Donald Trump hat es geschafft, einen wahren Opferkult aufzubauen. Immer tut er so, als würde er von dunklen Mächten zu Unrecht verfolgt, immer wieder erweckt er den Eindruck, als würde er benachteiligt oder betrogen. Es ist ein Lebensgefühl, das viele seiner Anhänger teilen, weshalb sie sogar dazu bereit waren, für ihn das Kapitol in Washington zu erstürmen.
Trumps größte Lüge ist die Behauptung, er wäre um den Wahlsieg betrogen worden. Das erneute Impeachment-Verfahren, das die Demokraten nun anstrengen, betrachtet er als Hexenjagd. Die Sperrung seines Twitterkontos sieht er als Einschränkung seiner Meinungsfreiheit. Kurioserweise erhält er dabei sogar von Angela Merkel Unterstützung, die die Sperrung als »problematisch« ansieht.
Allen, die nun in den USA oder anderswo wieder dazu ansetzen, Trump zu verteidigen, in Schutz zu nehmen oder seine Handlungen zu relativieren, sitzen weiter seinem gigantischen Betrug auf. Donald Trump ist kein Opfer. Schon gar nicht verliert er seine Meinungsfreiheit, nur weil ein privates Unternehmen endlich entscheidet, seine Lügen und seinen Hass nicht weiterzuverbreiten.
DER SPIEGEL
Häufig wird derzeit das Argument bemüht, man solle Trump schonen, weil sonst die politische Spaltung in den USA vertieft werde oder weil es sonst mehr Gewalt geben könnte. Doch für solche Rücksichtnahmen ist es zu spät. Trump ist ein brandgefährlicher Gegner der Demokratie, der kein Mitleid, keine Milde und auch kein Verständnis verdient, sondern Bestrafung und öffentliche Ächtung. Nur so lassen sich seine Umtriebe stoppen – und nur so können potenzielle Nachahmer abgeschreckt werden.
Ein schlechter Mensch
Deshalb ist es entscheidend, dass die US-Demokraten nach dem Sturm auf das Kapitol ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen ihn anstrengen. Selbst wenn Trump erst nach seinem offiziellen Abschied am 20. Januar verurteilt werden sollte, muss der US-Senat ihn für immer von allen öffentlichen Ämtern ausschließen.
Es gibt viele kluge sozioökonomische und gesellschaftspolitische Erklärungen, warum Trump in den USA an die Macht gekommen ist. Die Wichtigste wird aber oft vergessen: Trump ist einfach ein schlechter Mensch, der Tausende von Lügen verbreitet hat, der betrügt und der die Wähler durch Propaganda manipuliert. Gäbe es nicht die strenge Machtteilung in der US-Verfassung und die vielen aufrechten Kämpfer für die US-Demokratie, hätte Trump in diesem Land ein neofaschistisches Regime errichtet, in dem allein sein Wille und der seiner Helfer gilt.
Trump hat von Beginn seiner Amtszeit an versucht, die große amerikanische Demokratie zu unterminieren. Er hat etliche ihrer geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze gebrochen. Er hat die Meinungsfreiheit mit Füßen getreten, indem er kritische Journalisten als »Volksfeinde« verunglimpfte und sie damit zu potenziellen Zielscheiben seiner Anhänger machte. Er hat die Neonazis, die 2017 in Charlottesville aufmarschierten, in Schutz genommen. Und er hat zu schlechter Letzt seine Anhänger dazu aufgewiegelt, den Versuch zu unternehmen, die Ernennung des rechtmäßig gewählten neuen Präsidenten Joe Biden mit Gewalt zu verhindern.
Die Republikaner müssen sich entscheiden
Was vielen Amerikanern erst jetzt bewusst wird: Das Land ist am vergangenen Mittwoch haarscharf einer noch größeren Katastrophe entgangen. Männer in Trumps Armee hatten Fesseln dabei, um Abgeordnete festzusetzen. Und: Sie riefen »Hängt Mike Pence auf!«, gemeint war Trumps Vizepräsident, der es gewagt hatte, sich Trumps Putschversuch zu widersetzen.
In Deutschland gibt es den Begriff der »wehrhaften Demokratie«. Er wurde nach der Nazizeit eingeführt und bedeutet nichts anderes, als dass sich eine Demokratie nicht nur vor ihren Feinden schützen muss, sondern diese auch aktiv bekämpfen sollte, wenn es darauf ankommt. Amerika steht nach dem Sturm des Trump-Mobs am Scheideweg. Sind das Land und seine Demokratie wehrhaft oder nicht?
Dafür müssen sich vor allem die Republikaner entscheiden, ob sie Trump weiter decken oder doch gemeinsam mit den Demokraten bestrafen wollen. Einige bewegen sich, so wie die Abgeordnete Liz Cheney, die für Trumps Amtsenthebung stimmen will. Zum Glück. Wenn es den beiden großen Parteien nicht gemeinsam gelingt, Trump für immer aus der Politik zu verbannen und seine radikalsten Anhänger einzuhegen, dann wird diese Krise nicht enden. Das Land erlebt dann womöglich erst ihren Anfang.