
Südafrika Angst vor Gewalt verschreckt WM-Touristen
Beim ersten Mal musste Flip Buys noch unverrichteter Dinge wieder abziehen. war für den Generalsekretär der Gewerkschaft "Solidarity" nicht zu sprechen. Doch am Dienstag dieser Woche schlug Buys' große Stunde. 107.000 Briefe und E-Mails durfte er Südafrikas umstrittenen Staatspräsidenten höchstpersönlich übergeben - 18 Schubkarren voll. Beim ersten Versuch im Februar waren es erst 23.000 gewesen.
Seit die größte unabhängige Gewerkschaft Südafrikas Anfang Februar zum Protest gegen Gewalt und Verbrechen aufgerufen hat, schwillt der Strom der Schreiben von Verbrechensopfern und besorgter Bürger unaufhörlich an. Einen Tag nach der Audienz bei Zuma waren es nach Gewerkschaftsangaben schon 136.000. "Unser Ziel war es, 10.000 Briefe zusammenzubekommen. Dass es so viele würden, hatte niemand von uns geglaubt", sagt Generalsekretär Flip Buys stolz. Umso entschiedener werde die "Solidarity", die vor allem die weiße Mittelschicht repräsentiert, an ihrem Ziel festhalten, den Kampf gegen die Kriminalität zur "Nummer eins auf der Prioritätenliste in " zu machen.
Die von der Gewerkschaft angestoßene erneute Diskussion kommt für das Land am Kap zur Unzeit. Denn Politiker und Sportgewaltige plagt zunehmend die Sorge, dass die Angst vor der Kriminalität zahlreiche Fans in aller Welt vom Besuch der WM 2010 abschrecken könnte.
Bereits jetzt haben die WM-Ausrichter ihre Erwartungen an den Touristenstrom drastisch reduziert: Statt der ursprünglich erwarteten 450.000 Touristen aus Übersee würden es wohl 20 Prozent weniger, räumte die Fifa ein. Lusanda Madikizela, im Verkehrsministerium für die WM 2010 zuständig, fürchtet, dass auch das noch zu hoch gegriffen ist: "Vielleicht so um die 300.000, wenn nicht sogar noch weniger." Neben den hohen Preisen seien vor allem in Deutschland und Großbritannien Medienberichte über die Kriminalität in Südafrika der Hauptgrund für die Zurückhaltung der Touristen, klagt Madikizela.
Warnungen auch vom Auswärtigen Amt
Doch auch die Außenministerien von Washington bis London, von Canberra bis Berlin warnen knapp drei Monate vor dem Anpfiff nach wie vor vor der hohen Verbrechensrate. Die deutsche Reisewarnung liest sich in schönstem Amtsdeutsch so: "Auch wenn der überwiegende Teil der Gewaltkriminalität in Gegenden und unter Umständen erfolgt, von denen üblicherweise deutsche Urlaubs- oder Geschäftsreisende nicht betroffen sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass deutsche Reisende Ziel und Opfer von Diebstählen, Einbrüchen und Raub und ähnlicher Delikte werden." Innenstädte sollten nach Geschäftsschluss gemieden werden. An Sonn- und Feiertagen sollten Touristen sich nur in Gruppen in die Stadtzentren wagen - und selbst in den Nationalparks keine einsamen Wanderwege benutzen. Vor "K.o."-Tropfen und Fahrzeugentführungen, Überlandfahrten bei Dunkelheit und Überfällen an Geldautomaten wird da gewarnt.
Südafrikas Polizeichef Bheki Cele hat inzwischen in einer bisher einmaligen Aktion bei einem Sicherheitsseminar der Fifa ein ausgefeiltes Sicherheitskonzept für die Weltmeisterschaft vorgestellt. Die Teams werden von bis an die Zähne bewaffneten Sondereinheiten der Polizei bewacht, zu den Austragungsorten, den Spielen und zurück in ihre Quartiere eskortiert. In Durban zum Beispiel sollen auch die Fans durch spezielle Sicherheitskorridore zu den Stadien geleitet werden. 44.000 Polizisten werden in den neun Austragungsorte abgeordnet, um das Fußballfest so sicher wie nur irgend möglich zu machen.
Die Polizei ist Teil des Problems
Auch auf mögliche Terrorangriffe bereiten sich Südafrikas Sicherheitskräfte mit allen denkbaren Szenarien vor. Selbst Bundeskriminalamtschef Jörg Ziercke zeigte sich bei einer Stippvisite im Januar beeindruckt von der Vorbereitung der Polizei und der "hohen Professionalität" der Verantwortlichen.
Doch das ist nur die eine Seite. Denn die Polizei ist Teil des Problems. Aufgeschreckt durch Medienberichte veröffentlichte Schattenpolizeiministerin Dianna Kohler Barnard von der Oppositionspartei "Democratic Alliance" Anfang März einen Fünf-Punkte-Plan zum Aufbau einer "besseren und vertrauenswürdigeren Polizei". Die Oppositionspolitikerin nennt die südafrikanischen Ordnungshüter "korrupt und gesetzesbrecherisch".
Allein in den vergangenen sechs Monaten seien 71 Fälle bekannt geworden, in denen Polizisten in kriminelle Machenschaften verwickelt waren. Die Anschuldigungen reichten von Vergewaltigung über Drogenhandel bis zu Kidnapping. Gewerkschaftssekretär Buys kündigte denn auch an, seine Organisation und ihre Mitglieder würden "wie die Schießhunde" darüber wachen, dass die Polizei auch wirklich ihre Arbeit mache.
Auch der Vizekanzler der "University of Cape Town", Max Price, hält der Polizei vor: "Wir werden Euch unterstützen. Aber Ihr müsst uns zunächst beweisen, dass Ihr professionell und kompetent seid und unseren Respekt verdient."
Gnadenlose Abrechnung mit dem politischen System
Price sprach Ende Februar bei einem Trauergottesdienst für den ermordeten Studenten Dominic Giddy, der sich zu einer gewaltigen Protestdemonstration auswuchs. Seine Ansprache wurde zu einer gnadenlosen Abrechnung mit dem politischen System Südafrikas. "Der wahre Horror ist, dass in Südafrika an diesem Morgen etwa 50 Familien mit einem ähnlich unerträglichen Trauma erwachen wie Dominics Angehörige: durch Gewalt und sinnlose Verbrechen einen geliebten Menschen verloren zu haben."
Die politische Führung des Landes müsse endlich beweisen, dass sie beim Kampf gegen die Kriminalität Ernst mache. "Wenn Ihr das macht, werden wir Euch unterstützen", sagte Price. "Aber wenn Ihr, wie bisher, leichtfertig mit unseren Leben umgeht, werden wir uns wehren - wir werden Euch den Mittelfinger zeigen und Euch abwählen."
Die Apartheid sei zusammengebrochen, als die Zivilgesellschaft entschieden habe, sie sei am Ende. "Jetzt müssen wir als Gesellschaft beschließen, dass Schluss sein muss mit der Kriminalität." Die Fußball-WM sei ein wunderbares Beispiel, was Südafrika erreichen könne, wenn der politische Wille vorhanden sei: "Wenn ich ein Stadion besuche, umhüllt mich das Gefühl von absoluter Sicherheit. Das ist beeindruckend." Einen ähnlich starken Willen müsse die Politik entwickeln, um mit der Kriminalität fertig zu werden, "der größten Gefahr für die Zukunft unseres Landes".
Die Regierung ist handlungsunfähig - weil in interne Machtkämpfe verstrickt
Wie der Gewerkschaft "Solidarity" schlug auch Price nach seinem emotionsgeladenen "Es reicht" eine Welle von Sympathie und Zustimmung aus allen Teilen der Bevölkerung entgegen. Sein Appell wird unter Studenten, Professoren, Unternehmern und Angestellten weitergetragen.
Die Regierung hat indes anderes zu tun - sie ist in Machtkämpfe verstrickt. Schon zirkulieren in den Medien Gerüchte, der wegen seiner Affären umstrittene Staatspräsident Zuma solle nach der WM im September gestürzt werden. "Konterrevolutionäre sind auf dem Weg, den Präsidenten abzuberufen", sagte der Generalsekretär der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes, Mthandeki Nhlapo.
Der Anführer der ANC-Jugendliga, Julius Malema, heizt die Lage noch an. Der von Zuma zu einer Art Ziehsohn erkorene Held der Township-Jugend hat dem Land zunächst eine investitionsfeindliche Verstaatlichungsdebatte aufgezwungen. Wer sich innerhalb der Regierungskoalition ANC der Verstaatlichung der Bergwerke widersetze, werde beim nächsten Parteikongress abgewählt, drohte der einflussreiche Jungstar. Zuma konterte nur flau, das sei nicht Regierungspolitik.
Bei seinem jüngsten Auftritt setzte Malema im Stil des simbabwischen Diktators Robert Mugabe noch eins drauf. Vor etwa 500 begeisterten Studenten der Universität von Johannesburg beschimpfte er die Weißen und intonierte das alte Kampflied: "Tötet die Buren, tötet die Farmer".