türkei: Der Putschversuch in Bildern
Der SPD-Fraktionschef erklärte: "Die Bevölkerung hat dafür gesorgt, dass der Militärputsch in der Türkei keinen Erfolg hatte. Das ist ein großer Sieg für die Demokratie." Er fügte allerdings hinzu: "Diese Demokratie darf aber nun nicht dadurch in Gefahr geraten, dass Andersdenkende aus öffentlichen Ämtern entfernt werden."
Politiker aus aller Welt appellierten an den islamisch-konservativen Präsidenten, die Rechtstaatlichkeit zu garantieren. Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte, der Putsch sei kein "Blankoscheck" für Erdogan.
Am Freitagabend hatten Teile des Militärs versucht, die Macht an sich zu reißen. Im stundenlangen Chaos starben laut Regierung mindestens 265 Menschen, 161 von ihnen Zivilisten und Polizisten. Die übrigen Toten werden den Putschisten zugerechnet. Mehr als 1500 Menschen wurden verletzt.
Aufständische Soldaten versuchten in der Nacht auf den 16. Juli 2016, die Regierung zu stürzen. Auf der Bosporus-Brücke in Istanbul ergaben sich am Morgen Truppen der Putschisten.
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Wütende Zivilisten beschimpften am Putsch beteiligte Soldaten.
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Ein Zivilist schlägt einen der Putschisten auf der Bosporus-Brücke. Die Regierung kündete an, nach dem Putschversuch hart durchzugreifen.
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Mit der türkischen Fahne in der Hand jubelten Bürger auf einem Panzer, den die Putschisten zurückgelassen hatten.
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Beim Putschversuch kam schweres Kriegsgerät zum Einsatz: Panzer rollten auf, Kampfjets flogen über Istanbul und Ankara.
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Das Parlament in Ankara wurde mehrfach von Panzern beschossen, die Schäden sind deutlich erkennbar.
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Der Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mobilisierte Polizei und Militär im ganzen Land. Im Küstenort Marmaris, wo Erdogan sich zum Zeitpunkt des Putsches aufhielt, errichtete die Polizei Straßensperren.
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Erdogan-Anhänger erwarteten den Präsidenten am Atatürk-Airport in Istanbul.
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"Der Präsident ist an der Macht", sagte Erdogan bei einer Pressekonferenz nach seiner Ankunft. Die Regierung werde hart gegen die Putschisten vorgehen.
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Erdogan und seine Familie am Flughafen in Istanbul: Bei den Putschisten handele es sich um eine kleine Gruppe von Offizieren aus der Gendarmerie und der Luftwaffe, die der Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen nahestünden, hieß es aus dem Präsidialamt.
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Türkische Polizisten fahren einen Panzer zur Istanbuler Hauptwache: Seit 1960 hat das Militär bereits drei Mal gegen die Zivilregierung geputscht.
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Polizisten kontrollieren einen Militärstützpunkt in Istanbul: Erdogan hat viele Unterstützer im Land - und er ist demokratisch gewählt. Alle Parlamentsparteien sprachen sich denn auch gegen den Putschversuch aus - darunter selbst die Kurdenpartei HDP.
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Erdogan hatte sich nach der Erklärung des Militärs an die Bevölkerung gewandt und sie aufgefordert, sich auf öffentlichen Plätzen zu versammeln, um ein Zeichen zu setzen. Hier sind Menschen in Istanbul zu sehen, die dieser Aufforderung folgten.
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Mit dem Putsch wollte das Militär eigenen Angaben zufolge unter anderem die verfassungsmäßige Ordnung, die Demokratie und die Menschenrechte wiederherstellen. Hier sind Soldaten an der Nacht auf den 16. Juli in Istanbul zu sehen.
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In Istanbul, der größten Stadt der Türkei, wurden beide Brücken über den Bosporus teilweise gesperrt.
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Erdogan nahm den gescheiterten Coup zum Anlass, um mit äußerster Härte gegen die Hintermänner und in sogenannten "Säuberungen" auch gegen vermeintliche Unterstützer vorzugehen. Dazu wurden Gesetze ausgehebelt, Zehntausende Menschen verloren ihren Job oder landeten sogar in Haft. Im Volk ist der Präsident trotzdem extrem beliebt.