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Ägypten: "CNN, go home!"

Foto: GIANLUIGI GUERCIA/ AFP

Stimmungsmache in Ägypten "Macht nur weiter so, wir kriegen euch!"

Quasi über Nacht haben Ägyptens Medien die gestürzten Muslimbrüder umbenannt: Plötzlich ist die bisher stärkste Fraktion im Parlament eine "Terrortruppe", das Militär diktiert die öffentliche Meinung. Westliche Medien, die kritische Fragen stellen, sind unerwünscht.

Für Journalisten, die aus Kairo berichten, sind die Zeiten nach dem Machtwechsel härter geworden. Sie werden öfter Opfer von Übergriffen von Sicherheitsorganen.

Jüngster Vorfall: Am Montag wurde der deutsche Fernsehreporter Dirk Emmerich, der für den deutschen Nachrichtensender n-tv aus Kairo berichtet, sieben Stunden lang von Armee und Polizei festgehalten. Grund für die Festsetzung: "Wir haben gesehen, was du auf Twitter machst." So schilderte es Emmerich, der aus seinem Gewahrsam heraus mit Tweets  eine Art Liveticker der Vorgänge schrieb, gegenüber SPIEGEL ONLINE. Emmerich war festgenommen worden, als er versucht hatte, am Ort des Blutbads vor der Zentrale der Revolutionsgarde zu recherchieren, was sich tatsächlich zugetragen hatte.

Bereits am Freitag hatten Zuschauer am Bildschirm mitverfolgen können, dass es um die Meinungsfreiheit in Ägypten auch nach der Machtübernahme des Militärs nicht sonderlich gut bestellt ist. Der CNN-Korrespondent Ben Wedeman wurde mitten in einer Live-Schalte unterbrochen, erzürnte Soldaten stürmten ins Bild und beschlagnahmten die Kamera des Nachrichtenteams.

Der Grund für den Zorn der Staatsmacht ist die kritische Berichterstattung westlicher Medien über den Militärputsch am Nil. Denn geht es nach dem Wunsch der neuen Herrscher in Kairo, wird fortan, bitteschön, nur noch eine Version der Ereignisse erzählt: die, in der das glorreiche Militär einem um Schutz flehenden Volk hilfreich zur Seite eilt. Berichterstattung, in der versucht wird, der offiziellen Lesart der Geschehnisse mit Recherche beizukommen, ist unerwünscht. Die drei Sender für die islamistische Klientel der Muslimbrüder sind seit dem Machtwechsel und der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi abgeschaltet.

"Bloß nicht aufwiegeln"

Das Militär versucht, Einfluss auf die Berichterstattung über sich selbst zu nehmen. Die staatlichen TV-Sender berichten derzeit nur einseitig. "Ich darf Leute, die sich pro Mursi äußern, zwar filmen - aber ob das Material dann gesendet wird, steht auf einem anderen Blatt", sagte Omar Bakr, der für das ägyptische Erste nahe des Tahrir-Platzes eine Straßenumfrage drehte. "Wir haben die Anweisung: Bloß nicht aufwiegeln. Das war schon unter Mubarak so", so Bakr, der den Job seit 20 Jahren macht.

Die Selbstzensur der privaten ägyptischen Medien erklärt sich auch aus der Vergangenheit, Zeitungen und Sender haben so 30 Jahre Mubarak-Regime überstanden. Dennoch ist es überraschend, mit welcher Inbrunst Ägyptens Journalisten derzeit Propaganda betreiben. Die Muslimbrüder, die von der Mehrheit der Ägypter gewählt wurden, die noch vor einer Woche den Präsidenten stellten und das Parlament dominierten, sind quasi über Nacht umbenannt worden. Sie heißen nun "Terroristen", ihre Organisation ist eine "Terrortruppe". Um ganz klarzumachen, wo er steht, blendet der große Privatsender CBC ein Logo ein: "Gegen Terrorismus".

Übertreibungen und Verschwörungstheorien finden ihren Weg als Fakten in die Nachrichten: "33 Millionen Ägypter waren gegen Mursi auf der Straße", heißt es. Oder: "Die Terroristen haben auf dem Tahrir vergiftetes Wasser verteilt." Gerne auch werden die westlichen Kollegen geschmäht. "BBC, CNN, al-Dschasira! Macht nur weiter so, wir kriegen euch!", zeterte ein Moderator der Nachmittagsshow auf CBC am Montag.

Falsche Meinung, falsche Fragen

Bei den allabendlichen Demonstrationen nimmt die Zahl der Anti-CNN- und Anti-BBC-Plakate zu. Der Ton gegenüber westlichen Journalisten wird auf dem Tahrir-Platz rauer. Wo sich noch vor wenigen Wochen redefreudige Menschentrauben um Journalisten mit Notizblocks drängten, werden Reporter dort inzwischen auch gern mit "CNN, go home" begrüßt. Besonders verärgert reagieren die Verfechter der Revolution, wenn Journalisten die Meinung der Gegenseite einholen. Ein Interview mit einem Mursi-Anhänger endete für das SPIEGEL-ONLINE-Team fast in Handgreiflichkeiten. Der Zorn richtete sich dabei genauso gegen den Mann mit der "falschen" Meinung wie gegen die Frau mit den "falschen" Fragen.

Besonders schwer hat es derzeit der arabische Sender al-Dschasira. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Polizei und der Armee zu dem Blutbad am Montagmorgen kam es schon vor Beginn zum Eklat. Ägyptische Journalisten schrien, sie wollten das Team des katarischen Senders des Saales verwiesen sehen. Die Sicherheitskräfte kamen dem nach, denn al-Dschasira gilt als Sympathisant der Muslimbrüder. Schon am Samstag hatte die Staatsanwaltschaft deshalb einen Haftbefehl gegen den Leiter des Kairoer Büros des Senders erlassen. Begründung: aufrührerische Berichterstattung.

Inzwischen sind überall in der Kairoer Innenstadt Plakate aufgetaucht: "Eine Kugel kann einen Menschen töten, eine Lügenkamera kann eine ganze Nation töten", steht darauf. Über dem Slogan sieht man das Logo al-Dschasiras und eine Blutspur. Die Botschaft des Plakats deckt sich mit dem, was auch der westlichen Presse vorgeworfen wird: dass sie nur darauf aus ist, Ägypten in einen Bürgerkrieg wie in Syrien zu treiben.

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