Rumäniens Regierungschef Ponta Mein Freund, der Anti-Demokrat

SPD wie Christdemokraten haben Probleme mit umstrittenen Mitgliedern ihrer Parteienfamilie. Im Falle von Rumäniens Regierungschef Ponta offenbaren die Genossen erstaunliche Beißhemmungen. Die Union kennt das: Ihr Verhalten im Falle von Ungarns Premier Orbán ist ebenfalls kein Ruhmesblatt.
Rumäniens Regierungschef Ponta (l.), EU-Parlamentschef Schulz: Eine Parteifamilie

Rumäniens Regierungschef Ponta (l.), EU-Parlamentschef Schulz: Eine Parteifamilie

Foto: FRANCOIS LENOIR/ REUTERS

Berlin - Schon erstaunlich, wie sehr sich die Kanzlerin neuerdings für Rumänien interessiert: Mit Präsident Traian Basescu hat Angela Merkel kürzlich telefoniert, um ihre Sorge über die Zukunft des Landes und wohl auch seine persönliche auszudrücken, denn Basescu droht die Amtsenthebung. Dann ließ die Kanzlerin am Donnerstag sogar den Bukarester Botschafter einbestellen. Die Bundesregierung sehe "in ernsthafter Weise das Prinzip der Gewaltenteilung" des EU-Mitglieds Rumänien gefährdet, teilte Merkels Sprecher anschließend mit.

Die Einbestellung eines Botschafters ins Kanzleramt ist eine Seltenheit. Diese allerdings auch noch publik zu machen, erst recht. Offenbar hat Merkel ein Interesse daran, dass ihre harte Linie gegenüber Rumänien möglichst breit wahrgenommen wird.

Dort versucht der sozialdemokratische Ministerpräsident Victor Ponta - erst seit Mai Regierungschef - seinen konservativen Rivalen Basescu mit allen Mitteln aus dem Amt zu bekommen. Zuletzt setzte Ponta per Dekret das Vetorecht des Verfassungsgerichts außer Kraft und führte die einfache Mehrheit bei der Volksbefragung zum Amtsenthebungsverfahren gegen Basescu ein. Nein, ein braver Demokrat würde sich so nicht verhalten.

Entsprechend scharf sind die Reaktionen. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok spricht sogar von einem "Staatsstreich". Das klingt nach ehrlicher Empörung, aber richtig ist ebenso: Es geht auch um politische Loyalität - Problemfälle in der EU werden je nach Parteienfamilie anders interpretiert.

Sozialdemokraten schützen Parteifreund Ponta

Während die Konservativen sich mit Basescu solidarisieren, versuchen die Sozialdemokraten, Parteifreund Ponta zu schützen - so weit das eben noch geht. Für die SPD ist Rumänien ein unangenehmes Thema. Zwar hält kaum ein Sozialdemokrat Pontas Regierungsstil für löblich, doch allzu laute Kritik will auch niemand äußern. Mancher Genosse zieht es vor, die Angriffe der Konservativen zu kritisieren statt den rumänischen Regierungschef selbst, dessen Frau auch noch für die Sozialdemokraten im Europaparlament sitzt.

"Von einem Staatsstreich zu sprechen, halte ich schon für sehr vermessen", sagt Susanne Kastner (SPD), Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen Parlamentariergruppe. Und der stellvertretende SPD-Fraktionschef Axel Schäfer hält es gar für einen "logischen Schritt", dass Ponta gegen Präsident Basescu ein Amtsenthebungsverfahren einleitete. Nur so könnten die "anhaltenden Verfassungsbrüche" des Staatsoberhaupts gestoppt werden. Einzig Frank-Walter Steinmeier wagte sich mit Kritik hervor. Es sei "nicht hinnehmbar", dass in Rumänien "demokratische und parlamentarische Spielregeln und Standards überdehnt und verletzt werden", erklärte der Fraktionschef dieser Tage.

Selbst Sozialdemokraten, die ansonsten schnell mit kernigen Sprüchen auf Sendung sind, geraten in Sachen Ponta ins Schlingern. Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, nannte den Mann aus Bukarest erst seinen "Freund" und brauchte dann recht lange, um Ponta ins Gesicht zu sagen, dass sein Amtsverständnis doch nicht ganz den EU-Standards entspreche. Zur Erinnerung: Als Ungarns konservativer Premier Viktor Orbán begann, sein Land autokratisch umzukrempeln, hatte Schulz diesen im Europaparlament öffentlichkeitswirksam zerpflückt.

Die Zurückhaltung gegenüber den eigenen Leuten ist allerdings wahrlich kein rein sozialdemokratisches Problem. Auch die hiesigen Christdemokraten tun sich äußerst schwer, wenn es darum geht, Mitglieder aus ihrer europäischen Parteienfamilie - und seien sie noch so irrlichternd - zu rüffeln. "Da zeigen SPD wie Union wahlweise Beißhemmung", sagt Daniel Cohn-Bendit, Chef der Grünen-Fraktion im Europaparlament.

Christdemokratische Empörung über Berlusconi? Fehlanzeige

Erinnert sich jemand an christdemokratische Empörung über Italiens bizarren Immer-wieder-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi? Oder scharfe Worte gegen die damalige Nationalisten-Front der polnischen Kaczynski-Brüder?

Besonders eindrucksvoll war die christdemokratische Beißhemmung zuletzt im Falle Orbáns zu besichtigen. Als dieser im vergangenen Jahr in Ungarn zum Entsetzen Brüssels die Pressefreiheit einschränkte, gab es keinen Aufschrei deutscher Christdemokraten. Immerhin ist Orbán einer, der noch 2001 den Franz-Josef-Strauß-Preis überreicht bekam. Die Kanzlerin ließ lediglich mitteilen, sie verfolge die Situation in Ungarn mit "großer Aufmerksamkeit". CSU-Chef Horst Seehofer empfing Orbán vergangenen März in München und lächelte kritische Fragen einfach weg. Und die beiden EU-Parlamentarier Werner Langen und Bernd Posselt erklärten: "Die Vorverurteilungen des Mediengesetzes durch Sozialisten und Kommunisten in Europa sind ein durchsichtiges und destruktives Spiel, das Europa schadet."

Mag sein, dass die Scheu, den eigenen Leuten auf die Finger zu klopfen, auch damit zu tun hat, dass Europa näher zusammengerückt ist. Heutzutage sind Rumänien und Ungarn Mitglieder der EU - und ihre Spitzenpolitiker damit nicht mehr irgendwelche entfernten Bekannten. Es gilt, sich regelmäßig abzustimmen, man kommt auf Gipfeln oder zu anderen Treffen in Brüssel zusammen, ist stärker aufeinander angewiesen.

Und vielleicht hat die selektive Wahrnehmung von Sozialdemokraten und Konservativen am Ende sogar einen positiven Nebeneffekt - so sieht es jedenfalls Klaus Segbers, Osteuropa-Experte an der Freien Universität Berlin. "Natürlich ist es problematisch, wenn in europäischen Staaten die Exekutive auf Kosten anderer Verfassungsorgane gestärkt wird und Politiker sich aufgrund der Parteizugehörigkeit mit Kritik zurückhalten", sagt er. Aber wenn die Parteiensolidarität "in Zukunft auch dazu führt, dass man sich in Europa stärker füreinander interessiert, und dass Identitätsdefizite der Bürgerinnen und Bürger vermindert werden, dann könnte das die europäische Öffentlichkeit durchaus stärken".

Und das - da dürften sich Sozis und Union sogar einig sein - ist dringend nötig.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten