
Streit über Irans Atomprogramm Ein Krieg, den keiner gewinnen kann
Der Ajatollah zeigte sich entschlossen wie eh und je: Iran werde "mit Gottes Hilfe" an seinem Atomprogramm weiterarbeiten, erklärte Irans oberster Führer Ali Chamenei in Teheran. "Der Druck, die Sanktionen und die Attentate werden keine Früchte tragen. Nichts kann uns daran hindern, unser Nuklearprogramm fortzuführen."
Chameneis Kampfansage ist nur das jüngste Beispiel für die Spannungen zwischen Iran auf der einen sowie den USA und Israel auf der anderen Seite. Seit Januar hat sich der jahrelang schwelende Konflikt um das iranische Atomprogramm kontinuierlich hochgeschaukelt.
Eine kurze Chronik der letzten Wochen:
- Nachdem die US-Regierung Ende 2011 weitere Sanktionen gegen das iranische Regime angekündigt hatte, drohte Teheran mit einer Blockade der für den Ölhandel lebenswichtigen Straße von Hormus.
- Gleichzeitig hielten die Iraner ein großangelegtes Militärmanöver ab. Daraufhin verstärkte die US-Marine ihre Präsenz vor der iranischen Küste.
- Ende Januar beschloss die Europäische Union ein Ölembargo gegen Iran, das ab 1. Juli gelten soll.
- Teheran drohte seither mehrfach mit einem sofortigen Ausfuhrstopp, sollten die Sanktionen nicht zurückgenommen werden. Inzwischen ist Iran dem Embargo zuvorgekommen und hat seine Ölausfuhr an französische und britische Unternehmen gestoppt.
- Die Folge: Der Ölpreis, der seit Wochen steigt, erreichte nach Chameneis Rede ein Neun-Monats-Hoch.
- Seit Jahresbeginn reisten zwei Inspektorenteams der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nach Iran. Jedes mal kehrten sie mit leeren Händen nach Hause, weil ihnen die Iraner den Zugang zu einer verdächtigen Militäranlage in Parchin südlich von Teheran verweigerten. Im Westen wachsen damit die Befürchtungen im Hinblick auf das Nuklearprogramm.
- Parallel dazu hat Israel seine Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen Iran offenbar weiter verstärkt. Aus amerikanischen Sicherheitskreisen heißt es, Israel könne schon in wenigen Monaten Angriffe auf iranische Einrichtungen fliegen. Teheran hat für diesen Fall Vergeltungsschläge angedroht.
- Doch längst bleibt es nicht mehr bei gegenseitigen Drohungen: Im Januar wurde bei einem Autobombenanschlag in Teheran ein iranischer Wissenschaftler getötet, der am Atomprogramm beteiligt gewesen sein soll. Es war das vierte tödliche Attentat innerhalb von zwei Jahren. Seither gab es eine ganze Serie von Anschlägen und Attentatsversuchen gegen israelische Diplomaten weltweit - in Georgien, Indien und Thailand. Israel und Iran machen sich gegenseitig für die Anschläge verantwortlich.
Mit jeder weiteren Drohung und jedem weiteren Attentat wächst die Gefahr eines Krieges zwischen Israel und Iran, in den unweigerlich auch die USA und Europa hineingezogen würden.
Ist ein Waffengang überhaupt noch vermeidbar? Welche Interessen verfolgen Iraner, Israelis, Amerikaner und Europäer? Ein Überblick:
Irans Regime will die Atombombe als Lebensversicherung
Iran lässt die Welt seit Jahren über seine Absichten im Unklaren. Offiziell dient das Atomprogramm ausschließlich der friedlichen Nutzung der Nuklearkraft, die von der Regierung in Teheran stets als "unveräußerliches Recht" des Landes bezeichnet wird. Der Westen bezichtigt das Regime jedoch, an der Entwicklung von Atomwaffen zu arbeiten. Geheimdienstberichte dazu sind jedoch oft widersprüchlich. Seit Jahren heißt es, Teheran sei kurz davor, nukleare Sprengköpfe zu bauen. Bislang haben sich diese Vorhersagen jedoch nicht erfüllt.
Die CIA erklärte in ihrem jüngsten Bericht sogar, dass Teheran noch keine Entscheidung getroffen habe, ein Programm zum Bau der Bombe zu beginnen. Laut US-Geheimdienstdirektor James Clapper hätte aktuelle Erkenntnisse die Einschätzung des CIA von 2007 bestätigt, wonach Iran sein Atomwaffenprogramm schon Jahre zuvor eingestellt habe.
Doch Irans Weigerung, den vollen Umfang seines Atomprogramms offenzulegen nährt die Befürchtungen. Hinzu kommen wiederholte Drohungen des Regimes, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen.
Was Iran von Nordkorea gelernt hat
Tatsächlich dient das Nuklearprogramm aber eher als Überlebensversicherung für das Regime, das sich unantastbar machen möchte. Machtpolitisch zieht Teheran damit Schlüsse aus dem Umgang des Westens mit Staaten wie Nordkorea einerseits und Irak und Libyen andererseits. Das Kalkül dahinter: Obwohl Pjöngjang außer China fast die gesamte Welt gegen sich hat, sitzt die kommunistische Diktatur fest im Sattel, und ein Regimesturz von außen steht außer Frage, weil das Land Atommacht ist.
Die Regimes in Bagdad und Tripolis hingegen konnten nur vom Westen gestürzt werden, so Teherans Lesart, weil Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi eben nicht im Besitz von Massenvernichtungswaffen waren.
Die iranische Führung will also eine Atomwaffe als Abschreckung. Aber ist Teheran auch bereit, dafür einen Krieg zu riskieren? Bislang diente der Konflikt mit den USA und Israel dem Regime dazu, die Reihen zu schließen und die eigene Politik im Inland zu rechtfertigen. Besonders während des gerade laufenden Wahlkampfs für die Parlamentswahl am Freitag dieser Woche sind alle Seiten bestrebt, Entschlossenheit gegenüber dem Westen zu zeigen.
Bei einem Konflikt hätte Teherans Elite viel zu verlieren
Bei einem Krieg hätte Iran am meisten zu verlieren. Das Land ist in den vergangenen Jahren zur Hegemonialmacht in der Region aufgestiegen, gegen dessen Willen im Libanon, im Irak und in Afghanistan kaum Politik gemacht werden kann. Die Führungselite hat in den vergangenen Jahrzehnten Reichtümer angehäuft, viele Vertraute von Ajatollah Chamenei sind längst Millionäre geworden. All dies droht die Clique an der Staatsspitze bei einem militärischen Konflikt zu verlieren.
Deshalb wird Teheran weiterhin auf Zeit spielen. Vermutlich wird Iran nach der Parlamentswahl die Verhandlungen mit dem Westen wieder aufnehmen. Solange dieser diplomatische Kanal nicht endgültig abreißt, ist ein Militärschlag gegen iranische Atomanlagen unwahrscheinlich, so das Kalkül. In der Zwischenzeit kann Iran weiterhin an seinem Nuklearprogramm arbeiten und die Position gegenüber seinen Gegnern verbessern.
Israel will eine Atommacht Iran unbedingt verhindern
Israelische Regierungskreise lassen keinen Zweifel: Ein Iran mit Atomwaffen ist für den jüdischen Staat nicht hinnehmbar. Wiederholt haben Vertreter von Regierung und Militär mit Angriffen gegen das Nuklearprogramm gedroht, falls die diplomatischen Bemühungen scheitern sollten. In mehreren Manövern hat die israelische Armee in den vergangenen Jahren mögliche Luftschläge durchexerziert.
Doch ein erfolgreicher Luftkrieg gegen Iran würde nach Einschätzung von Militärexperten mindestens mehrere Wochen dauern - und müsste schon bald beginnen. So zumindest argumentiert die israelische Regierung. Denn seit Anfang des Jahres ist bekannt, dass Iran damit begonnen hat, die Anlagen zur Anreicherung von Uran unter die Erde zu verlegen - so tief, dass sie selbst mit den größten und schwersten Bomben nicht mehr zu erreichen wären. Die Anlage in Fordo soll 80 bis 90 Meter unter der Erde sein. Hat Iran erst einen ausreichend großen Teil seines Atomprogramms in solchen Anlagen vergraben, so die Befürchtung der Israelis, wären die Mullahs auf dem Weg zur Bombe kaum noch zu stoppen.
Zudem müsste Israel mit empfindlichen Gegenschlägen der Iraner und ihrer Verbündeten rechnen. Die größte Gefahr droht dabei von der libanesischen Hisbollah, die von Iran ideologisch, finanziell und militärisch unterstützt wird. Nach westlichen Geheimdiensterkenntnissen hat die Hisbollah seit dem Krieg mit Israel im Juli 2006 ihr Raketenarsenal deutlich aufgestockt. Mittlerweile soll die "Partei Gottes" in der Lage sein, selbst Städte im Süden Israels anzugreifen. Kaum ein Ort in Israel wäre mehr sicher, das öffentliche Leben wochenlang gelähmt, die Wirtschaft in Gefahr.
Deshalb gibt es auch Stimmen aus Israel, die zur Besonnenheit mahnen. So soll der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Tamir Pardo, im Dezember vor Botschaftern erklärt haben, dass der jüdische Staat sehr wohl mit einer iranischen Atombombe leben könnte. Ähnlich hatte sich schon zuvor sein Amtsvorgänger Meir Dagan geäußert: Israel solle erst dann zu militärischen Mitteln greifen, "wenn uns das Messer am Hals liegt und anfängt, ins Fleisch zu schneiden".
Ähnlich wie die Iraner mit ihrem Atomprogramm lassen die Israelis die Welt im Unklaren über ihre militärischen Absichten. Sie liefern sich eine Nervenschlacht mit Teheran, die stets die Gefahr mit sich bringt, dass eine Seite die Reaktion des Gegenübers falsch berechnet und damit einen Krieg auslöst.
Die USA wollen nicht in den nächsten Krieg stolpern
Die US-Regierung betont stets, dass "alle Optionen auf dem Tisch" liegen, um Irans Atomprogramm zu stoppen. Dazu gehören auch Militärschläge. Die Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner überbieten sich derzeit gegenseitig mit Drohungen gegenüber Teheran.
Doch dieses Säbelrasseln verkennt, dass die USA im Grunde kriegsmüde sind:
- Die beiden Kriege in Afghanistan und Irak haben mehr als 6300 tote Soldaten gefordert, etwa 46.000 GIs wurden verwundet.
- Mehr als drei Billionen US-Dollar haben die Auslandseinsätze verschlungen - ihr dauerhafter Erfolg ist mehr als ungewiss.
- Amerikas Wirtschaft kommt nach der Banken- und Finanzkrise nur langsam wieder in Schwung. Ein Krieg gegen Iran würde das Land wirtschaftlich und militärisch schwer beanspruchen.
So sehr, dass Washington sich einen Waffengang derzeit eigentlich nicht leisten kann.
Zähneknirschend in den Konflikt
Doch womöglich liegt die Entscheidung über Krieg und Frieden ohnehin nicht in der Hand der US-Regierung. Sollte Israel sich zu einem Angriff auf Iran entschließen, werden die Vereinigten Staaten zähneknirschend Militärhilfe leisten müssen. Dieses Szenario ist derzeit die größte Sorge in amerikanischen Sicherheitskreisen.
Ebenso müssten die Amerikaner auf mögliche Anschläge Irans in den USA reagieren. Nach Angaben von US-Geheimdienstdirektor James Clapper planen iranische Agenten Angriffe auf Ziele in Amerika. Erst im Oktober vergangenen Jahres wurde ein Iraner mit amerikanischem Pass festgenommen, der ein Attentat auf den saudi-arabischen Botschafter in Washington geplant haben soll. Sollte ein ähnlicher Plot eines Tages gelingen, wäre ein Krieg gegen Iran wohl unausweichlich.
Die EU ist in der Iran-Frage gespalten
Die Europäische Union setzt auf eine diplomatische Lösung des Atomkonflikts mit Teheran. Mit den im Januar beschlossenen verschärften Sanktionen soll Iran an den Verhandlungstisch und schließlich zur Aufgabe des Nuklearprogramms gezwungen werden. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich das Europa der 27 verständigen kann, denn auch in der Iran-Frage gehen die Meinungen innerhalb der EU weit auseinander.
Griechenland etwa ließ sich nur mit Mühe vom Ölembargo gegen Teheran überzeugen, weil Iran einer der wichtigsten Lieferanten Athens ist. Die Bundesregierung war zwar eine treibende Kraft hinter dem Beschluss zu neuen Sanktionen, gleichzeitig lehnt Außenminister Guido Westerwelle aber militärische Schritte gegen das iranische Regime ab. Ähnlich äußerte sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der Israel vor "Abenteuern" warnte. Großbritannien und Frankreich hingegen wollen Militärschläge gegen iranische Nuklearanlagen nicht ausdrücklich ausschließen.
Europa spricht nicht mit einer Stimme
Also ist es höchstwahrscheinlich, dass die EU im Falle eines Krieges gegen Iran einmal mehr nicht mit einer Stimme sprechen, geschweige denn gemeinsam handeln wird. Genau darauf setzt das Regime in Teheran, das die Europäer längst als schwächstes Glied innerhalb des westlichen Bündnisses ausgemacht hat.
Doch egal welchen Kurs die EU fährt, eines ist klar: Die Entscheidung für oder gegen einen Angriff auf Iran wird weder in Brüssel, noch in Berlin oder Paris getroffen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurden die Kosten der US-Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan mit drei Billiarden Dollar beziffert. Es waren tatsächlich drei Billionen. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.
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