Streiks sind die Franzosen gewohnt. Doch die neueste Streikwelle gegen die Rentenreformpläne der Regierung hatte am Dienstagmorgen für die Pariser besonders unangenehme Folgen. Im strömenden Regen fielen Fahrräder und Inline-Skates als Alternativen zur bestreikten Metro aus.
Paris - In den Morgennachrichten des Rundfunks fehlt die Wettervorhersage. Météo France (3500 Beschäftigte) streikt. Aber die Lage ist ohnehin klar: Über Paris regnet es in Strömen an diesem
Dienstag, für den die Gewerkschaften die große Kraftprobe mit der Regierung wegen der geplanten Rentenreform angekündigt haben.
Das schlechte Wetter verschärft die Streikfolgen erheblich. Die Pariser sind Arbeitsniederlegungen gewohnt, sie nehmen lange Fußmärsche ohne zu murren in Kauf, wenn die Züge
still stehen und die U-Bahn nicht kommt. Viele steigen aufs Rad. Jüngere schnallen Rollschuhe und Inline-Skaters an. Das kann Ausmaße eines lustigen sommerlichen Volksfestes annehmen.
Aber in der Nässe?
Natürlich bricht der Verkehr schnell zusammen. Um halb neun wurden 320 Kilometer Staus gemeldet. Das Auto scheint also auch keine ratsame Alternative.
Was tun? Manche Metro-Linien fahren, manche sind nur ein bisschen gestört, auf anderen geht gar nichts. Das Tückische daran ist, dass man es als Fahrgast vorher nie so genau wissen
kann. Soll man es probieren, Umwege auf dem Fahrplan studieren, Experimente wagen oder gleich resignieren?
Am praktischsten wäre es, sich dem Streik einfach anzuschließen und zu
Hause zu bleiben.
Das wäre dann die gelungene Vereinigung zwischen öffentlichem Dienst und privatem Sektor, die von den Gewerkschaften bisher vergeblich angestrebt wird. Die Regierung hofft weiterhin,
dass eine solche Einheitsfront nicht entsteht. Sie will die öffentliche Meinung gegen die angeblich privilegierten Streikenden der öffentlichen Verkehrsmittel mobilisieren.
Premier Jean-Pierre Raffarin weiß: Weicht er zurück und verhandelt er die Rentenreform neu, hat seine Regierung ihre politische Autorität für den Rest der Legislaturperiode verspielt.
Deshalb will er mit einem klaren Sieg über die Gewerkschaften die Reformfähigkeit des Landes beweisen. Im Herbst steht nämlich der nächste Knackpunkt bevor: die Reform des
Gesundheitswesens und die Sanierung der gesetzlichen Krankenkassen.
Die Gewerkschaften wiederum, die sich nicht als Papiertiger entzaubern lassen wollen, haben erkannt, dass sie nicht mehr viel Zeit haben. Sie müssen jetzt hart bleiben und demonstrieren,
dass ihnen die Luft nicht ausgeht. Denn in etwa drei Wochen beginnen die Schulferien. Und den geheiligten Sommerurlaub möchte sich kein Franzose durch soziale Protestbewegungen
verderben lassen. Im Juli und August herrscht Waffenstillstand. Die Entscheidung muss in den nächsten Tagen fallen.
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