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Mursi-Sturz in Ägypten Putsch des listigen Generals

Ägyptens Präsident Mursi ist gestürzt, neues Staatsoberhaupt wird ein Jurist. Doch er soll nur eine Marionette sein - hinter den Kulissen wollen die Militärs weiter die Fäden ziehen. Wichtigster Mann im Staat bleibt General Abd al-Fattah al-Sisi - aber seine Armee hat sich schon einmal verspekuliert.

Kairo/Berlin - Adli Mansur hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. Am Montag wurde der Karrierejurist als Vorsitzender des Verfassungsgerichts eingeschworen. Am Mittwoch wurde Präsident Mohammed Mursi gestürzt und Adli Mansur, der Oberste Richter, vom Militär zum neuen Staatsoberhaupt erklärt. Am Donnerstag soll Mansur vereidigt werden. Dann soll er vorübergehend mit einem Technokraten-Kabinett das Land regieren bis zu neuen Wahlen.

Ob und wann diese stattfinden, weiß keiner. Mansur wird nicht der wichtigste Mann Ägyptens sein, auch wenn sich der Richter, der schon unter Husni Mubarak im Obersten Gerichtshof saß, nun Staatsoberhaupt nennen darf. Hinter den Kulissen werden weiterhin General Abd al-Fattah al-Sisi und der Militärapparat die Fäden ziehen.

Das Militär ist und bleibt einer der wichtigsten politischen Akteure in Ägypten, seit es sich 1952 an die Macht putschte. Daran haben weder der Sturz von Mubarak 2011 noch die kurze Regentschaft der Muslimbrüder etwas geändert. Wie groß der politische Einfluss der Generäle ist, hat Militärchef Sisi eindrucksvoll am Mittwochabend demonstriert. Nach einem 48-Stunden-Ultimatum informierte er kurzerhand Mursi, dass er nicht mehr Präsident sei. Dabei war dieser Ägyptens erstes demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt.

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Ägypten: Der Richter und sein General

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Jetzt steht Mursi ebenso wie die meisten Mitglieder des früheren Präsidententeams unter Hausarrest. Außerdem sind zwei führende Politiker der von den Muslimbrüdern gegründeten Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP) verhaftet worden. Laut der staatlichen Zeitung "al-Ahram" wird zudem nach 300 Mitgliedern und Führern der Muslimbruderschaft gefahndet.

Mursi konnte Militärs nicht entmachten

Die Muslimbrüder sind in Ungnade gefallen. Genauso wie die Militärs 2011 einen der ihren, Mubarak, fallen ließen, wollten sie sich nun des ihnen unliebsamen Mursi entledigen. Dabei war Sisi zumindest nominal von ihm abhängig. Erst im August 2012 hatte Mursi Sisi zum Militärchef gemacht, nachdem er den mächtigen Mohammed Hussein Tantawi gefeuert hatte. Damals befürchteten manche eine Allianz zwischen Militärs und Muslimbrüdern.

Sisi gilt als strenggläubig. Allerdings versteht er sich als treuer Anhänger des säkularen, autoritären Gamal Abdel Nasser, dem Übervater des modernen Ägyptens und einem Kritiker der Muslimbruderschaft. Wahrscheinlich hatte Mursi angenommen, mit dem Austausch der Führung den Militärapparat entmachtet zu haben. Offensichtlich hat er sich geirrt.

Sisi ist mit 58 einer der jüngsten Generäle. Er hat niemals im Krieg gekämpft. Die Auseinandersetzungen mit Israel kennt er nur aus Erzählungen. Stattdessen gehört er zu einer Generation, die zu Militärtrainings in den Westen eingeladen wurden. Sisi war 1992 in Großbritannien und 2006 in den USA.

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Nach Mursis Sturz: So jubelt der Tahrir-Platz

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2011 sorgte er für internationale Schlagzeilen, als er die "Jungfräulichkeitstests" rechtfertigte - die sexuelle Belästigung von Ägypterinnen durch Soldaten . Aus dem Debakel von 2011 hat Sisi gelernt. Damals stellte das Militär selbst die Regierung nach dem Sturz Mubaraks. Für alle sichtbar zogen sie die Fäden - und gerieten schnell selbst ins Visier der Ägypter.

Die Generäle wollen eine Arbeitsteilung mit den Zivilisten

Dieses Mal versucht der Militärchef von Anfang an, sich im Hintergrund zu halten. Zwar sind die Ereignisse vom Mittwochabend klar ein Putsch - das Militär erklärt den demokratisch gewählten Präsidenten für abgesetzt und die Verfassung für aufgehoben. Doch tat Sisi gerade so, als seien die Generäle von den Ägyptern zum Eingreifen genötigt worden.

Tatsächlich haben viele Ägypter den Putsch begrüßt. Den Militärs schwebt eine Arbeitsteilung vor: Zivilisten sollen in der ersten Reihe stehen. Sie sollen den Unmut der Bevölkerung auf sich ziehen, wenn sie sich an der katastrophalen Wirtschaftssituation und der tiefen politischen Spaltung abarbeiten.

Hinter den Kulissen wollen weiter Sisi und seine Kollegen den Ton angeben, vor allem in zwei Bereichen: Die Sicherheitspolitik ist traditionell ihre Domäne. Auch von den Pfründen der Generäle soll die Regierung die Finger lassen. Die Armee gehört auch in der Wirtschaft zu den wichtigsten Strippenziehern Ägyptens.

Ob die Arbeitsteilung klappt, muss sich erst noch zeigen. Genau dies hatten die Militärs schon mit den Muslimbrüdern versucht - vergebens. Mursi wurde aufmüpfig, fing an, sich in die Sicherheitspolitik einzumischen und nahm die scharfen Warnungen der Generäle nicht ernst. Nun soll es aus ihrer Sicht besser klappen in der Neuauflage mit dem Duo aus Militärchef und Oberstem Richter.

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