Starrichter Garzón vor Gericht "Wie vor einem Erschießungskommando"

Baltasar Garzón: Der berühmteste Richter Spaniens auf der Anklagebank
Foto: JAVIER SORIANO/ AFPZu seiner Hinrichtung kam der spanische Starrichter Baltasar Garzón am ersten Prozesstag zu Fuß. Vor dem Obersten Gericht in Madrid begann der Prozess, der ihn beruflich vernichten soll. Denn der Jurist, der sich weltweit einen Namen mit engagierter Verfolgung von Menschenrechtsverbrechern und Diktatoren machte, hat auch daheim versucht, die dunkelsten Geheimnisse der Mächtigen im Lande aufzuspüren. Nun soll er dafür büßen.
"Rechtsbeugung" ist der - auch in Deutschland - schwerste Vorwurf, den man einem Richter machen kann. "Fortgesetzte Rechtsbeugung" soll der so eitle wie erfolgreiche Jurist begangen haben, als er mit umstrittenen Methoden versuchte, Licht in eine Korruptionsaffäre zu bringen, die schon seit Jahren die spanische Politik beschäftigt. Heimlich ließ der Richter Gespräche zwischen inhaftierten mutmaßlichen Mitgliedern des Korruptionsnetzwerkes und ihren Verteidigern abhören: Auch in Spanien ein Übergriff, der nur in extremen Ausnahmefällen zulässig ist.
Die Abhöropfer schlugen mit einer Anklage gegen zurück. Denn sie gehören zum Dunstkreis mächtiger Leute: Bis in hohe Ränge der konservativen Volkspartei "Partido Popular" des jüngst zum Ministerpräsidenten gewählten Mariano Rajoy reicht der Kreis der Verdächtigen in dem Bestechungsskandal, der von den Ermittlern mit dem deutschen Wort für den Namen des mutmaßlichen Haupttäters Francisco Correa versehen wurde: "Affäre Gürtel".
Dessen Rechtsvertreter nutzten die Klage "aus dem Volke", eine Besonderheit des spanischen Prozessrechts, um das Verfahren gegen Garzón in Gang zu bringen. Die Staatsanwaltschaft dagegen sieht in Garzóns Vorgehen nichts Strafbares und plädiert auf Freispruch.
Am ersten Tag des mündlichen Verfahrens gegen Garzón vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid erwarteten ihn gegen zehn Uhr morgens Anhänger mit Plakaten, Applaus und Sprechchören: "Verkehrte Welt in Spanien, Korrupte und Faschisten lassen über den Richter richten."
Vor dem prunkvollen Saal, in dem schon so mancher große Fall verhandelt wurde, den er selbst untersucht hatte, traf Garzón auf Kollegen, die vom benachbarten Nationalen Gerichtshof gekommen waren, um ihm Mut zuzusprechen. Hier hatte er fast 23 Jahre lang über Terroristen, Drogenbanden und das organisierte Verbrechen gerichtet, bis er im Mai 2010 vorläufig von seinem Amt suspendiert wurde.
"Wie vor einem Erschießungskommando"
Am Nachmittag war es dann so weit: Spaniens bekanntester Jurist musste seine schwarze Richterrobe mit den weißen Spitzen am Ärmel ablegen, die er vormittags noch hatte tragen dürfen. Er musste von dem lila Samtpolster, wo er neben seinem Verteidiger gesessen hatte, herabsteigen. Seinen sieben Richtern gegenüber stehend wurde er aufgefordert, Namen und Alter zu nennen. Danach musste er sich zweieinhalb Stunden lang auf der Angeklagtenbank peinlich befragen lassen. Er habe sich gefühlt wie vor einem Erschießungskommando: "Ich habe gebeten, dass man mir die Binde von den Augen abnimmt, damit ich geradeaus schauen kann", erläuterte er mit Galgenhumor seinen Angehörigen.
Wenn die Richter des Obersten Gerichts den Forderungen der Kläger nachgeben, droht dem Ermittler das Karriereende: Ihn erwarten bis zu 17 Jahre Berufsverbot.
Aber auch bei einem Freispruch stehen die Chancen schlecht, dass Garzón jemals wieder von seinem Büro in der fünften Kammer des Nationalen Gerichtshofs aus Verbrecher jagen kann. Denn der Abhörvorwurf ist nur der Vorläufer für einen weiteren Prozess, der am kommenden Dienstag in den selben Prunkräumen des ehemaligen Palacio de las Salesas, einem früheren Nonnenkloster, gegen ihn eröffnet wird. Von einer Streubombenwirkung spricht deshalb der ehemalige Chef der kommunistischen Vereinigten Linken, Gaspar Llamazares, der vor dem Justizpalast für den Richter demonstrierte: "Wenn sie ihn in der einen Sache nicht kriegen, dann stürzt er über die nächste."
Im Ausland wird er als Weltgewissen gefeiert
Abermals wird Garzón Rechtsbeugung vorgeworfen, weil er auf Klagen von Opferangehörigen den Verbleib von 114.000 verschwundenen Franco-Gegnern untersuchen wollte. Der Richter am "Tribunal Supremo", Luciano Varela, wirft ihm vor, er habe eine "unentschuldbare Ignoranz" gegenüber dem Amnestiegesetz von 1977 gezeigt, das den während der Diktatur begangenen politischen Verbrechen Straffreiheit zubilligt. Varela ist ausgerechnet einer der sieben Togaträger, die jetzt zuerst über die Abhöraffäre urteilen. Ein anderer ermittelt darüber hinaus wegen des Verdachts der Bestechlichkeit: Garzón habe sich Honorare für Vorlesungen an einer New Yorker Universität von einer spanischen Bank zahlen lassen.
Verkehrte Welt: Es sei "bittere Ironie", so Reed Brody von Human Rights Watch, dass Garzón dafür verfolgt wird, weil er "zu Hause die selben Prinzipien anzuwenden versuchte, die er international so erfolgreich durchgesetzt hat". Seine ausländischen Kollegen feiern den Spanier als Weltgewissen, seit er 1998 den ehemaligen chilenischen Diktator Pinochet in London festnehmen ließ. Dieser erste Fall universaler Gerichtsbarkeit sei "bahnbrechend für das Ende der Straffreiheit" gewesen, sagt Luis Moreno Ocampo, Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Durch seine Ermittlungen gegen die argentinischen Militärs hat Garzón bewirkt, dass dort die Amnestie für Menschenrechtsverbrecher aufgehoben wurde. Zuletzt erregte er den Zorn der USA, weil er den Präsidenten George W. Bush und sechs Berater wegen der Folterpraxis im Gefangenenlager Guantanamo zur Verantwortung ziehen wollte. Die Dokumente von Wikileaks haben enthüllt, wie US-Botschaftsangehörige wiederholt versucht hatten, Garzón an die Kette legen zu lassen.
Solche Richter, die keine Angst hätten, sich mit den Mächtigen der Welt anzulegen, brauche die Welt, urteilt dagegen Moreno Ocampo. Er beschäftigte Garzón als Berater für Lateinamerika, nachdem der im Mai 2010 sein Büro in dem hässlichen Zweckbau im Herzen der spanischen Hauptstadt hatte räumen müssen. Das hatte ausgerechnet die Klage von drei ultrarechten Gruppen, darunter die offen faschistische Falange Española de las JONS, bewirkt.
Denn Garzón hatte an ein Tabu gerührt und den Schweigepakt aller Parteien über Bürgerkrieg und Diktatur gebrochen, als er sich im Einklang mit dem internationalen Völkerrecht entschloss, das spanische Amnestiegesetz von 1977 nicht anzuwenden und nach Zehntausenden vermissten Franco-Gegnern suchen zu lassen.
Doch das Kesseltreiben gegen Garzón war erst richtig losgegangen, als er vor genau zwei Jahren unangenehme Erkenntnisse über illegale Finanzierung bei der Volkspartei ans Licht förderte. Selbst als fortschrittlich geltende Juristen sahen da die Möglichkeit, Garzón endlich loszuwerden. Denn er hatte sich auch bei den Sozialisten längst unbeliebt gemacht, als er die Beteiligung der Führungsriege des Innenministeriums unter den Regierungen von Felipe González für den Staatsterrorismus gegen die baskische Eta anklagte. Der übereifrige Ermittler Garzón, Spitzname "Principe" frei nach Machiavelli, legte sich mit allen Lagern angelegt und hat viele Neider.
Im "Fall Gürtel" ist noch niemand verurteilt worden
Um sich nicht internationaler Ächtung auszusetzen, so glauben Garzóns Unterstützer, habe der Oberste Gerichtshof jetzt den Abhörprozess vorgezogen. Es ist wohl das erste Mal, dass sich ein Ermittler wegen einer möglicherweise falschen Anordnung zur Überwachung vor dem Obersten Gericht verantworten muss.
Garzón rechtfertigte sich wegen einer Grippe heiser krächzend. Wieder und wieder beteuerte er, er habe die Anführer einer "Verbrecherorganisation" abhören lassen, "weil es keine andere Möglichkeit gab" sie daran zu hindern, aus der Zelle ihre Hauptaktivität, die Geldwäsche weiterzuführen. Die Anwälte spielten dabei "eine entscheidende Rolle". Darauf hätte ihn die Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption und Polizisten hingewiesen. "Ich habe nicht die Verteidiger, sondern die Gefängnisinsassen ausforschen lassen", beteuerte Garzón. Dass er Anweisung gab, Unterhaltungen über die Verteidigungsstrategie aus der Abschrift der Bänder zu säubern, bestätigten am zweiten Prozesstag Zeugen.
Nun hat Garzón sein Schlussplädoyer gehalten und seine Unschuld beteuert. In einigen Wochen wird das Urteil veröffentlicht. Kaum einer glaubt daran, dass es die Obersten Richter mit der Erniedrigung des eitlen Ermittlers auf dem Verbrecherbänkchen bewenden lassen.
Im Fall Gürtel jedenfalls, einem der größten Korruptionsskandale der spanischen Demokratie, ist noch keiner verurteilt worden. Der Fall des einstigen Starjuristen könnte eine Warnung an seine Kollegen sein: Legt Euch nicht mit den Mächtigen an.