
Bröckelndes Europa: EU? Nein, danke!
Neue Umfrage Europäer trauen Europa nicht mehr
Die Wirtschafts- und Währungskrise hat das Vertrauen von Europas Bürgern in das europäische Projekt nachhaltig erschüttert. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des renommierten Pew Research Center in Washington, die SPIEGEL ONLINE vorliegt.
Die US-Forschungseinrichtung befragte im März rund 8000 EU-Bürger und kam zu ernüchternden Resultaten: Die Zustimmung zu dem Projekt einer Europäischen Union ist binnen eines Jahres von 60 auf nur 45 Prozent gesunken. Lediglich in Deutschland unterstützt noch eine Mehrheit der Bürger die Übertragung von mehr Kompetenzen an Brüssel zur Bewältigung der aktuellen Krise.
"Die Europäische Union ist der neue kranke Mann Europas", heißt es in den Eröffnungszeilen der Studie. Und außerdem: "Die Bemühung, Europa weiter zu einigen, ist das größte Opfer der Euro-Krise. In weiten Teilen Europas genießt das Einigungsprojekt mittlerweile einen schlechten Ruf."
Besonders besorgniserregend sind die Entwicklungen in Frankreich: Dort glauben 91 Prozent der Bürger, ihre Wirtschaft befinde sich in schlechtem Zustand, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. 67 Prozent beurteilen die Arbeit von Präsident François Hollande als "lausig". 77 Prozent - ein Anstieg von 14 Prozentpunkten gegenüber 2012 - glauben gar, die europäische Einigung habe Frankreichs wirtschaftliche Lage verschlechtert. Nur Griechen und Italiener haben weniger Vertrauen in die Vorteile der Wirtschaftsunion als die Franzosen - eine weitere Belastung für das deutsch-französische Tandem, das früher die Integration des Kontinents vorantrieb.
Überall in Europa herrscht Verbitterung über die Arbeit gewählter Politiker. In Italien etwa halten nur noch 25 Prozent der Bürger das Krisenmanagement der Regierung für zufriedenstellend, 23 Prozent weniger als im Vorjahr. Kanzlerin Angela Merkel genießt mit 74 Prozent Zustimmung zu ihrem Krisenmanagement zwar weiterhin großen Rückhalt - doch auch ihre Zustimmungswerte sind gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozentpunkte zurückgegangen.
Auch die Spaltung auf dem Kontinent ist bemerkenswert: Lediglich ein Prozent der Griechen, drei Prozent der Italiener, vier Prozent der Spanier und neun Prozent der Franzosen beurteilen ihre eigene Wirtschaftslage als gut - während 75 Prozent der Bundesbürger dies tun.
"Insgesamt unterstreicht die Umfrage stärker denn je, wie ausgeprägt die Differenzen zwischen Deutschen und anderen Europäern zu einer ganzen Reihe von Themen sind", schreiben die Pew-Experten. Bundesbürger äußern sich weit zuversichtlicher als ihre Mit-Europäer über die generelle Wirtschaftslage, ihre eigene Finanzsituation, den Nutzen von Europas wirtschaftlicher Einigung und die Zukunft.
So viel Optimismus schafft Missgunst: Befragt zu Stereotypen über andere EU-Länder, halten die Bürger in sechs der acht Umfrage-Staaten Deutsche für am wenigsten mitfühlend, in fünf von acht Nationen für am arrogantesten. Bundesbürger können derlei Ressentiments nicht verstehen: Nach ihrem Urteil ist Deutschland die vertrauenswürdigste, mitfühlendste und am wenigsten arrogante EU-Nation.