Streit um Erdogan-nahe Zeitung im EU-Parlament Türkische Minister wittern Faschismus

Zwischen Brüssel und Ankara droht die nächste Krise. EU-Parlamentspräsident stoppt die Verteilung einer Erdogan-nahen Zeitung, türkische Minister kontern mit Faschismus-Vorwürfen. Sogar Erdogan selbst schaltet sich ein.
Turkischer Justizminister Bekir Bozdag

Turkischer Justizminister Bekir Bozdag

Foto: ADEM ALTAN/ AFP

Als Jeroen Lenaers vor einigen Tagen ins EU-Parlament kam und die türkische "Daily Sabah" auf den Fluren ausliegen sah, war es vorbei mit seiner Geduld. Der niederländische Christdemokrat schrieb einen Brief an Parlamentspräsident Antonio Tajani und forderte, die kostenlose Verteilung der Zeitung sofort zu unterbinden. Tajani reagierte für die Verhältnisse des EU-Parlaments blitzschnell: Am 22. März, nur sechs Tage nach Lenaers' Brief, ließ er die "Daily Sabah" (verkaufte Auflage: rund 6200 Exemplare) aus dem Verteiler mit diversen internationalen Zeitungen entfernen und alle noch vorhandenen Exemplare einsammeln.

Seitdem geht es wieder einmal hoch her zwischen türkischer Regierung und EU-Parlament. "Diese Entscheidung hat das hässliche Gesicht der Europäer demaskiert", sagte der türkische Justizminister Bekir Bozdag der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Die "Daily Sabah" zitierte Bozdag gar mit der Aussage, Tajani habe eine "faschistische Entscheidung" getroffen.

Ähnlich äußerte sich der türkische Vizeministerpräsident Numan Kurtulmus: "Diese einseitige Entscheidung spielt den Neofaschisten, den Neonazis in die Hände." Sogar Präsident Recep Tayyip Erdogan höchstpersönlich nahm sich der Sache an: "Ich dachte, ihr habt Pressefreiheit", sagte er ans EU-Parlament gerichtet. "Warum habt Ihr sie verboten? Ihr werdet euch dafür zu verantworten haben."

Terror- und Verrats-Beschuldigungen

Was war geschehen? Die "Sabah", von der "Daily Sabah" als "Schwesterblatt" bezeichnet, hatte nach dem Eklat um Auftritte türkischer Politiker in den Niederlanden schweres Geschütz aufgefahren. Tarun Yazir, Mitglied des Stadtrats von Rotterdam, wurde im Steckbrief-Stil  gemeinsam mit drei weiteren Männern des Verrats und der Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung bezichtigt.

Der Vorwurf wiegt schwer; die türkische Regierung macht die Gülen-Bewegung für den gescheiterten Militärputsch im Juli 2016 verantwortlich. Yazir lässt seitdem sein Amt ruhen, von Drohungen gegen ihn und seine Familie war die Rede.

In seinem Brief an Tajani, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, warf Lenaers der türkischen Regierung vor, eine "Angst- und Einschüchterungskampagne" gegen ihre Gegner zu betreiben - und die "Daily Sabah" sei eines ihrer Instrumente. Nach dem Verteilungsstopp warf die Zeitung Lenaers eine "Hasskampagne" vor und wütete gegen das "skandalöse Verbot".

Dabei wurde sie nicht einmal verboten, wie eine Parlamentssprecherin betonte: Die Zeitung werde weiter ans Parlament geliefert; Abgeordnete könnten sie sich bei Bedarf abholen. "Ich habe nichts gegen den Verkauf der Zeitung, ich will sie auch nicht verbieten lassen", sagte Lenaers im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Aber es muss nicht sein, dass ein solches Blatt vom Parlament aktiv verteilt wird."

Auch deutsche Politiker im Visier von "Sabah"

Der Eklat um Tarun Yazir war nicht das erste Mal, dass "Sabah" und "Daily Sabah" auffällig wurden. Beide gelten als Sprachrohre von Erdogans AKP-Regierung, und diese Rolle füllen sie rustikal aus. Als etwa die türkische Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya auf dem Weg von Deutschland nach Rotterdam von den niederländischen Behörden abgefangen und zurückgeschickt wurde, bezeichnete die "Daily Sabah" das als "Zwangsabschiebung". Deutsche und Niederländer seien "Faschisten" und "Nazi-Überbleibsel", sekundierte die "Sabah".

Auch deutsche Politiker wurden schon zum Ziel des Blatts. Die fraktionslose hessische Landtagsabgeordnete Mürvet Öztürk und ihr SPD-Kollege Turgut Yüksel etwa wurden als "Verräter" gebrandmarkt, weil sie es wagten, eine Kampagne gegen Erdogans Verfassungsreferendum ins Leben zu rufen.

Nach dem Stopp der Verteilung von "Daily Sabah" im EU-Parlament nahm das Blatt Lenaers ins Visier : Der Niederländer habe zuvor mit der Zeitung "Zaman" gesprochen, die sich "im Besitz des Gülenisten-Terrorkults" befinde. Er habe auch versucht, Ankara dazu zu bewegen, einen "mutmaßlichen Reporter" der Gülen-Bewegung freizulassen. Den Verteilungsstopp im Parlament bezeichnete das Blatt als "Sieg von Europas intoleranten Hassverbreitern". Dabei habe man nur gesagt, dass Europa sich von der Demokratie entferne.

Lenaers gibt sich indes gelassen. "Reaktion wie diese zeigen, dass ich recht habe."

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